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Gefährder leichter abschieben, ohne Gesetzesverschärfungen

Sitz des Bundesverwaltungsgerichts im Reichsgerichtsgebäude in Leipzig. Foto: Manecke / CC BY-SA 3.0

"Präzendenz"-Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts könnte Welle von Abschiebungen gewaltbereiter ausländischer Islamisten auslösen

Zwei Salafisten, die als Gefährder eingestuft wurden, können abgeschoben werden. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig widerspricht dem zuletzt verbreiteten Eindruck, die gesetzlichen Hürden zur Abschiebung von Gefährdern seien so hoch, dass gesetzliche Verschärfungen unbedingt nötig sind.

Die gute Nachricht vom Gericht aus Leipzig [1] betrifft ausgerechnet einen Fall, bei dem die Justiz wegen ihrer rechtlichen Vorgaben für Empörung und Kopfschütteln sorgte: Die Generalstaatsanwaltschaft in Celle hatte Ende Februar die Ermittlungen gegen zwei Männer eingestellt, die vom Landeskriminalamt Niedersachsen als Gefährder eingestuft worden waren. Sie kamen nicht in U-Haft, aber in Abschiebehaft (siehe Gefährder in Göttingen: Ein Polizei-Verdacht, aber nicht hinreichend für die Justiz [2]).

Parallelen zum Fall des Berliner Attentäters

Gegen die Verfügung der Abschiebehaft legten die beiden in Deutschland gebürtigen Männer ausländischer Herkunft - einer hat einen algerischen, der andere einen nigerianischen Pass - Einspruch beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der Fall der beiden Göttinger Gefährder schlug Wellen über Niedersachsen hinaus, weil er die verhängnisvollen Unzulänglichkeiten [3] im Umgang mit dem Berliner Attentäter Anis Amri in Erinnerung brachte.

Wie die beiden Göttinger Männer war Amri als Gefährder eingestuft worden. Zum Skandal wurde nach dem Attentat auf den Berliner Weihnachstmarkt, dass die Gefährdungslage falsch eingeschätzt worden war und die Behörden im Vorfeld nicht entschlossen genug vorgegangen waren.

Beim Treffen des Gemeinsamen Terrorabwehrsystems (GTAZ) im Juli 2016 konnten sich die Teilnehmer nicht dazu durchringen [4], im Fall Amri eine Abschiebungsanordnung nach Paragraf 58 a des Aufenthaltsgesetzes zu erlassen. Als die Generalstaatsanwaltschaft Celle am 21. Februar nun mitteilte, dass die von der Polizei beigebrachten Nachweise im Fall der Göttinger Gefährder nicht für Ermittlungen und für eine U-Haft ausreichen - da man sich aus rechtlichen Gründen nicht auf Vorüberlegungen beziehen könne, sondern eine beschlossene Straftat das entscheidende Kriterium [5] sei -, wurde an den Alarmglocken gerüttelt.

Verdachtsmomente

Denn die Polizei hatte allerhand ermittelt, das für die Gefährlichkeit der beiden Männer sprach: Kontakte zur salafistischen Szene, die auf eine radikale Orientierung schließen ließen, was dann durch den Fund einer dschihadistischen Fahne bei einer Wohnungsdurchsuchung bestätigt wurde, aber vor allem Mitschnitte von Chats, in denen von Anschlägen die Rede war. Auch wurde bei einer Großrazzia scharfe Munition, eine Machete und eine Waffe gefunden.

Der Waffenfund bei einer Großrazzia Anfang Februar konnte allerdings den beiden Verdächtigen nicht eindeutig zugeordnet werden, was wohl einer der schwachen Punkte der Beweisführung war. Der andere bestand darin, dass die Chat-Mitschnitte, bei denen von Anschlägen die Rede war, juristisch nicht ausreichten.

Juristischer Umgang mit dem Risiko

War sich die auf Gefahrenabwehr ausgerichtete Polizei sicher, dass die beiden Gefährder einen Anschlag planten, so brauchte die Staatsanwaltschaft belastbares Material, weil das Strafgesetz - aus guten Gründen - ganz konkrete und gesicherte Anhaltspunkte verlangt, um präventiv zu greifen.

Der Umgang mit den beiden Gefährdern löste ein mulmiges Gefühl aus. Zwar ordnete das niedersächsische Innenministerium Abschiebehaft an, aber die Anwälte der beiden beantragten Rechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Nach alledem, was zuvor juristisch möglich war, schien es nun auch möglich, dass die beiden in Leipzig Recht bekommen könnten und schließlich auf freiem Fuß gesetzt werden, was angesichts der Vorgeschichte der beiden ein ziemliches Risiko bedeutet hätte.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt nun genau dieses Risiko in den Mittelpunkt seiner Begründung zur Ablehnung der Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz. Die Veröffentlichung des Wortlautes der Entscheidung in beiden Fällen (Aktenzeichen BVerwG 1 VR 1.17 und BVerwG 1 VR 2.17) stand am Donnerstag, den 23. März, noch aus. Aus der Pressemitteilung [6] geht jedoch der Kernpunkt der Entscheidung hervor:

Das Gericht hat auf der Grundlage der vorgelegten Erkenntnismittel die Prognose des Ministeriums als gerechtfertigt angesehen, dass von den Ausländern eine terroristische Gefahr ausgeht. Dafür reicht in den Fällen des § 58a AufenthG ein beachtliches Risiko aus.

Bundesverwaltungsgericht

Die beiden Männer bleiben in Abschiebehaft und können abgeschoben werden. Im Fall des Algeriers machte das Gericht die Auflage, die Abschiebung sei "davon abhängig, dass eine algerische Regierungsstelle die Zusicherung erteilt, dass dem Betroffenen keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht".

"So schwer ist das nicht"

Laut Einschätzungen, die gestern und heute in Medien kursieren [7], dürfte das Urteil dazu animieren, die Abschiebeanordnung nach § 58a des Aufenthaltsgesetzes bei Gefährdern öfter als in der Vergangenheit anzuwenden. "So schwer ist das nicht", schreibt [8] der Jurist Heribert Prantl in der SZ. Das Gerede über die schwierige Handhabbarkeit der geltenden Regeln stimme nicht.

In derselben Zeitung berichten [9] Mascolo und Steinke davon, dass Deutschland "vor einer Welle von Abschiebungen gewaltbereiter ausländischer Islamisten" stehe - ermöglicht durch Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig.

Nach Mascolos Einschätzung [10] eröffnet der Leipziger "Präzedenzfall" ein neues Durchgreifen. Von den rund 600 islamistischen Gefährdern haben nach seinen Informationen "geschätzt 250 ausschließlich die ausländische Staatsangehörigkeit". Sie seien jetzt "Kandidaten für Entscheidungen nach Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes".

Unter den Sicherheitsbehörden kursieren die Leipziger Entscheidungen bereits, Akten werden gesichtet, Fälle vorbereitet.

Georg Mascolo

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3663054

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2017&nr=17
[2] https://www.heise.de/tp/features/Gefaehrder-in-Goettingen-Ein-Polizei-Verdacht-aber-nicht-hinreichend-fuer-die-Justiz-3633013.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Berliner-Anschlag-Gravierende-Fehleinschaetzungen-im-Fall-Amri-3587956.html
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/attentaeter-von-berlin-die-fehler-der-terror-fahnder-im-fall-amri-1.3319637
[5] https://www.heise.de/tp/features/Gefaehrder-in-Goettingen-Ein-Polizei-Verdacht-aber-nicht-hinreichend-fuer-die-Justiz-3633013.html?seite=2
[6] http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2017&nr=17
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/gerichtsurteil-welle-von-abschiebungen-gewaltbereiter-islamisten-steht-bevor-1.3431869
[8] http://www.sueddeutsche.de/politik/abschiebungen-und-das-recht-ist-doch-stark-genug-1.3431034
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/gerichtsurteil-welle-von-abschiebungen-gewaltbereiter-islamisten-steht-bevor-1.3431869
[10] http://www.tagesschau.de/ausland/asyl-gefaehrder-103.html