Gelbwesten: Die ungelöste Gewaltfrage

Archivbild, 8.Dezember 2018. Bild: Olivier Ortelpa. Lizenz: CC-BY 2.0

Acte XIII: Hollande macht sich Hoffnung auf einen Wiedereinzug in den Elysée-Palast

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Wenn sich sogar François Hollande Chancen auf ein Comeback im Elysée-Palast ausrechnet, dann ist das Zeichen dafür, dass durch die Proteste der Gelbwesten allerhand in Bewegung geraten ist. Offenbar werden im politischen Leben nun Dinge für möglich gehalten, die viele vor drei Monaten noch mit spöttischem Lachen quittiert hätten.

Wenn sich sogar der abgehalfterte Präsident Hollande solche Hoffnungen macht, dann ist die Regierung unter Präsident Macron in der Auffassung politischer Kreise stärker angeschlagen, als es der Eindruck nahelegt, den die Berichterstattung vermittelt.

Die großen Zeitungen, wie Le Monde, Le Figaro oder Le Parisien, um nur einige zu nennen, die Liste ließe sich aber leicht fortsetzen, berichteten am Wochenende davon, dass am dreizehnten Protestsamstag der Gilets jaunes nacheinander weniger Personen mobilisiert wurden als am Samstag zuvor.

Wie gewöhnlich werden als Referenz die Zahlen des Innenministeriums herangezogen: Nach Regierungsangaben hatten am Samstag landesweit 51.400 Personen an Demonstrationen der Gelbwesten teilgenommen und 4.000 in Paris. Am Samstag zuvor waren es offiziell 58.600 und 10.500 in Paris.

Am vergangenen Samstag, dem Acte XIII, hatten die Gilets jaunes eine eigene Zählung organisiert. Sie lieferte 111.010 Teilnehmer. Zu verifizieren ist keine der beiden Zahlen. Man kommt wie schon an den Protesttagen zuvor ins Grübeln über die offiziellen Angaben, wenn man Bilder mit den Schätzungen der Präfekten vergleicht (die Präfekten sind häufig die Quellen für die Zahlen des Innenministeriums). So wurden laut Le Monde für Toulouse 6.000 Teilnehmer angegeben.

Videoaufnahmen vom 9. Februar zeigen einen dichten und unübersehbar langen Demonstrationszug in Toulouse. Laut dazugehörigen Angaben gehen andere als die offiziellen Zählungen von einer Zahl zwischen 11.000 und 12.000 Demonstranten aus. Anhand des Eindrucks, den die Bilder machen, ist dies nachvollziehbar. Zum Falsifizieren der offiziellen Zahlen reicht der Eindruck jedoch nicht unbedingt, da bekannt ist, wie viel Eindruck mit Perspektiven gemacht werden kann.

Beeindruckende Präsenz der Gelbwesten in großen Städten

Allerdings ist der Verdacht, dass die offiziellen Stellen nicht nur in Toulouse, sondern auch in anderen Städten systematisch untertreiben, gut begründet. Die Regierung hat allen Grund die Teilnehmerzahlen herunterzuspielen, weil sie die Gelbwestenproteste auch nach dem 13. Protestsamstag noch fürchten muss.

Die Bewegung hat, wie dies Macron und ebenso sein Premierminister Philippe angesprochen haben, einen längeren historischen Vorlauf1 und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen langen Atem.

Bilder wie die erwähnten aus Toulouse zeigen, dass noch immer ein beeindruckendes Aufgebot an Gilets jaunes Präsenz auf den Straßen französischer Städte zeigt. Genannt werden Paris, Bordeaux, Montpellier, Dijon, Marseille, Caen, Metz, Lyon und das ist nur ein Ausschnitt. Man kann davon ausgehen, dass die Demonstrationen der Gilets Jaunes das Stadtbild und Gespräche am Samstag geprägt haben.

Daher liegt es ganz im Interesse der Regierung, wenn die Gilets jaunes in der öffentlichen Meinung mit Gewalt assoziiert werden und mit einer nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit, die wiederum wesentlich mit Gewalttätigkeiten in Verbindung gebracht wird.

Gewalt

Viele Medienberichte bilden genau das ab. Dass es aufseiten der Gelbwesten immer wieder zu brutalen, heimtückischen Gewaltakten gegen Journalisten gekommen ist, hängt damit zusammen. Allerdings scheinen sich auch Polizisten von Pressevertretern missverstanden zu sehen. Denn deren Gewalt gegen Journalisten, wie am vergangenen Samstag in Toulouse ist ebenfalls brutal und offenbar vorsätzlich.

Am vergangenen Samstag kam es zu mehreren Ereignissen mit der Überschrift "Gewalt": Einem Demonstranten wurde von einer explodierenden Polizeigranate mehrere Finger abgerissen, als er offensichtlich versuchte, die Granate, die in der Nähe seines Beins gelandet war, zu fassen und wegzuwerfen. Das Unglück passierte am Zaun in der Nähe des Parlaments Assemblée Nationale, wo es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten kam.

Der Zwischenfall, der den Demonstranten für sein Leben schädigen wird, ist symptomatisch für die Auseinandersetzung zwischen Regierung und den Gelbwesten, da er die Gefährlichkeit der Waffen der Ordnungskräfte vor Augen führt und in Widerrede stellt, was Innenminister Castaner, Regierungssprecher Griveaux wie auch Staatspräsident Macron entgegen der Wirklichkeit als Mantra wiederholen: Alle böse Gewalt geht von den Gilets jaunes aus, nicht von den Polizisten und auch nicht von den Gendarmen.

Das ist Regierungsarbeit einer Truppe mit dem Verständnis einer PR-Agentur, deren Führung sich an alten Filmen orientiert, in denen die Öffentlichkeit dirigierbare Masse ist, die am besten mit Propaganda geführt werden soll. Macron bekannte kürzlich gegenüber Journalisten seine Ansicht, wonach es ein Bedürfnis nach Befehlsgewalt gebe.

9.228 abgefeuerte Hartgummigeschosse

Wie Le Monde kürzlich berichtete, wurden seit 17. November (Acte I) bis zum Acte XI (für die beiden Protestsamstage seither gibt es noch keine Zahlen) 9.228 Gummigeschosse (LBD-40) gegen Demonstranten der Gilets jaunes abgefeuert. Wie dokumentierte Einzelfälle zeigen, wurden die Schüsse eben nicht nur in Notwehrsituationen abgegeben.

Es gibt laut dem Bericht von Le Monde dazu durchaus unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Polizeikräfte und es gibt Unterschiede im Gebrauch. Die Gendarmerie macht im Vergleich am wenigsten Gebrauch von den Hartgummigeschossen (1.065 abgegebene Schüsse). Überwiegend sind es Spezialkräfte, die schießen. 5.600 Kartuschen rechnet man den Interventionseinheiten (CI), den Einheiten für Sicherheit und Intervention (CSI), den Brigaden BAC (brigades anticriminalité) und BRI (brigades de recherche et d’intervention) zu.

Seit dem 1. Dezember, seit die Verwüstungen beim Triumphbogen Schlagzeilen in aller Welt machten, würden Polizisten schneller Mobileinheiten, sogenannte DAR-Kräfte (détachements d’action rapide), eingesetzt, die nach Angaben innerhalb der Polizei, die LBD ("Geschosse zur Verteidigung") auffallend oft einsetzen.

Das weiß die Regierung, zumal die Kontrollbehörde der Polizei in 136 Fällen ermittelt, aber in den Erklärungen ihres Sprechers, ihres Premierministers und ihres Präsidenten wird diese Wirklichkeit völlig ausgeblendet.

Diese Regierung kann nicht gut mit Widersprüchen umgehen, sie verhält sich nach einem alten Drehbuch und Muster. Wie viel politisches Geschick und Bewegungsmöglichkeiten ist ihr zuzutrauen, wenn sie sich solche Panzerungen anlegt? Dass Teile der Regierungspartei absprangen, als man vergangene Woche ein Gesetz gegen Randalierer bei Demonstrationen beschloss, das aus den 1970ern stammen könnte, spricht Bände.

Vandalismus

Allerdings kam es auch dieses Mal zu Gewaltausschreitungen unter den Demonstranten. Laut einem Bericht von France info soll es in Lyon zu Auseinandersetzungen zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen gekommen sein. In Paris wurden Autos angezündet: ein Auto der Ordnungskräfte, allerdings nicht von einem Gelbwestenträger, und der Porsche eines bekannten Küchenchefs.

Darüber hinaus gibt es auch vom vergangenen Samstag weitere Bilder eines bornierten willkürlichen Vandalismus Irregelaufener.