Geld oder Leben?

1998 wird für kommerzielle Web-Inhalte ein Prüfstein

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Nach den goldenen Zeiten von Webhype und strammem Zukunftsglauben beginnt sich gerade auch in Deutschland ein verhängnisvoller Teufelskreis zu verfestigen. Immer mehr User drängen in die Netze, sind aber nach wie vor nicht bereit, Geld für den abgerufenen Content zu zahlen. Da die Geduld der Kapitalgeber zunehmend knapper wird, brechen Publishing-Angebote im Refinanzierungsstreß zusammen. Tendenz: gleichbleibend.

No risk, no fun.

Wer spendet Hubert Burda eine Mark? Wer kauft CompuServe noch Inhalte ab? Wer wird dem Cityweb trotz üppiger Finanzspritze im Herbst das Gnadenbrot verpassen? 1998 scheint trotz anhaltendem Online-Boom ein schweres Jahr zu werden. Kann man den schon fast vergessenen Zusammenbruch von Onlinediensten wie E-World oder Europe Online noch als Lehrgeld abfertigen und die Umstrukturierung von CompuServe und MSN als notwendige Erneuerung, so tut man sich bei den immer dünner werdenden Contents aus den Verlagshäusern schwer, hier nur interne Strukturkrisen zu vermuten. Es entwickelt sich zur frustrierten Einsicht zahlloser Content-Versuche im Web, daß gut gemachter Inhalt teuer ist und immer teurer wird, daß aber die Refinanzierung dieser Angebote dem guten alten Witz gleicht: Man kann jetzt sehr leicht 50-Mark-Scheine fälschen, aber die Herstellungskosten jedes einzelnen betragen 56,30 DM.

Die große Melkkuh Werbung hat sich bisher nicht im gewünschten Maß einbinden lassen. Zum einen sind Unternehmen, die Banner und Kacheln schalten lassen, auch nicht mehr mit nur sehr vagen Aussagen über Page-Views zufriedenzustellen (und angeklickte Banner sind so häufig wie privat auf Video archivierte TV-Clips), zum anderen stellen alleine 106280 registrierte DE-Domains (Stand: 8.1.1998), die weitaus mehr kommerzielle Websites beinhalten, eine schier unüberblickbare Masse an Werbeplattformen dar, die ein Unternehmen nur mit sehr hohem finanziellen Aufwand belegen könnte, um einen relevanten Teil der etwa 5 Millionen Surfer in Deutschland zu erreichen. Und dann kann man nicht einmal sicher sein, ob böswillige User nicht die Darstellung der Grafiken im Browser unterbunden haben oder schlichtweg herumkrabbelnde Suchmaschinen den Content speichern.

Manche mögen sich da an "schöne" Datex-J-Zeiten erinnern und an die scheinbare Gefügigkeit der Kunden, für jede aufgerufene Seite einen Pfennig-Betrag entrichteten. Das ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Pornographische Inhalte waren und sind immer schon die einzigen Köder gewesen, bei denen die Geldbörsen hängen blieben. Für das Wort zum Sonntag wurde auch damals nichts in den digitalen Opferstock geschmissen. Und selbst Business-Institutionen wie das Wallstreet Journal haben in ihren kostenpflichtigen Zeiten neun Zehntel der Klientel durch die Forderung nach einem Obulus verloren.

Eine Umfrage der Zeit unter seinen Surfern im Jahr 1996 zeigte eindringlich die Grundmentalität, daß im Internet Nehmen seliger denn Geben ist. Der mit damals schon mehr als 20.000 Usern gut frequentierte Stellenmarkt war den Nutzern im Durchschnitt unter 20 Pfennig im Monat wert. Zu wenig, um ein vernünftiges Abrechnungsverfahren zu gestalten. (Eine hämische Anmerkung sei erlaubt: Der gleiche Service in Printform kostet durch den Erwerb von 4-5 Ausgaben der ZEIT die Leser im Monat das Hundertfache.)

Kopfschmerzen in Marketing-Etagen

Auswege aus dem Dilemma zeigen sich wenige, soll der Rubel über die Website rollen. Vor allem in Verlagen, die von Inhalten und Reichweiten leben, scheint die Verblüffung groß, daß deren Domäne, das Publishing, im Internet nicht automatisch wieder in den gewohnten Schoß fällt. Strenggenommen haben sie aber diesen Lorbeer in der Online-Welt nie besessen, also läßt es sich darauf jetzt nicht ausruhen.

Zu leicht vergißt man, daß das explosionsartige Wachstum des Webs vor allem durch die anarchische, krude und oft vollkommen andere Erzählwege beschreitende Homepage-Kultur entstand, die am Anfang alles andere als kommerziell ausgerichtet war. Wer 1995 ins Web ging, nahm viel selbstverständlicher als heute seinen Weg in die privat und oft auch recht unprofessionell erstellten Online-Angebote von Studenten, Familienvätern und durchgeknallten Technikern auf sich. Content mit kommerziellen Interessen tauchte verstärkt erst 1996 und folgend auf.

Die rührigen Werbetrommeln haben nun dazu geführt, daß sich immer mehr Surfer ein Leben ohne www.bild.de oder www.praline.de gar nicht mehr vorstellen können. Im Gegensatz zu den smarten Designs (letztgenannte möchte man dabei eher ausschließen...) der Großen im Netz nimmt sich das Angebot von Lieschen Müller oft nur noch sehr jämmerlich aus. Der Standard ist beträchtlich gestiegen. Aber dieses TamTam der Profis frißt nun das eigene Engagement.

Es müssen nicht unbedingt Millionen sein, wie sie das Unternehmen Levis für seine Hosen-Site ausgegeben hat. Es ist auch nicht unbedingt ein zwanzigköpfiges Redaktionsteam nötig, aber die immer komplexer werdenden Multimedia-Sprachen, teure Datenbankverknüpfungen und die oft sechsstelligen Agentur-Kosten für eine Site lehren den Willigen das Fürchten. Dazu kommen monatliche Kosten für den Unterhalt. Bei einem deutschen Fachblatt für Marketing fließt nur jede fünfte Mark wieder aus der Online-Werbung zurück. Kein Einzelfall. Wer die Kosten für eine Online-Redaktion kennt und dann bei den belegten Werbeplätzen eine Daumenkalkulation im Kopf durchführt, wird auch bei "erfolgreichen" Sites nicht auf einen grünen Zweig kommen.

Die Grundfarbe deutscher Webauftritte ist rot

Das gilt nicht für zwei Modelle, die eine Finanzierung per Werbeeinnahmen in einem offenem System wie dem Web nicht voraussetzen. Zum einen sind das PR- und Marketing-Strategien. Zum anderen stellt der wachsende Bereich der Dienstleistungen im Web eine attraktive Alternative dar.

Galant aus der Misere heraus kommen die Unternehmen, und hier vor allem die Verlage, die die eigene Webpage nur als weiteres Tool des Marketings und der Kundenbindung sehen. Ein Münchner Verlag kann auf einen Kontaktpreis von unter 50 Pfennig verweisen, wenn er seine Online-User und die dadurch entstandenen Kosten gegenrechnet. Tendenz hier: weiter sinkend. Alleine die Kontaktaufnahme per Fax, Post oder persönlichem Gespräch wäre auf jeden Fall teurer. Hier herrschen also glückliche Gesichter.

Untersuchungen der AUMA haben den Kontaktpreis auf einer der großen Messen mit 100,- DM pro erfolgtem Gespräch taxiert. Man soll nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Vielleicht mag der Internet-Kontakt immer noch Fallobst-Qualität besitzen, aber der laut W3B-Studie prozentual sinkende Anteil an Studenten unter den Surfern zeigt, daß immer mehr Nutzer einer Website in hochattraktiven Zielgruppen beheimatet sind, die mehr als nur das Geld für ihre Studienbücher besitzen. Sieht man sich Auftritte von Versandhäusern an, die sich auf das Geschäft im Internet spezialisiert haben, so fallen die Beispiele noch spektakulärer aus. Amazon , deren Macher für 1998 den deutschen Markt ins Visir genommen haben, oder auch der mit 12 Millionen $ Umsatz gestartete Internet-Direktvertrieb von Apple zeigen, wo der Rubel langrollt. Die Kosten eines Internet-Auftritts werden hier buchhalterisch wie Telefon verrechnet und aus der Portokasse bezahlt.

Das Aus für redaktionellen Content im Web?

Push-Technologie, noch 1997 als großer Sieger im Online-Markt gepriesen, hat sich nicht als Geldbringer erwiesen. Channels sind auch mehr als Teaser gedacht, die die User auf die eigentlichen Websites bringen sollen. Dort beginnt das Dilemma erneut. Es gibt zu viele, zu gute, zu umfangreiche Newsserver, als daß auch nur ein User wirklich daran denken würde, eine müde Mark für seinen Mausklick zu opfern.

Information ist heute kein Mangelprodukt mehr, im Gegenteil. Weltwissen kann sich weiterhin mühelos alle zehn Jahre verdoppeln. Gerade durch digitale Speicher wird die Generierung von mehr Information über absehbare Zeit nicht durch verbrauchte Ressourcen begrenzt werden. Aber der Info-Overload ist Gegenwart. Letztendlich ist ein Mensch schon seit Leibniz nicht mehr in der Lage, dokumentiertes Weltwissen zumindest überblicksartig in sich aufzunehmen (Zweifel sollte man auch haben, ob es damals noch denkbar war). Zu viele Sender überfordern den einzelnen Empfänger.

Wichtiger wird daher die Informationsfilterung. Einen KFZ-Markt nach genau dem passenden Wagen durchzukämmen, stellt sich bei einer großen Tageszeitung als mühevoll und nervraubend dar. Eine Abfrage per Datenbank spart Zeit und könnte eine Alternative darstellen. Ähnliches gilt für News-Archive. Dort, wo die ersten Versuche mit dem Medium begannen, kann vielleicht auch wieder deren Schutzraum enden. Das mag enttäuschen, aber es ist Content-Betreibern bisher im Web kein anderer USP des Mediums gelungen, der auch nur einen Heller mehr springen lassen würde.

Erst wenn im Fall einer online geladenen Zeitung, die sich in papierartigen Displays aufbaut, oder im Fall eines über Nacht geladenen Musik- oder Filmträgers das Internet als reines Übermittlungs-Medium ohne Eigengesetzlichkeit sich etabliert, kann man sich im Augenblick ein Kostenmodell vorstellen. Hier ersetzen die Online-Gebühren aber nur den Kostenfaktor Papier, Medienträger, Vertrieb oder Senderleistung.

Redaktioneller Internet-Content bleibt dann das Steckenpferd oder die verarmte Zweitverwertung von Verlagen, die immer noch im Cyberspace träumen. Für andere ist hier kein Platz mehr, sollten User nicht irgendwann adäquat zur Kasse gebeten werden können.

Ein (noch) nicht (ganz) ernsthaftes Wort an unsere Leser
Stefan Krempl: Content is money!. Publikationen im Web auf der Suche nach Einnahmequellen und Geschäftsmodellen.
Christane Schulzki-Haddouti : Erst Masse, dann Kasse. Auch in Deutschland wird über Einnahmequellen im Web nachgedacht.