Gelbwesten: Prinzipielle Ablehnung einer Parteigründung

Foto: Thomas Bresson / CC BY 4.0

Das Projekt, Kandidaten für die EU-Wahl aufzustellen, laufe darauf hinaus, Macron zu wählen. Die Bewegung will laut Organisatoren "apolitisch" bleiben und in dieser Form der "alten Welt" konkrete und direkte Fortschritte abtrotzen

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Am morgigen Samstag, den 26. Januar, findet Acte XI der Gilets Jaunes statt. Es ist der elfte Protest-Samstag in Folge. Wie immer wird darauf geachtet werden, wie viele an den Demonstrationen teilnehmen, um in irgendeiner Weise einen Gradmesser dafür zu haben, wie die politische Kraft der Gelbwesten einzuschätzen ist.

Es gibt nicht wenige, die die Bewegung gerne ins gewohnte System einordnen wollen würden wie ankommende Puzzleteile in Tetris - allen voran Staatspräsident Macron und seine Regierung, die gerne ungestört von einer außerparlamentarischen ungeordneten Opposition mit ihren Reformen zugunsten einer unternehmerorientierten Wirtschaft fortfahren würden.

Der erste Schritt zur Integration ins politische System

Nun hat die Krankenpflegerin Ingrid Levavasseur einen ersten Schritt hin zur Integration ins ordentliche politische System gemacht oder versucht es zumindest. Wie erfolgreich ihr Schritt ist und wem er Erfolg verspricht, muss sich erst noch herausstellen. Levavasseur ist eine bekannte Mitstreiterin der Gelben Westen und will aus der Protestbewegung heraus eine politische Kraft formen, die Kandidaten zur EU-Wahl im kommenden Mai präsentiert.

Vorgestern hat sie die ersten 10 Kandidaten der Liste Ralliement d'initiative citoyenne präsentiert und ist damit in der größeren Öffentlichkeit auf positive Resonanz gestoßen, in der Bewegung der Gilets jaunes aber auf starke Ablehnung.

Fast 100-prozentige Ablehnung auf Facebook

Bei einer internen Abstimmung auf Facebook traf das Ansinnen, eine Kandidatenliste im Namen der Gelbwesten aufzustellen, auf eine fast 100-prozentige Ablehnung. 98 Prozent von abgegebenen 18.000 Stimmen waren dagegen, so die Pressemitteilung von "La France en colère", die einen gewissen Vertretungsanspruch bei den Gelben Westen geltend macht. Publiziert wurde die Pressemitteilung von Eric Drouet, der zu den bekannten Persönlichkeiten der Gilets Jaunes gehört. Er meint: "Gilets jaunes wählen, heißt Macron wählen."

Damit sind schon ein paar Probleme angedeutet. Wer vertritt die Gelben Westen? Wer darf im Namen der Gelben Westen was vertreten? Was bedeutet der letzte Satz? Welche Politik verfolgen die Gelben Westen?

Die "Stimme der Vernunft"

Die Mitgründerin der Liste, Ingrid Levavasseur, ist auch in Deutschland bekannt. Der Spiegel hat sie kürzlich als Wortführerin der Gelbwesten bezeichnet und interviewt:

SPIEGEL ONLINE: Wie können sich die Gelbwesten in Zukunft am besten organisieren?
Levavasseur: Erst einmal müssen wir uns einig sein. Vielleicht werden wir dann eine Partei gründen, die viel Zulauf bekommt.
SPIEGEL ONLINE: Wie Macron? Er war der letzte, der eine neue Partei gründete.
Levavasseur: Ja, warum nicht so ähnlich?! Ich würde trotzdem immer alles anders machen als er.

Spiegel online

Ihre Forderungen, soweit sie über das Spiegel-Interview bekannt wurden, die auch an dieser Stelle in Kontrast zur abgehobenen Sichtweise Macrons gestellt wurden, sind auf Verbesserung realer Verhältnisse ausgerichtet (Mehrwertsteuersenkung für Grundnahrungsmittel, höhere Gehälter für Angestellte etwa in sozialen Berufen). Kein Wunder, dass sie, wie in der konservativen Welt, als "Stimme der Vernunft unter teilweise zwielichtigen Gestalten der Gelbwesten" porträtiert wird. Levavasseur setzt auf diese Vernunft.

"Die am 17. November 2018 in unserem Land geborene soziale Bürgerbewegung unterstreicht die Notwendigkeit, Wut in ein menschliches politisches Projekt zu verwandeln", heißt es in einer Mitteilung der Bewegung. Derzeit bestehe die Liste aus zehn Namen, bis Mitte Februar soll sie auf 79 Namen erweitert werden.

Die Zeit

Ingrid könne machen, was ihr als gut und vernünftig erscheine, aber nicht im Namen der Gilets Jaunes, lautet die Position ihrer Kritiker in der sozialen Bürgerbewegung - ausdrücklich führen das Eric Drouet und Nicolle Maxime (aka "Fly Rider") aus. Beide treten als Organisatoren von Demonstrationen der Gilet jaunes auf Facebook in Erscheinung und haben einige Berühmtheit erlangt. Inwieweit sie die Bewegung vertreten, ist offen. Beide achten in Formulierungen darauf, es zu vermitteln, wenn sie Standpunkte der Bewegung vertreten.

So auch bei der Kritik an Ingrid Levavasseurs Projekt, die dennoch eine unverkennbar persönliche Note hat. Sie benutze mit ihrer Liste die Gilet Jaunes als Zugpferd, verdrehe aber deren Absichten. Für den Vorwurf, dass Levavasseur und der Mitgründer der Liste, Hayc Shahinyan, aus der Bewegung Reklame machen, gibt es Gründe, zum Beispiel der Name der Liste. Ralliement d'initiative citoyenne kann man ungefähr mit Sammelpunkt einer bürgerlichen Initiative übersetzen, das ist aber nicht der Streitpunkt. Der liegt in der Abkürzung "RIC".

Kaum jemand würde die Liste mit vollem Namen nennen, die meisten würden diese Abkürzung benutzen. Sie steht für eine der Hauptforderung der Gelbwesten, nämlich die nach einem "Referendum d'initiative citoyenne".

Nun ist es aber nicht so, dass die Liste für die Europawahlen genau diese Forderung nach einer Volksabstimmung mit weitreichenden, auch gesetzgeberischen Kompetenzen ganz nach vorne trägt, unklar ist, ob sie die überhaupt im Programm hat.

Anderseits wird RIC mit den Gilets jaunes beinahe synonym gesetzt.