Generation Kernkraft? Wie junge Europäer über Atomenergie denken
Meinungen zur Kernenergie gehen in Europa weit auseinander. Prägen Länderkontexte die Jugend stärker als Fakten? Eine Analyse.
Das Thema Kernkraft polarisiert seit Jahrzehnten – und auch nach dem vollzoenen Atomausstieg in Deutschland ist es ein Gegenstand intensiver Diskussionen. Doch wie stehen junge Menschen in Europa zur Atomenergie?
Meinungsbild in Deutschland
In Deutschland ist die Haltung junger Menschen zur Kernkraft stark von der politischen und gesellschaftlichen Prägung des Landes beeinflusst. Nach den Katastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) ist in Deutschland die Skepsis gegenüber der Atomenergie stark gestiegen – und tiefer verwurzelt, als andernorts in Europa.
Diese Haltung zeigt sich auch in der Jugend: Umfragen belegen, dass eine Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland Kernkraft kritisch sieht.
Die Risiken – etwa durch radioaktive Abfälle, mögliche Unfälle und Sicherheitslücken – überwiegen für viele die potenziellen Vorteile. So fanden in im Auftrag des ARD-Deutschlandstrends erhobenen Umfrage im April 2023 rund 50 Prozent der 18 bis 34-Jährigen den Atomausstieg richtig – in der Gesamtbevölkerung bejahten diese Frage nur 34 Prozent.
Die größte Zustimmung zur Kernenergie gab es allerdings nicht bei den Senioren, sondern in der Altersgruppe der 35 bis 49-Jährigen. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Minderheit, insbesondere unter naturwissenschaftlich und technisch interessierten jungen Erwachsenen, die Atomkraft als Teil einer klimafreundlichen Energiepolitik betrachten.
Sie argumentieren, dass Kernkraftwerke im Vergleich zu fossilen Energieträgern keine CO2-Emissionen verursachen und als Brückentechnologie im Kampf gegen den Klimawandel dienen könnten.
Ein europäischer Vergleich: Differenzen und Gemeinsamkeiten
Im europäischen Vergleich fällt auf, dass junge Menschen in anderen Ländern teils deutlich offener gegenüber Kernkraft sind.
In Frankreich, wo Kernenergie einen Großteil des Strommix ausmacht, wird sie von vielen Menschen als unverzichtbar angesehen. So gaben in einer Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts ifop im Jahr 2022 75 Prozent der Befragen an, Kernenergie zu unterstützen.
In der Altersgruppe 18-24 war die Zustimmung zur Atomkraft mit 64 Prozent zwar am geringsten, jedoch deutlich höher als beispielsweise in Deutschland. In osteuropäischen Ländern wie Polen oder Tschechien, die ihre Abhängigkeit von Kohlekraft reduzieren wollen, unterstützen immer mehr Menschen den Ausbau der Kernenergie.
Hier dominiert der Pragmatismus: Klimaschutz und Energieunabhängigkeit stehen im Vordergrund. In Polen, das ein neues Kernenergieprogramm gestartet hat, sind die Zustimmungsraten in den letzten Jahren von 40-60 auf inzwischen 86 Prozent (2022) gestiegen.
In Tschechien liegt befürworten rund 80 Prozent der Bevölkerung die Nutzung von Kernenergie. Obwohl eine Aufschlüsselung nach Alterskohorten fehlt, kann man bei den hohen Gesamtwerten davon ausgehen, dass die Zustimmung auch in jüngeren Altersgruppen hoch sein muss.
Auch in skandinavischen Ländern ist die Zustimmung zur Kernenergie hoch und in den letzten Jahren weiter gestiegen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Novus zu Folge waren im Jahr 2018 weniger als ein Drittel der Schweden dazu beereit, bestehende Reaktoren weiterzubetreiben und gegebenenfalls neue zu bauen. Im Jahr 2024 stimmten dieser Aussage 59 Prozent zu.
Der selbe Trend lässt sich in Finnland beobachten, wo die Zustimmung zur Kernkraft in den vergangenen Jahren auf mittlerweile 61 Prozent gestiegen ist. Nur 9 Prozent der Finnen lehnen Kernkraft durchweg ab.
Ein Grund dafür könnte auch das Umdenken der finnischen Grünen in den vergangenen Jahren gewesen sein, die im Kontext des Klimawandels eine Neubewertung der Frage vorgenommen hat.
Auch in den skandinavischen Umfragen fehlt eine Aufschlüsselung nach Alterskohorten, jedoch dürfte bei einer Gesamtablehnung von 9 Prozent in Finnland auch hier abzuleiten sein, dass die Zustimmung auch in der jungen Alterskohorte relativ hoch sein dürfte.
Fazit: Generationenkonflikt oder Differenzen im Diskursraum?
Die Haltung junger Menschen zur Kernkraft spiegelt die unterschiedlichen politischen, kulturellen und historischen Kontexte der jeweiligen Länder wider.
Während in Deutschland ein stark normativ geprägter Diskurs dominiert, der die Risiken in den Vordergrund stellt, zeigen junge Menschen in anderen europäischen Ländern mehr Offenheit gegenüber den potenziellen Vorteilen der Kernenergie.
Dabei zeigt sich zwar sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine leichte Tendenz niedriger Zustimmung bei der jüngsten Alterskohorte. Jedoch scheint die Bewertung der Kernenergie deutlich mehr von den nationalen Diskursen als von Altersdifferenzen geprägt zu sein. Auffällig ist, dass in vielen europäischen Nachbarländern die Zustimmung in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist.