Gedanken zu einem Privileg
Seite 2: Ist der Interessenausgleich durch das Urheberrecht gelungen
- Gedanken zu einem Privileg
- Ist der Interessenausgleich durch das Urheberrecht gelungen
- Die wirtschaftliche Lage der Kreativen hat sich durch das Urheberrecht nicht wirklich verbessert
- Die aktuelle Verfassung der Verwertungsgesellschaften sind ein Ärgernis
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Man kann sich nun fragen, ob das Urheberrecht wirklich Kultur und Wissenschaft gefördert hat. Sind, wie das Statute of Anne beabsichtigte, durch das Privileg Gelehrte angeregt worden, nützliche Bücher zu verfassen, wird die Lehre gefördert, und sind Autoren, Künstler und Wissenschaftler wirtschaftlich unabhängiger geworden? Hypothetische Fragen, wie: "Was wäre, gäbe es die Urheberrechtsgesetzgebung nicht", lassen sich prinzipiell nicht beantworten. Da mag jeder seine eigene Meinung haben.
Sicher ist, dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, als die ersten Urheberrechtsgesetze in Kraft traten, die Anzahl der publizierten Bücher und Zeitschriften, die Anzahl der komponierten Werke, später die Anzahl der Tonträger, Fotos und Filme, stark gestiegen ist. Darunter auch wichtige und wertvolle Werke. Diese gesteigerte Produktion war aber zu einem großen Teil nachfragegetrieben. Eine wachsende Schicht relativ wohlhabender Bürger verlangte nach mehr Kulturgütern. Weiterhin bedeutet Quantität nicht auch Qualität. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass das Urheberrecht keinen Anreiz zur Qualität enthält. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man sich bei einem der großen Filialbuchhändler umsieht, oder ein paar Stunden MTV konsumiert. Aber das kann man nicht alleine dem Urheberrecht anlasten. Wie gesagt, Art und Menge der Kulturproduktion ist auch nachfragegetrieben. Jedes Publikum bekommt das, wofür es bezahlt - und das ist o.k.
Den Kern des Urheberrechts stellen die verschiedenen Verwertungsrechte dar, die dem Urheber bzw. seinem Stellvertreter (Verleger, GEMA etc.) erlauben, Gewinn aus dem Werk zu ziehen. Man kann sich fragen, in welchem Genre die Gewinnerwartung die stärkste Motivation darstellt. Ein moderner Film mit Produktionskosten von vielen Millionen Dollar kann schlechterdings nicht produziert werden, ohne dass man eine gewisse Sicherheit hat, diese Kosten wieder einzuspielen und, durch einen Überschuss, die Risiken des Kapitaleinsatzes vergütet zu bekommen. Für aufwendige Musikproduktionen, bei denen viele Musiker, die Autoren, Studios, Tonträgerproduktion und Vertrieb bezahlt werden müssen, gilt das gleiche. Diese Produkte wären also nicht oder nicht so aufwendig entstanden, gäbe es das Urheberrecht nicht. Dass viele Musiker auch davon träumen, Schlager- oder Popmillionäre zu werden, ist nicht verwerflich. Die Mehrzahl von ihnen arbeitet ja in der Realität für geringes Geld auf kleinen Bühnen, in Clubs und in Kneipen.
Schriftsteller, deren Produktionskosten im Allgemeinen nicht so hoch sind, freuen sich auch, wenn ihre Bücher gut verkauft werden und Tantiemen abwerfen. Ich nehme aber zu ihren Gunsten an, dass sie ihre Bücher auch geschrieben hätten, wenn kein wirtschaftlicher Gewinn in Aussicht gestanden hätte. Die primäre Motivation eines Heinrich Bölls war sicher nicht, mit seinen Arbeiten reich zu werden. Er hatte eine Botschaft, die er mitteilen wollte. Wenn die Einnahmen aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit ihm dann wirtschaftliche Unabhängigkeit brachte, und er in der Folge weiter Novellen und Romane schreiben konnte, war das auch ein Gewinn für die Allgemeinheit.
Ich behaupte also, dass die Werke, die die Kultur am stärksten gefördert haben, auch ohne den Urheberrechtsschutz entstanden wären. Produkte der Unterhaltungsindustrie, die dazu eher im geringen Maße beitragen, sind jedoch auf die Durchsetzung der Verwertungsrechte angewiesen.
Die Wissenschaft wird durch die Konzentration auf dem Markt der wissenschaftlichen Zeitschriften erheblich behindert
Wie wirkt sich das Urheberrecht auf die Wissenschaft, die Forschung und die Lehre aus?
Berufswissenschaftler, die von Einnahmen ihrer wissenschaftlichen Publikationen leben, gibt es nicht. Es gibt lediglich in staatlichen Institutionen angestellte Wissenschaftler - oder Wissenschaftler, die in der Privatwirtschaft arbeiten. Die wenigen wissenschaftliche Einzelkämpfer leben von ihren Erfindungen, die sie tunlichst patentieren, aber nicht frei veröffentlichen werden.
Wissenschaftler, die in der Privatwirtschaft arbeiten, veröffentlichen nur mit Genehmigung und im Auftrag ihres Arbeitgebers, und können hier übergangen werden. Wissenschaftsjournalisten können gegebenenfalls von ihren Veröffentlichungen leben, sind aber in der Regel keine Wissenschaftler mehr.
Forscher an staatlichen Hochschulen und Instituten sind nach dem Karriereprinzip "Publish or Perish" gezwungen, die Resultate ihrer Forschung zu veröffentlichen, und dies nach Möglichkeit in Journalen mit höchstem wissenschaftlichen Renommée. Die Produktionskosten dieser Publikationen (wozu auch die Kosten der eigentlichen Forschung gehören) werden vom öffentlichen Arbeitgeber getragen.
In den letzten Jahren hat sich eine starke Konzentration bei den wissenschaftlichen Verlagen ergeben. Die meisten Fachzeitschriften gehören wenigen großen Wissenschaftsverlagen, die dadurch für die Wissenschaftler äußerst nachteilige Vertragsbedingungen diktieren können.
- Die Wissenschaftler geben alle Rechte an den Verlag ab,
- Sie erhalten in der Regel kein Autorenhonorar,
- Sie müssen sich häufig sogar an den Unkosten des Verlags beteiligen.
Die Gegenleistung der Verlage ist eine Art Qualitätssicherung, das Peer-Review. Diese Begutachtung wird aber nicht von Mitarbeitern des Verlags durchgeführt (wie könnten sie auch), sondern ebenfalls, in der Regel kostenlos, von Mitgliedern der Forschungscommunity. Die weiteren Gegenleistungen sind der Druck und insbesondere der gute Name der Zeitschrift.
Das Oligopol erlaubt es den Verlagen, ihre urheberrechtlich geschützten Produkte zu Konditionen zu verkaufen, die für die Kunden, die Bibliotheken von Universitäten und Instituten, extrem nachteilig sind.1617
So haben sich die Bezugspreise von naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften in einem Jahrzehnt beispielsweise verfünffacht18. Viele Universitätsbibliotheken können die Kosten nicht mehr tragen, und müssen Fachzeitschriften, die für Forschung und Lehre essenziell sind, abbestellen. Mit der Novellierung des UrhG von 2007 (sogenannter zweiter Korb) wurden die Möglichkeiten, Fachartikel elektronisch zu erfassen und elektronische Kopien zu verschicken, weitgehend eingeschränkt. Die klassischen Möglichkeiten der Fernausleihe und der Papierkopie sind überdies mit erheblichen Gebühren, die durch die Verwertungsgesellschaften eingetrieben werden, belastet. Das Urheberrecht, das diese Konzentration der Verlage zumindest begünstigt hat, stellt also einen veritablen Hemmschuh für Forschung und Lehre dar.
Als eine Art Notwehrmaßnahme hat sich in der Wissenschaft das Konzept des Open Access entwickelt. Das Internet bietet die Möglichkeit, Online-Zeitschriften zu gründen, Zeitschriften also, die auf gedruckte Exemplare verzichten und die für die Öffentlichkeit ohne Einschränkungen zugänglich sind. Die "Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities" von 200319, die von allen großen deutschen Wissenschaftsorganisationen unterzeichnet wurde, stellt fest: "Unsere Aufgabe, Wissen weiterzugeben, ist nur halb erfüllt, wenn diese Informationen für die Gesellschaft nicht in umfassender Weise und einfach zugänglich sind."
Und weiter:
Wir definieren den offenen Zugang oder den ‚Open Access’ als eine umfassende Quelle menschlichen Wissens und kulturellen Erbes, die von der Wissenschaftsgemeinschaft bestätigt wurden. … Der offene Zugang als erstrebenswertes Verfahren setzt idealerweise die aktive Mitwirkung eines jeden Urhebers wissenschaftlichen Wissens und eines jeden Verwalters von kulturellem Erbe voraus.
In der aktiven Mitwirkung der beamteten oder angestellten Mitarbeiter liegt aber das Problem. Ein privater Arbeitgeber kann seinem Angestellten einfach verbieten, Ergebnisse seiner Arbeit zu publizieren. Der öffentliche Arbeitgeber kann das bei seinen Wissenschaftlern wegen der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit nicht. Dann liegt es aber nach deutschem Urheberrecht im Belieben des Urhebers, zu entscheiden ob, wie und wo die Arbeit veröffentlicht wird (§ 12, Absatz 1 UrhG).
Auch scheint in den deutschen Kultusministerien das Interesse an "Open Access" nicht allzu ausgeprägt zu sein20. Zwar wurde bei der Diskussion um die Novellierung des UrhG 2007 vorgeschlagen, eine "dienstrechtliche Anbietungspflicht" im UrhG aufzunehmen. Danach sollten die Wissenschaftler ihrem Arbeitgeber "ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht an den im Rahmen ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit entstandenen Werken"21 einräumen. Der Vorschlag wurde aber wegen Rechtsbedenken nicht weiter verfolgt.
Vielleicht weil in der Berliner Erklärung etwas unscharf von der Mitwirkung "eines jeden Verwalters von kulturellem Erbe" die Rede war, fühlte sich ein Gruppe, der wohl die ganze Richtung des Open Access Gedanken nicht passte, dazu aufgerufen, gegen die Erklärung Stellung zu nehmen. Eine seltsame Koalition von Zeitungsverlegern, Schriftstellern, darunter auch die Crème de la Crème der deutschen Literatur, sowie beamteter Hochschullehrer veröffentlichten den Heidelberger Appell (2009)22, der mit den Worten beginnt:
Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht.
Nach ein paar Seitenhieben auf Google und YouTube gilt der Angriff dann der Berliner Erklärung:
Gleichzeitig propagiert national die »Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen« (Mitglieder: Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Leibniz-Gesellschaft, Max-Planck-Institute u. a.) weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit, deren Folgen grundgesetzwidrig wären.
Sie endet mit einem Appell an die Politik:
Die Politik steht in der Pflicht, den individualrechtlichen Ansprüchen, die sich an die Herstellung von künstlerischen und wissenschaftlichen Werken knüpfen, auf nationaler wie internationaler Ebene Geltung zu verschaffen (Hervorhebungen durch den Verfasser). Die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft ist ein zentrales Verfassungsgut. Verlieren wir sie, verlieren wir unsere Zukunft.
Es droht also nichts Geringeres, als der Untergang des Abendlands, wenn diese individualrechtlichen Ansprüche nicht durchgesetzt werden.
Die meisten Unterzeichner des Heidelberger Appells sind weder Wissenschaftler noch in öffentlichen Institutionen angestellt, und damit von der Berliner Deklaration der deutschen Wissenschaft eigentlich nicht angesprochen. Deshalb stellte die Allianz der Wissenschaftsorganisationen klar: "Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen fordert eine für den Leser entgeltfreie Publikation (Open Access) ausschließlich von Forschungsergebnissen, die durch den Einsatz öffentlicher Mittel und damit zum Nutzen der Forschung und Gesellschaft insgesamt erarbeitet wurden." Und weiter:
Wir erwarten jedoch, dass die Autoren der Gesellschaft, die ihre Forschung durch Steuermittel möglich macht, einen einfachen Zugang zu ihren Publikationen eröffnen, der zudem die öffentliche Hand möglichst wenig finanziell belastet.
Man sollte meinen, dass dies eine Selbstverständlichkeit sei.
Die Schärfe der Auseinandersetzung zeigt, wie sehr sich die klassischen Repräsentanten des Kulturbetriebs von den Möglichkeiten der neuen Medien und insbesondere des Internets in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht fühlen. Die Wissenschaft hingegen sieht sich einer immer stärker werdenden Macht der Verleger ausgeliefert. Zu dieser die Forschung und Lehre stark behindernden Situation hat nicht zuletzt das Urheberrecht beigetragen.