Netz in Ordnung oder Netz am Ende?

Von Tabellenkalkulationen, Geld sowie Hämmern und ihren Auswirkungen auf die Netzökonomie

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Robert Raisch (The Internet Company) und Bob Rockwell (Blaxxun) im Gespräch mit Stefan Krempl über die nächste Generation des Netzes, den Druck der Monopole, die geld-goldenen, undurchsichtigen Brillen der Manager und die Auswirkungen der Kommerzialisierung auf die Netzkultur.

Robert Raisch und Bob Rockwell verdienen beide ihr Geld mit dem Internet: Raisch ist der "wissenschaftliche Kopf" bei The Internet Company:www.internet.com, Rockwell übt die gleiche Funktion bei Blaxxun aus, einer Firma, die Kommerz und Community in 3D-Design verpackt verbinden möchte. Beide Denker haben dennoch Vorbehalte gegen die momentan stattfindende Art der Kommerzialisierung des Internet und träumen von alternativen, den Geist des Internet widerspiegelnden Businessmodellen. Stefan Krempl unterhielt sich mit beiden über die ökonomische Zukunft des Netzes während der Internet World 1997 in Berlin.

Stefan Krempl über das Internet 2010

Das Netz ist ständig im Wandel. Es ist in die Aufmerksamkeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gerückt und unterschiedlichsten Interessenlagen ausgesetzt. Gibt es trotzdem Anhaltspunkte, wie die Zukunft des Internet aussehen könnte?

Antwort: Robert Raisch (RR) Anhaltspunkte und Überlegungen zur Zukunft des Internet gibt es viele. Doch fangen wir vielleicht besser bei der Vergangenheit an. Was wir gelernt haben aus der Geschichte des Net ist, daß neue Gemeinschaften dort entstehen, und daß die Leute wirklich miteinander kommunizieren wollen. Außerdem dürfte vielen klargeworden sein, daß jegliche Zentralität schlecht ist für das Netz, da eine Zentrale zwangsläufig Kontrolle ausüben wird und es dabei fast egal ist, ob diese Kontrollversuche wirtschaftlich oder politisch motiviert sind . Weiterhin haben wir über die ökonomische Basisebene gelernt, daß Bandbreite ein rares Gut ist, und daß die Namensvergabe an Rechner und auch das Routing von Daten kritische Punkte sind.
Halten wir das erst mal fest und schauen dann in die nächste Zukunft. Vor allem das IPv6 wird in diesem Zeitraum das Internet grundlegend verändern: Es wird mehr Sicherheit bringen, besseren Service, größere Möglichkeiten in der Skalierung von Netzwerken und bei der Prioritätsfestlegung von Datensendungen. Es wird zahlreiche Verbesserungen im Bereich Multimedia geben: Man wird gemeinsam über das Netz Theater spielen, Musik machen und interaktive Ausstellungen gestalten. Alle Verheißungen der Interaktivität könnten dann verwirklicht werden, man wird sich von überall und sofort einloggen und in den Cyberspace eintauchen können. Das Netz der Zukunft ist wirklich aufregend!

Bob Rockwell (BR) Vor allem das Gemeinschaftsgefühl im Netz wird noch viel stärker werden. Neue Kommunikationsplattformen bieten Zugehörigkeit über die Definition sozialer Kontexte an. Und im besten Fall werden sich aus diesen Beziehungen heraus auch ganz beiläufig neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben: Über Sponsoring, Listenfunktionen oder Datenbankservices beispielsweise. Business würde in die sozialen Aktivitäten ganz natürlich eingebaut werden, nicht so wie heute, wo man sich online langweilige Verkaufskataloge anschauen soll.

Hört sich alles wunderbar an. Könnte dabei auch was schief gehen?

Antwort: (RR) Was ich gerade beschrieben habe, ist nur die eine Seite der Medaille. Denn andererseits stellt sich natürlich die Frage, wer die neuen Servicequalitäten und Leistungsverbesserungen bezahlen soll. Es gibt da ganz eindeutige ökonomische Interessen und knallharten Druck von zahlreichen Lobbygruppen auf das Netz, die zwangsläufig fundamentale Veränderungen im heutigen Netzgefüge mit sich bringen werden. Das bisherige Finanzierungsmodell des Netzes wird sich, fürchte ich, nicht aufrechterhalten lassen. Momentan wird beispielsweise nach "peering Arrangements", also nach Pauschalkosten zwischen Internetprovidern abgerechnet. Das bedeutet, daß jeder eine feste Größe für den Datentransport zahlt, jeder Provider alles, was kommt, seine Leitungen passieren läßt und auch die Nutzer meist feste Monatsraten bezahlen.
Diese Vereinbarungen haben das Internet aus- und großgemacht, denn man kann das Internet insgesamt als die größte Vereinbarung ansehen, die es je auf der Welt gab. Doch spätestens mit der Implementierung des neuen Internet Protokolls werden die Grundabmachungen des Net wohl oder übel durch individuelle Service-Festsetzungen abgelöst werden: Internetprovider rechnen auf der Basis ihrer versendeten Datenpakete ab ("Packet Charge"), und der Austausch von Daten wird generell nur noch mit Vertragspartnern möglich sein. Die kleinen Provider müssen dann ziemlich tief in die Tasche greifen, um überhaupt noch einen Anschluß an die Netze der Großen zu erhalten. Und natürlich zahlen dann auch die Nutzer insgesamt mehr für einen Internetzugang und für ihr tatsächliches Datenvolumen.
Die Folge wird sein, daß sich die Providerlandschaft stark ausdünnt, die Zahl der Websites deutlich zurückgeht und selbst Mailinglisten schwerer zu finanzieren sein werden. Einen "kostenlosen Service" wird es im Netz einfach nicht mehr geben. Ich male das jetzt vielleicht etwas zu schwarz an die Wand, aber die Entwicklung ist in vollem Gange, und es müßte wirklich die gesamte Netzgemeinde aufstehen und brüllen: "I want my Internet!", um das Ruder herumzureißen.

Wenn Ihre Erwartungen einträfen, dann hieße das doch auch, daß es deutlich weniger alternative Webprojekte geben wird - eine Entwicklung, die den allgemeinen "Shakeout" von experimentellen Kunst- und Community-Sites durch die mit größeren finanziellen Polstern ausgerüsteten "Profi-Sites" der Medien- und Softwaregiganten noch verstärkt?!

Antwort: (BR) Ganz eindeutig! Immer wieder treffe ich in den Köpfen von Managern - übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Staaten - auf eine einzige Forderung: "Das Netz muß wirtschaftlich in Ordnung gebracht werden!" Da steht ein Drang dahinter, alles "ins Lot" bringen zu wollen, eine "vernünftige" Geschäftsbasis zu entwickeln und endlich was "Ordentliches zu machen". Und diese Denkweise zeigt natürlich ihre Effekte. Mich erinnert das fast an die deutsche West-Ost-Vereinigung, an die enorme Selbstgefälligkeit und den vermeintlichen Glauben, einfach das "bessere System" zu haben. Dabei hat Weizsäcker damals ganz richtig gesagt: Es gebe eine Menge von Möglichkeiten und es gehe nicht nur um das Geld, sondern auch um Solidarität.
Im Netz passiert jetzt gerade etwas ganz Ähnliches. Viele Geschäftsleute wittern nur das große Geld und wollen ihre altbekannten ökonomischen Modelle durchsetzen. Sie sehen oder ahnen zwar, daß das Internet zahlreiche alternative Möglichkeiten - auch für Unternehmen - bietet, aber das ist ihnen eher ein Dorn im Auge. Lieber betrachten sie alles durch ihre alte Brille weiter - kein Wunder auch, denn Marx hat ja schon erkannt, daß unser Denken durch unsere Werkzeuge bestimmt wird. Und wer eben nur mit Tabellenkalkulationen umgehen kann, wird sein Leben lang nur Geld zählen und den Geldmaßstab als einzigen Wert anerkennen.

(RR) Dazu fällt mir ein amerikanisches Sprichwort ein - hat Maslow, glaube ich, mal gesagt: "When all you have is a hammer, every problem looks like a nail."

(BR) Ja, genau. Doch eigentlich sollten auch die Unternehmen das Internet als eine geistige Herausforderung betrachten, statt alles plattzumachen. Schon Internetpioniere wie Douglas Engelbert haben in den 60er Jahren bereits Wege und Ideen aufgezeigt, was man mit dem Netz alles machen kann, daß Net-Working nicht nur ein technischer, sondern auch ein sozialer Begriff ist, der etwas über neue Arbeits- und Erwerbsmethoden aussagen könnte. Allerdings erfordert Net-Working einen Wandel in unserem Verhalten, und darin liegen für viele die größten Barrieren. Lieber nutzt man das Network allein zur "Rationalisierung" - ein Wort, das im geschäftlichen Kontext leider völlig falsch verwendet wird,- und zur Kostendrückung.

Der Begriff des Geldes und der Geldökonomie scheint mir eine sehr wichtige Rolle in unserem Gespräch und für die Zukunft des Internet zu spielen. Können wir diese Rolle noch etwas genauer herausarbeiten und Alternativen skizzieren bzw. die Frage klären, ob der Zug nicht längst abgefahren ist?

Antwort: (RR) Meiner Meinung nach müßte das Geld im Netz als eine Nebensache betrachtet werden. Die Hauptfrage sollte sein, wie man eine Umgebung schaffen kann, die das menschliche Wesen und seine Kommunikationsmöglichkeiten vorantreiben. Wenn man das richtig anstellt, kommt der Verdienst und das Geld fast automatisch dazu.

(BR) Es ist ein weitverbreiteter Mythos, das die gesamte Wirtschaft nur auf Geld basiert. Und ich bin wirklich besorgt über die damit verbundene Kommerzialisierung eines globalen Bewußtseins. Heute herrscht oft die Annahme vor, daß Geld wie ein Thermometer funktioniert, wie ein abstrakter, allgemeingültiger Wertmesser. Und deswegen ist die vom Netz groß gemachte und praktizierte "gift economy", die Ökonomie des Geschenks, eine Bedrohung für etablierte Maßstäbe. Dabei ist die Welt eben nicht vollkommen monetarisiert: ohne die gar nicht gegen Geld aufzurechnende Haus- und Sozialarbeit würde die gesamte Volkswirtschaft zusammenbrechen. Die Welt ist meiner Meinung nach nicht allein geldwirtschaftlich zu regieren. Und das Internet könnte tatsächlich neben der "gift economy" auch neuen Formen einer Tauschökonomie Raum geben. Allerdings wohl kaum bei dem momentanen Druck, dem das Internet und seine Netzgemeinschaften ausgesetzt sind.

Wer drückt denn da am meisten?

Antwort: (RR) Telefon- und Kabelgesellschaften sowie die großen Monopole aus allen Bereichen der informationsverarbeitenden Industrie.