Genderstern & Co.: eine festgefahrene Debatte

Alles Feminina: Bibliothek, Sprache, Schule, Bildung, Universität. Doch was hat das in früheren Jahrhunderten gebracht? Foto: Foundry Co auf Pixabay (Public Domain)

Über ein von Konservativen gefürchtetes Symbol des gesellschaftlichen Fortschritts, das keines ist

Die Sprache ist ein Femininum. Genau wie die Sonne, die Erde und die Wissenschaft. Schon lange. Auch die Universität war schon ein Femininum, bevor es im deutschsprachigen Raum Professorinnen gab. Die Männer hatten keinen Grund, das zu hinterfragen oder sich sprachlich benachteiligt zu fühlen, weil sie ganz real einen Haufen Privilegien hatten. Frauen half es damals auch nicht weiter, dass Männerdomänen einen weiblichen Artikel hatten - darunter sogar die katholische Kirche.

Beim generischen Maskulinum für Berufs- und Gruppenbezeichnungen soll das nun ganz anders sein; die arbeitende oder lohnabhängige Klasse soll deshalb nicht mehr "Arbeiterklasse", sondern "Arbeiter*innenklasse", "Arbeiter:innenklasse" oder "Arbeiter_innenklasse" heißen, falls sie überhaupt noch als Klasse wahrgenommen wird.

Große Schritte in Richtung Gleichberechtigung erzielte die Frauenbewegung im 20. Jahrhundert aber noch ohne Genderstern, Gap, Doppelpunkt oder "Binnen-I". So gesehen darf auch hinterfragt werden, ob progressive Menschen zwangsläufig in dieser Form gendern müssen, weil "Veränderung auch über Sprache stattfindet", wie beispielsweise die Redaktion Netzpolitik.org es begründet.

Emanzipation oder Ersatzhandlung?

Eher drängt sich der Eindruck auf, dass die Sprache als Kampffeld wichtiger geworden ist, weil anderweitig triste Stagnation herrscht oder nur ein Fortschritt im Schneckentempo zu beobachten ist. Der Gender-Pay-Gap - also der Abstand zwischen den durchschnittlichen Stundenlöhnen von Männern und Frauen - lag im vergangenen Jahr immer noch bei 18 Prozent. Dass sie sich im Vergleich zu 2019 überhaupt verkleinert hatte, lag nach Einschätzung des Statistischen Bundesamts nicht an einem ordentlichen Lohnplus für Frauen, sondern an den Lohnverlusten von Männern durch Kurzarbeit. Mütter, die ihre Berufstätigkeit während der Lockdown-Phasen ganz aufgegeben hatten, wurden hier logischerweise nicht mitgezählt.

Die Debatte um Genderstern, Gap und Doppelpunkt ist derweil festgefahren: Wer sich damit rein sprachlich nicht anfreunden kann, aber "trotzdem" links, für sexuelle Selbstbestimmung, für die "Ehe für alle" und für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, muss sich unter Gleichgesinnten rechtfertigen, weil es ja schließlich Leute wie der CDU-Rechtsaußenpolitiker Hans-Georg Maaßen und der unwitzige Comedian Dieter Nuhr sind, die sich am meisten über "gegenderte" Sprache aufregen.

Nun hat auch noch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die sonst mit der Maaßen-Fraktion wenig zu tun haben will, das Gendern mit Stern, Gap oder Doppelpunkt an Schulen in einem Erlass untersagt - in Klassenarbeiten soll es demnach als Fehler angestrichen werden.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den Spiegel hatten sich im Mai mit 53 Prozent gut die Hälfte der Befragten für ein "Genderverbot" für staatliche Stellen ausgesprochen - und nur 38 Prozent klar dagegen. Auch die Parteienpräferenz wurde abgefragt - nur bei den Grünen gab es eine deutliche Mehrheit gegen ein solches Verbot, SPD und Linke zeigten sich diesbezüglich gespalten. In Unionsparteien, FDP und AfD lag die Zustimmung bei mehr als zwei Dritteln.

Ob der Genderstern oder ähnliche Platzhalter vor der weiblichen Endung von Gruppenbezeichnungen, die für die Vielfalt der Geschlechter stehen, tatsächlich ein Ausdruck von gesellschaftlichem Fortschritt und Emanzipation ist, wird aber nicht nur von Konservativen und im rechten Lager bestritten. Als es "nur" um Frauen ging, drehte sich diese Debatte um das große "Binnen-I", damals hieß es "AkteurInnen" statt "Akteur*innen", "Akteur_innen" oder "Akteur:innen".

Die in der DDR aufgewachsene Schriftstellerin Daniela Dahn hielt nichts davon und verwies in diesem Zusammenhang auf reale Rollback-Erfahrungen und die Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsleben im Osten Deutschlands nach 1990:

Wer mit der Sprache gendert, hat Problembewusstsein gezeigt und scheint damit der Pflicht enthoben, sich auch noch für praktische Verbesserungen einzusetzen. In einer Gesellschaft, die immer noch sexistisch ist. Ein Zusammenhang von Jahrzehnten der sprachverschandelnden Lippenbekenntnisse und echtem Bewusstseinswandel ist nicht nachweisbar. Mir geht es eher um die soziale Realität. Deshalb war es mir lieber, eine DDR-Frau sagte: "Ich bin Traktorist", als dass sie, klüger geworden, gleich nach der Wende bedauerte: "Ich war Traktoristin".

Daniela Dahn, 2016

Wer dies als altbackene Eigenheit aus dem Osten abtun will, macht es sich definitiv zu einfach. Nele Pollatschek, die westlich sozialisiert und nicht einmal halb so alt ist wie die 1949 geborene Daniela Dahn, kritisierte 2020 in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel, "wie besessen Deutschland von Genitalien ist". Denn mit wenigen Ausnahmen gehe es beim Gendern um Genitalien, "nicht notwendigerweise um die, die wir sehen, aber um die, von denen wir denken, dass sie da sind", so Pollatschek. Ihre Forderung:

Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen.

Nele Pollatschek

Das mag zum Beispiel für Stellenausschreibungen problematisch sein, wenn Frauen und nicht-binäre Personen sich dadurch nicht oder weniger angesprochen fühlen. Aber ihre Begründung ist nachdenkenswert:

Die Standardvorstellung der meisten Berufsbezeichnungen ist nicht nur die eines Mannes, sondern die eines weißen, christlichen, heterosexuellen Mannes. Wenn es also eine Wortform für weibliche Berufsausübende braucht, bedarf es dann nicht genauso einer Wortform für jüdische oder schwarze oder schwule Berufsausübende mit Behinderung?

Wenn es wichtig ist, ein Wort zu verwenden, das die beiden Informationen "Bundeskanzler" und "Frau" oder "Schriftsteller" und "Frau" enthält, wäre es dann nicht genauso richtig, auch die Information "jüdisch" in das Wort aufzunehmen?

Warum fühlt sich Schriftstellerjude oder Schwarzgast so verdammt falsch an, wenn Schriftstellerin und Gästin im öffentlichen Diskurs nicht nur in Ordnung, sondern auch noch anti-diskriminierend sein sollen.

Solche Stimmen gehen in der öffentlichen Debatte beinahe unter, während die "üblichen Verdächtigen" auf den Genderstern einprügeln, weil er für sie Errungenschaften der Frauenbewegung und der queeren Emanzipationsbewegung symbolisiert, die sie gern rückgängig machen würden. Damit lösen sie im progressiven Lager Verteidigungsreflexe aus und verhindern eine unaufgeregte Debatte über elegantere Lösungen für geschlechtergerechte Sprache. Es gehe schließlich um Respekt und nicht um gute Lesbarkeit oder Eleganz, heißt es dann.

Dagegen ließe sich einwenden, dass Respekt vor Menschen jeglichen Geschlechts auch mehr Mühe und Kreativität bedeuten könnte, als bisher in der sperrigen Sprachkosmetik von Genderstern, Gap oder Doppelpunkt zum Ausdruck kommt. Wer darauf besteht, müsste sonst konsequenterweise nicht "Bürgermeister*innen" oder "Kanzlerkandidat:innen" sondern "Bürger*innenmeister*innen" oder "Kanzler:inkandidat:innen" schreiben. Beim Sprechen würde das jeweils zwei kurze Pausen oder Knacklaute mitten im Wort bedeuten.

Dabei gibt es längst elegantere Lösungen jenseits des generischen Maskulinums - der Journalistinnenbund hat auf der Plattform genderleicht.de eine ganze Reihe von Schreibtipps einschließlich geschlechtsneutraler Oberbegriffe zusammengestellt. Die Verwendung von Genderstern, Gap oder Doppelpunkt wird hier weder als Königsweg empfohlen noch pauschal abgelehnt. Vielmehr wird deutlich gemacht, dass es jede Menge Alternativen gibt.

Die Redaktion der Augsburger Allgemeinen erklärte im Juli dieses Jahres in eigener Sache , warum sie sowohl das generische Maskulinum als auch das Gendern mit Sonderzeichen in Zukunft vermeiden will.

Das ZDF sorgte dagegen unlängst für Kopfschütteln, indem es auch die Taliban als "Islamist*innen" genderte. Ob es nun ein Zeichen von Respekt ist, sprachlich Frauen und nicht-binäre Personen gleichermaßen für die Taten dieses reaktionären Männerhaufens haftbar zu machen, nur weil nicht hundertprozentig auszuschließen ist, dass sich unter einem der Fusselbärte eine weibliche oder nicht-binäre Seele verbirgt, die allerdings bei Strafe ihres Untergangs nicht entdeckt werden darf, sei dahingestellt. Mit Augenmaß und realitätsnaher journalistischer Sprache hat es jedenfalls nichts zu tun.

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