Gegenüber Russland wähnt sich der Westen noch immer im Kalten Krieg
Peter Scholl-Latour über das Verhältnis Russland-USA nach dem Asyl für Snowden, die Fehler, die gegenüber Russland begangen wurden, und die Entwicklungen in Ägypten und Syrien
Herr Scholl-Latour, die russische Regierung hat dem amerikanischen Whistleblower Snowden Asyl gewährt. Droht dadurch die Neuauflage des "Kalten Krieges" zwischen Moskau und Washington?
Peter Scholl-Latour: Was die Politik des Westens gegenüber Russland angeht, da meint man immer noch, auch vor dem Fall Snowden, man befindet sich im Kalten Krieg. Dabei hätte man Russland, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als Partner des Westens aufbauen können. Stattdessen setzte die Nato zu einem Ritt nach Osten an, dehnte sich aus, bis fast vor die Tore von St. Petersburg, wo Peter der Große einst die Öffnung nach Westen durch die Aufnahme Estlands manifestieren wollte.
Gerade in der heutigen Welt wären wir auf Russland als Partner angewiesen, bei den Problemen in Afghanistan, in Zentralasien, wie auch bei den anhaltenden Turbulenzen im Nahen Osten. Dafür hat man es aber geschafft, Russland zu einer strategischen Partnerschaft mit China zu bewegen, obwohl Russland China auch zu fürchten hat, zumindest langfristig. Es gibt im Westen keine ausreichende Wahrnehmung der Gefahren in einer multipolaren Welt.
Der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat McCain sprach in Bezug auf das russische Asyl für Snowden von einem Schlag ins Gesicht aller Amerikaner.
Peter Scholl-Latour: Nun, das ist natürlich Heuchelei. Die Amerikaner hätten doch umgekehrt genauso gehandelt, in anderen Fällen wurde das doch auch praktiziert. Fast bin ich mir sicher, viele Amerikaner halten eher die Enthüllungen Snowdens für einen "Schlag ins Gesicht". Sie haben nichts mit amerikanischen Werten zu tun, sondern eher mit der Schreckensvision von Georg Orwell. Wobei es natürlich auch etwas naiv wäre, wenn man davon ausginge, Geheimdienste, auch westliche Geheimdienste, würden sich immer an die jeweilige Verfassungen ihres Landes halten.
Kommen wir wieder auf Russland zu sprechen. In Ihrem 2006 erschienenem Buch "Russland im Zangengriff" analysieren Sie die geostrategischen Risiken, denen sich der größte Flächenstaat der Welt ausgesetzt sieht, nämlich den militanten Islamismus, die Nato-Osterweiterung, wie auch den Aufstieg der Volksrepublik China. Würden Sie das heute - sieben Jahre später - genauso formulieren?
Peter Scholl-Latour: Mit Sicherheit. In dem erwähnten Buch stellte ich auch die These auf, dass die NATO in ihrer heutigen Struktur völlig überholt ist. Damit ist nicht der "Atlantische Vertrag" gemeint, ganz im Gegenteil, sondern die NATO als Organisation, immer mit einem amerikanischen General an der Spitze.
Die NATO heute fungiert doch nur noch als Dienstleister der USA und deckt sich nur sehr bedingt mit den unterschiedlichen sicherheitspolitischen Konzepten von Europäern und Amerikanern. Es wäre im Sinne beider Seiten, dieses zu erkennen. Die Zeiten, wo Europäer und Amerikaner durch die gemeinsame Gefahr aus dem Osten zusammengeschweißt wurden und 1:1 die gleichen Interessen hatten, gelten in der heutigen Welt nur noch sehr bedingt. Heute operiert die NATO ja nur noch "Out of Area" mit sehr bescheidenem Erfolg.
Aber was wurde konkret gegenüber Russland falsch gemacht?
Peter Scholl-Latour: Putin wollte ursprünglich doch auch die Öffnung nach Westen. Als KGB-Mann hatte er in Deutschland gelebt. Er ist sicher kein Demokrat westlichen Typus, aus der historischen Perspektive Russlands, gemessen an anderen russischen Staatsoberhäuptern, ist er jedoch ein Westler - wohlgemerkt im russischen Sinne. Aber durch die NATO-Osterweiterung, die allen Abkommen nach dem Ende des Kalten Krieges widersprachen, die Russland fast auf die Grenzen von Brest-Litowsk wie nach dem 1. Weltkrieg zurückwarfen, durch das Zurückstoßen Russlands in den Osten, kam es zu einer Abkehr in der politischen Strategie Moskaus.
Die Forderungen des Westens nach Demokratie werden immer höchst selektiv vorgetragen
Machen wir einen Sprung nach Ägypten. Der demokratisch gewählte Präsident Mursi wird vom Militär gestürzt, die Reaktionen des Westens reichen von Lippenbekenntnissen bis hin zur klammheimlichen Freude. Bedeutet das vielleicht das Ende des von Ihnen kritisierten Stimmzettelfetischismus, also der Forderung nach demokratischen Prozeduren?
Peter Scholl-Latour: Nein, das denke ich nicht. Das ganze Szenario erinnert an Algerien, zu Beginn der 1990er Jahre, als das Militär mit heimlicher Billigung des Westens die demokratisch gewählte islamistische Regierung stürzte, was zu einem blutigen Bürgerkrieg dort führte. Man hat natürlich nichts daraus gelernt.
Die Forderungen des Westens nach Demokratie werden ja immer höchst selektiv vorgetragen. Gegenüber Saudi-Arabien hört man so etwas ja nie oder selten, dabei wird in Saudi-Arabien die strengste islamische Ausrichtung praktiziert. Im Westen wird der Iran immer als Schurkenstaat Nummer 1 dargestellt, dabei stört sich aber niemand daran, dass christlichen Priestern in Saudi-Arabien die Verhaftung droht, dass dort arbeitende Christen keine Messen abhalten dürfen, dass Juden dorthin die Einreise verweigert wird. Zum Dank liefern wir unsere Panzer dorthin, mit denen dann die Demokratiebewegung in Bahrain, wie auch im eigenen Land in Schach gehalten werden kann. Von anderen Beispielen, Libyen etc., ganz zu schweigen.
Ich frage Sie, was kann man diesbezüglich denn noch von den Forderungen nach Demokratie halten? Ich persönlich hätte nichts gegen eine "Pax Americana" einzuwenden, wenn diese dann funktionieren würde.
Steckt dahinter denn eine bestimmte Strategie des Westens? Immerhin plante der ehemalige US-Präsident Bush ja einen Leuchtturm der Demokratie im Post-Saddam-Irak zu errichten, der dann auf die Nachbarstaaten ausstrahlen sollte?
Peter Scholl-Latour: Das war sicherlich die Utopie von Bush, an die er fest geglaubt hat, die aber genauso kläglich gescheitert ist wie die Zukunftsvision von Francis Fukuyama, der vor rund 20 Jahren davon ausging, das Ende der Geschichte sei erreicht, die Menschheit habe nun die ideale Gesellschaftsformel gefunden, nämlich die amerikanisch-europäische Form der Demokratie und Marktwirtschaft.
Die Potentaten in diesem Raum können sich der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, solange sie den geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens dienen. Die Wahhabiten Saudi-Arabiens sind alles andere als gemäßigt. Von den extremistischen saudischen Wahhabiten geht die wahre Gefahr aus, sogar in Ländern wie Bosnien, also vor unserer Haustür. Nein, der Westen hat momentan keine Konzepte mehr, gegenüber seiner Politik im Nahen Osten oder der Levante, wie man ja auch am Beispiel Syrien erkennen kann.
Sitzt das Assad-Regime, nach den jüngsten militärischen Erfolgen, wieder sicher im Sattel?
Peter Scholl-Latour: Es hat sich zumindest wieder konsolidiert, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt mit welchen innen-, vor allem aber außenpolitischen Gegnern Assad es zu tun hatte, seit dem Ausbruch der Kämpfe dort. Wie es in Syrien weitergeht, wird natürlich von der Einflussnahme fremder Mächte dort bestimmt.
Ein Grund dafür, dass Assad trotz dieser Übermacht bisher nicht besiegt wurde, liegt in der Tatsache begründet, dass er im Lande nicht so unbeliebt ist, wie man im Westen behauptet. Nicht nur bei Alawiten und Christen, auch bei vielen bürgerlichen Sunniten wird er angesichts des drohenden Fanatismus der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front als das geringere Übel angesehen. Die Alawiten würden dann nicht nur ihren Einfluss verlieren, sondern wohl häufig auch ihr Leben. So etwas verstärkt natürlich die Widerstandskräfte. Es handelt sich dort um einen nackten Überlebenskampf .
Auch die USA halten sich bisher zurück.
Peter Scholl-Latour: Und das ist auch gut so. Bisher konnte sich US-Präsident Barack Obama den Kriegstreibern widersetzen. Eine militärische Intervention der USA mit Truppen am Boden wird es dort nicht geben. Das war ja auch in Libyen nicht der Fall. Eine Flugverbotszone würde zu erheblichen Problemen mit Russland führen. Die Russen stellen die Bedingungen, dass bei Verhandlungen auch die Assad-Regierung vertreten ist - was ja auch sinnvoll wäre.
Außerdem stelle ich mir die Frage, wer denn eigentlich die Aufständischen vertreten solle, in solchen Verhandlungen? Die Freie Syrische Armee ist innerlich zerstritten. Die Islamisten, die bereit sind zu sterben? Oder gar die syrischen Exil-Politiker, die seit Jahrzehnten im Ausland leben?
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