Content is money!
Publikationen im Web auf der Suche nach Einnahmequellen und Geschäftsmodellen.
Ähnliche Briefe wie unser - (noch) nicht (ganz) ernst gemeintes - Wort an die Leser im Editorial können nach Informationen dürstende Netizens auf immer mehr Webseiten entdecken. Wo gestern noch freie Fahrt auf der staatlich errichteten Datenautobahn herrschte, drohen schon morgen auf dem kommerzialisierten Superhighway Mautstellen die freie Fahrt und damit den Zugang zu den begehrten Inhalten zu blockieren. Vor allem etablierte "Markenartikel" wagen verstärkt den Schritt vor bzw. zurück zum alten Businessmodell, das bereits im Printbereich gut funktioniert hat: Werbung und Abonnementgebühr sind die zwei leistungsfähigsten Säulen, die Medienunternehmen - zumindest im Printbereich - bisher in schwarze Zahlen geführt haben.
Es begann mit einer relativ unscheinbaren Tageszeitung: 1994 entschied sich das Hausblatt des Silicon Valley, The San Jose Mercury News, als erstes Medienorgan weltweit Geld für seine Webinhalte zu verlangen. Nun wußte man in der High-Tech-Wunderregion natürlich schon lange, wie man aus dem Internet Profit schlagen kann. Eigentlich regte sich daher kaum jemand über die 59 Dollar und 40 Cents auf, die ein paar verrückte Geeks jährlich für die Lektüre einer Zeitung an ihrem Arbeitsplatz vor dem Screen hinblätterten. Trotzdem war das Abkassieren eine unerhörte Neuheit für das Web, in dem bisher jegliche Informationen und Medienangebote - mit Ausnahme von Playboy, Penthouse und Co - frei zugänglich waren. Da allerdings zahlreiche Leitartikel und Kolumnen des Mercury frei zugänglich blieben, fiel den meisten Lesern die neue Geschäftsstrategie nicht weiter auf.
People are realizing that the experimentation is over - '98 is about making money.
Jim Kinsella, General Manager MSNBC
Eigentlicher Vorreiter für das Abonnementmodell im Web war aber das Wall Street Journal. Nachdem die Site zunächst einige Monate kostenlos im Probebetrieb Leser angelockt hatte, machten die Herausgeber des renommierten Businessblattes im September 1996 Ernst und verlangen seitdem 49 Dollar für das Jahresabo. Ein Experiment nicht ganz ohne Risiko, da die Wirtschaftszeitung sowohl auf Werbeeinnahmen als auch auf Umsätze durch Abonnenten spekulierte und deswegen weiterhin auf einen möglichst großen Online-Leserkreis hoffte. Die Zahl der Interessierten sank nach der Einführung der Abogebühr erwartungsgemäß beträchtlich: von 700.000 zuvor registrierten Nutzern kamen 650.000 nicht mehr wieder. Mit den restlichen 50.000 kann das Journal nach Angabe des Leiters der Online-Ausgabe, Tom Baker, allerdings wunderbar leben: "Jetzt haben wir einen guten, printähnlichen Mix aus Werbe- und Abonnementeinnahmen."
Dann folgte 1997 ein Jahr der kleinen Schritte. Archive von Zeitungen und Magazinen spuckten plötzlich ihre Inhalte nur noch gegen Bezahlung aus, und die Online-Ausgabe des Economist folgte still und heimlich dem Börsenpapier aus New York - allerdings zumindest unter kompetitiven Gesichtspunkten: einen Dollar spart der Wirtschaftsinteressierte, wenn er das Wochenmagazin der Tageszeitung vorzieht. Ansonsten berauschten sich die Big Player im Medienbusiness genauso wie kleine unabhängige E-zines und Webprojekte eher an den regelmäßig veröffentlichten Marktprognosen für den Werbemarkt im Net. Haben die Zahlen doch auch durchaus etwas Verführerisches: Jupiter Communications stellte für das Jahr 2000 - bereits geringfügig relativiert im Vergleich zu früheren Erwartungen - 4 bis 6 Milliarden Dollar in Aussicht, 8 Milliarden bot Forrester Research - allerdings erst fürs Jahr 2002 -, und Mark Kvamme von der CKS Group, einer interaktiven Mediaagentur, träumte öffentlich sogar von einem 100 Milliarden Dollar Markt in naher Zukunft. Double Click, das mit einem prognostizierten Umsatz von rund 25 Millionen Dollar in 1997 erfolgreichste Network zur Vermarktung von Web-Ads, kündigte im Herbst vergangenen Jahres aufgrund der "rosigen" Aussichten seinen Börsengang für das Frühjahr 1998 an, obwohl das Unternehmen keine Gewinne erwirtschaftet und die Konkurrenz ständig wächst.
Doch gleichzeitig machte die Rede vom Shakeout im Web-Business die Runde. Die erste Euphorie war verflogen; Seiten- und Ad-Clicks hielten sich bei den Angeboten vieler unabhängiger Contentproduzenten in überschaubaren Grenzen, so daß es um ganze Genres wie etwa die Werbung und redaktionellen Inhalt untrennbar vermischenden Cybersoaps ganz schnell wieder ruhig wurde. Silicon Alley, die einst gefeierte und hippe Verschmelzung von Webagenturen, Designern und Textern in Manhatten, stagnierte und konnte nicht länger allein in der Hoffnung auf eine ertragreichere Zukunft leben, als die staatliche Unterstützung zu versiegen drohte. Die Hoffnung auf ein neues, sich aus der "gift economy" und Kollaborationsidee des jungen Internet entwickelnden Businessmodells schien sich als nicht tragfähig zu erweisen, als Mieten und Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten. Die Finanzchefs hatten plötzlich wieder die Oberhand über die Visionäre.
Ich glaube nicht, daß der ausgereifte Markt für Werbung im Web ausreichende Umsätze für uns abwerfen wird.
Rogers Weed, Herausgeber von Slate
zum endgültigen Jahr des Übergangs zum Business as usual könnte 1998 werden. "Diesmal meinen wir es wirklich" läßt Michael Kinsley, Chefredakteur des Microsoft-Magazins Slate seine Leser in Anspielung an die lange angekündigte, aber nie erfolgte Abonnementgebühr wissen. Bei seiner Einführung im vergangenen Jahr hatte Slate nach einem Protest der ersten Leser von der Idee zunächst wieder Abstand nehmen müssen. Nun sei der Markt aber reif, meint Rogers Weed, der Herausgeber des sich weniger als Netz-, denn als Politmagazin verstehenden Slate. Er setzt darauf, daß die geschätzten 140.000 Leser, von denen rund 60.000 die Seite regelmäßig besuchen, schnell dazu erzogen werden können, für ein qualitätvolles Produkt auch etwas zu bezahlen. Über die genauen Preise wahrt man in Redmond allerdings noch Stillschweigen.
Interessant an der Entwicklung ist, daß es nicht mehr nur die Special-Interest-Magazine für Porno- bis Sportfreaks sind, die den Markt reif fürs Handaufhalten beim Leser bzw. Zuschauer sehen. Neben Slate experimentiert beispielsweise auch das in San Francisco produzierte, eher literarisch ausgerichtete Webzine Salon (http://www.salonmagazine.com) mit einem Gebührenmodell, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Die normalen Inhalte sollen zwar kostenlos zugänglich bleiben. "Mitglieder" des Magazins, die sich für ein "Premium Abonnement" zu noch ungewissem Preis entscheiden, erwarten aber Rabatte bei kooperierenden Buch-, Reise- und Tickethändlern. Salons Herausgeber Michael O'Donnell glaubt mit diesem Modell zwischen Werbe- und Abofinanzierung seinem Magazin einen gerade entstehenden und unvorhersehbaren Markt erschließen zu können.
Als Selbstläufer sieht dagegen Bob Arnold, Chefredakteur von Business Week, die Ausdehnung des Abomodells auf die Onlineausgabe. Leser des Printmagazins hätten sich eh schon verwundert an ihn gewendet, warum die Inhalte sämtlicher weltweit erscheinender aktueller Ausgaben im Web kostenlos Wort für Wort nachzulesen seien. Wie bei vielen anderen Zeitungen und Magazinen wäre es auch bei Business Week von Anfang an klar gewesen, daß man eine Gebühr für den Content im Netz erheben wolle - unklar sei nur der Zeitpunkt gewesen. In den nächsten Wochen sei es nun soweit, es werde nur noch über den Preis diskutiert.
In den Vereinigten Staaten scheint es also nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das Surfen ohne Kreditkarte kaum noch befriedigend sein wird. Neben Businessweek haben auch Angebote wie Entertainment Weekly, Money, Disney Daily Blast oder MSNBC die Gebührenerhebung für weite Teile ihrer Sites entweder angekündigt oder bereits eingeführt. In Deutschland wird es dagegen noch etwas länger dauern, bis der Verkehr auf der Datenautobahn durch Gebühren und Mautstationen gebremst wird (siehe Christiane Schulzki-Haddouti über die Absichten deutscher Content-Anbieter) . Nicht etwa weil man sich in den Verlagen scheuen würde, Geld für Web-Inhalte von Surfern zu verlangen, die bereits durch vergleichsweise hohe Telefongebühren für Ortsgespräche auf ihre Kosten kommen - auch wenn dieser Punkt bei allen Vermarktungsplänen der Contentprovider eine wichtige Rolle spielen dürfte. Noch fehle es in Deutschland allerdings, so Thomas Borchert von Stern Online, schlichtwegs an der "kritischen Masse" von Internetnutzern. Doch aufgeschoben ist nicht nicht aufgehoben, wie das Beispiel Slate zeigt. Auch viele deutsche Magazine und Zeitungen werden in naher Zukunft ihre Online-Ausgaben nur noch nach Preisgabe der Bankverbindung oder der Kreditkartennummer des Lesers öffnen.
Ob mit dieser Entwicklung das Ende des "kostenlosen" Surfens insgesamt bevorsteht, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Bob Arnold von Business Week hat zumindest noch Hoffnung parat für Netizens, die nicht unbedingt über einen ähnlich prall gefüllten Geldbeutel verfügen, wie seine Leser aus dem Unternehmerkreis. Webseiten mit allgemeinen Inhalten wie Nachrichten, Wettervorhersagen und technologischen Informationen werden seiner Meinung nach auch in Zukunft gratis oder preiswert sein.
Ob die Eins-zu-Eins-Übertragung von Finanzierungsmodellen aus dem Print- oder Fernsehbereich wirklich langfristig dem neuen Medium gerecht wird, ist ebenfalls noch nicht allen Beteiligten klar. Viele Web-Publikationen spekulieren etwa auch auf die Möglichkeit, mit Hilfe von Micropayments minimale Summen für tatsächlich gelesene Beiträge kassieren zu können. Doch nach wie vor verhindern die vagen Sicherheitsvorkehrungen im Netz sowie der hohe administrielle Aufwand beim Inkasso die Einsetzbarkeit dieser Methode.
Wenig geändert hat sich auch an der Einstellung vieler (alteingesesser) Netizens zum Bezahlen. Immer noch gültig ist in ihren Augen der bereits in die allgemeine Internetkultur eingebettete Hackergrundsatz "Information wants to be free" - natürlich wörtlich genommen -, so daß allein der Gedanke daran, für Webinhalte Geld ausgeben zu sollen, bei vielen Magengeschwüre hervorruft. Die Suche nach gangbaren Businessmodellen wird gerade für unabhängige Informationsanbieter im Web also weitergehen. Und wer sich im schnellen Webgeschäft auf eine Strategie allein verläßt, könnte bald das Nachsehen haben.
Ein (noch) nicht (ganz) ernsthaftes Wort an unsere Leser
Harald Taglinger: Geld oder Leben! 1998 wird für kommerzielle Web-Inhalte ein Prüfstein.
Christane Schulzki-Haddouti : Erst Masse, dann Kasse. Auch in Deutschland wird über Einnahmequellen im Web nachgedacht.