Gegen die Kurzsichtigkeit in der Klimadebatte

Was tausendjährige Bäume über die gegenwärtige Dürre verraten

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Die kürzlich im Journal of the American Water Resources Association erschienene Untersuchung "Tree Ring Reconstructions of Streamflow for Three Canadian Prairie Rivers" zieht den Bogen bis in die Zeit, in der es noch keine Wetteraufzeichnungen gab.

"Wir sehen in den letzten 100 Jahren nur geringe Schwankungen im Vergleich zur mehr als 1000jährigen Geschichte der wasserreichen Flüsse in Saskatchewan und Alberta", erklärt Roslyn A. Case von der University of California in Los Angeles (UCLA) und fährt fort, "die gegenwärtige Dürre folgt dem überaus wasserreichen 20. Jahrhundert". Auf die historischen Dokumente angesprochen, wonach der Westen Kanadas im "wasserreichen" Jahrhundert mehrfach von Existenz vernichtenden Dürreperioden heimgesucht wurde, meint Frau Case, dass die momentanen Klimaschwankungen überbewertet werden. Ihre Erkenntnisse gründen sich auf 178 Bäume aus drei Regionen des Saskatchewan River. Die Jahresringe der Bäume verraten die klimatischen Bedingungen, und so entsteht eine Sammlung von annähernd jährlichen Daten, die je nach Fundort 325 bis 1113 Jahre zurückreicht.

Die naturgegebenen Aufzeichnungen wurden für die letzten 100 Jahre mit den menschlichen Berichten und Messwerten verglichen und validiert. Aus dieser Sicht führte der Saskatchewan River Anfang des 20.Jahrhunderts das höchste Wasser. Demgegenüber lag der Wasserspiegel zwischen 900 und 1300 n.Chr. um etwa 20 Prozent niedriger als heute, und dann nochmals 1702-25 und 1841-59. Die Angaben sind Mittelwerte, die im Sommer sehr viel mehr Wasserverlust bedeuten als während der Wintermonate.

Trostloser Bauernhof während der Dürre in den 20er Jahren (Bild: Environment Canada)

"Gegenwärtig ist das Saskatchewan River Basin eine der größten und ertragreichsten Getreideanbaugebiete. Es ist nicht auszudenken, was passiert, sollte der Wasserspiegel wieder über zwei Jahrzehnte oder vier Jahrhunderte abfallen," so Roslyn A. Case.

Die Ergebnisse kommen zu einer Zeit, in der die jahrelang anhaltende Dürre in Nordamerika sowie die Dürre in Europa vielfach als unmittelbarer Ausdruck der globalen Erwärmung gedeutet werden. Die Union of Concerned Scientists (UCS) prophezeite Anfang des Monats ein Horrorszenario für die Großen Seen (Scientific Paper: Human Land Use Drives Climate Change at Local, Regional, and Global Scales), sollten nicht umgehend die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden. Dagegen wandte sich vor wenigen Tagen das Fraser Institut mit dem Report Greenhouse Gas Reductions: Not Warranted, Not Beneficial.

"Wir sind gegenwärtig nicht in der Lage, aus der Fülle der Klimadaten die richtigen Schlussfolgerungen für das praktische Handeln zu ziehen," erklärt Kenneth Green, Direktor am Risk & Environment Centre vom The Fraser Institute im kanadischen Vancouver.

Beide Berichte stimmen darin überein, dass wir in einer Periode der globalen Erwärmung leben. Indes besteht der Unterschied in der Beurteilung der Ursachen. Die UCS sieht die Veränderungen hausgemacht und erwartet die sofortige Kehrwende, weil sich sonst die Umweltbedingungen verschlechtern und schlimmstenfalls zum wirtschaftlichen Chaos führen. Im Fraser Institut bestehen erhebliche Zweifel an den Voraussetzungen, nämlich den modellhaft simulierten Voraussagen. "Die Klimamodelle geben sehr unterschiedliche Antworten und werten die Entwicklung der letzten 150 Jahre ebenso unterschiedlich," meint Kenneth Green. Ohne genaue Kenntnis der vielen, sich wechselseitig beeinflussenden Faktoren besteht die Gefahr falscher Zukunftsentscheidungen. Die Konsequenz ist nicht weniger chaotisch als Zuwarten, weil im Hau-ruck-Verfahren weniger sichere Technologien bevorzugt, und die Energiekosten unnötig und zum wirtschaftlichen Nachteil erhöht werden.

Zahlreiche kanadische Wissenschaftler hatten im Vorjahr den Premierminister gedrängt, das Kyoto-Protokoll nicht zu unterzeichnen. "Die Einführung," so wurde damals argumentiert, "ändert nichts an den Verhältnissen in Kanada, sondern bläht die Bürokratie auf und verlangt nach technischen Auflagen, die einzelne Firmen kostspielig installieren müssen, obwohl Kanada bereits jetzt unter den vorgeschriebenen Höchstwerten liegt. Die seit mehreren Jahren anhaltende Dürre in Nordamerika, für die es viele Vorläufer aus der vorindustriellen Zeit gibt, bleibt davon unberührt."

Kanada ist ein Agrarland: in der Fläche 26mal größer als die Bundesrepublik mit 1/3 der Bevölkerung von Deutschland. Die Region der großen Flüsse, durch Dekret König George II 1670 zur Besiedlung freigegeben, ist die Geschichte des unvorhersehbaren Wechsels zwischen überwältigender Fruchtbarkeit und biblischen Dürreperioden. Über die Not der Bauern gibt es Aufzeichnungen und Bilder aus der Zeit des I.Weltkrieges, aus den 20er, 30er und 60er Jahren. 1935 wurde die "Prairie Farm Rehabilitation Administration (PFRA)" tätig, um Damme und Wasserreservoire anzulegen. Dennoch: unabhängig von Bevölkerungszahl, Größe des Weidelandes und Ausmaß der Tierhaltung kommen und gehen die Trockenperioden. Die Niederschlagsmessungen zeigen erhebliche regionale Unterschiede, deren Ursachen von den Fachleuten der Umweltbehörde Environment Canada nicht gedeutet werden können.

Obwohl der Jetstream immer von Westen nach Osten zieht, ändern sich Form, Intensität und Lage (Breitengrad) von Tag zu Tag (Bild: Environment Canada)

Die Ansicht des Naturforschers J.W. von Goethe, der den Wasserkreislauf poetisch beschrieb, trifft unverändert zu; indes geben sich die modernen Wissenschaftler mit der genial einfachen Sicht nicht mehr zufrieden. "Ist die Temperatur eine Funktion des Wassers im Fluss, oder ist das Wasser eine Funktion der Temperatur, oder sind beide eine Funktion des Jetstreams?", gibt ein kanadischer Meteorologe zu bedenken, und weiter "ist der Jetstream in den letzten 1000 Jahren immer gleich geblieben?"

Der Fachmann spricht mit dem Jetstream ein Phänomen an, das von Piloten während des 2.Weltkrieges entdeckt wurde und als wichtiger Grund für die Fehleinschätzungen der Wettervorhersagen gilt. Die Kritik des Meteorologen will sagen: "Nichts ist so beständig wie die Unbeständigkeit." Diese Ansicht wiederum deckt sich mit der Meinung von Kenneth Green:

Die Temperatur ist eine Zustandsgröße, die ihrerseits von vielen weiteren Zustandsgrößen und sonstigen Einflüssen abhängt.