Genetisch manipuliertes Leben als Kunstwerk

In einem furiosen Aufsatz macht der amerikanische Biokritiker Jeremy Rifkin Anhänger transgener Kunst mit ihren fluoreszierenden Hasen zu den Propheten einer neuen Eugenik

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Man kann Jeremy Rifkin nicht unterstellen, dass er nicht wüsste, wovon er redet. Der amerikanische Visionär ist in der Welt der Biologie genauso zuhause wie in der Welt der Netze, der Arbeit oder - seit neuestem - des Wasserstoffantriebs. Sein Buch "Das Biotechnische Zeitalter" (The Biotech Century) ist auch fünf Jahre nach seinem ersten Erscheinen 1998 noch ein Standardwerk. Seine Mahnungen vor der Eigendynamik einer pränatalen genetischen Diagnostik gehören zu den eindringlichsten und plausibelsten Szenarien einer schönen neuen Gen-Welt. Nach 1998 ließ es Rifkin zunächst ruhiger werden um seine genetischen Visionen. Er beschäftigte sich mit Zugriffsrechten auf digitalen Content und mit Wasserstoff als Energieträger. Doch jetzt hat Rifkin sich in der Biotechnologie-Debatte zurück gemeldet, mit einem wortgewaltigen Kommentar in der Zeitung The Guardian.

Alba, ein "Werk" von Eduardo Kac

Das Kunstwerk als Flirt mit der Schöpfung

Ins Visier Rifkins geraten diesmal die Bio-Artisten, die sich gentechnologischer Methodik bedienen, um lebende Kunstwerke zu erzeugen. Zurückhaltende Anhänger dieser von ihrem prominentesten Vertreter Eduardo Kac "transgen" getauften neuen Kunstrichtung arbeiten zwar lieber mit Photoshop und digitalem Bildmaterial statt mit Enzymen, Pipette und lebenden Geschöpfen. Gemeinsam ist den meisten transgenen Kunstwerken aber das provokative Spiel mit der Natur, die Kombination von zuvor nicht zusammen gedachten Eigenschaften, die Synthese von Natur und Technik zu artifiziellen Hybridwesen.

Das berühmteste Beispiel dafür ist der von Eduardo Kac erzeugte (geschaffene? kreierte?) transgene Hase Alba. Alba wurde auf Kacs Wunsch hin in einem südfranzösischen Labor im Embryonalstadium mit dem Gen für das grünfluoreszierende Protein (GFP) ausgestattet. GFP ist ein den Biolabors rund um den Globus weit verbreitetes Signaleiweiß, mit dem sich via Einbau des entsprechenden Gens eine ganze Reihe von zellulären Strukturen in zahlreichen Tierarten visuell markieren lassen. Je nach Fragestellung fertigt man im Verlauf dann Gewebsschnitte solcher Tiere an und kann diese mit Hilfe einer speziellen Lampe unter dem Mikroskop untersuchen.

Sinnsprüche für Paranoiker, 1: Der Meister mag dir verborgen bleiben, doch seine Kreaturen kannst du kitzeln

Im Gegensatz zu den Heeren von Labortieren wurde Alba natürlich nicht getötet. Zweieinhalb Jahre nach ihrer Erzeugung hoppelt die Dame weiter fröhlich durch Kacs Wohnzimmer in Los Angeles, mit einem Fell weiß wie Schnee unter normalen Umständen und leuchtend grün bei entsprechenden Lichtverhältnissen.

Pig Wings von SymbioticaA

Auf Alba folgte ein wahrer Boom in der Biokunst: Auf der Ars electronica 2000 in Linz bewegten elektrische Potenziale aus Nervenzellkulturen einen Roboterarm. Die Kreation hieß Fish & Chips. Die Künstler gehörten dem australischen Labor SymbioticaA an, das kurze Zeit später mit einem Einsteiger-Bausatz für Bioreaktoren von sich reden machte. Im Projekt Pig Wings versuchte dieselbe Gruppe sich an der Herstellung von Flügeln aus Bindegewebszellen von Schweinen. Kac selber arbeitet seit Alba an künstlichen Schöpfungsszenarien wie The eighth day, wo sich fluoreszierende Pflanzen mit genmanipulierten Fischen treffen, unterhalten von Robotern, die die Energie zur Fortbewegung aus den Stoffwechselprozessen ebenfalls fluoreszierender Bakterien in ihrem, na ja, Kopf, ziehen.

Sinnsprüche für Paranoiker, 2: In der Arglosigkeit der Kreaturen spiegelt sich die Amoral des Meisters

Den Anlass für Rifkins jüngste Intervention bildet das neueste Kacsche Projekt: Genesis. Es war im Herbst in Paris zu sehen und tourt gerade durch die Vereinigten Staaten, wo es erhebliches öffentliches Aufsehen erregt. "Genesis" soll, so Kac, im Grenzgebiet von Biologie, religiösen Schöpfungsmythen und Informationsgesellschaft neue Orientierungspunkte finden helfen.

Die interaktive Installation Genesis von Edurado Kac

Hauptakteur, gewissermaßen der Messias, ist ein fluoreszierendes Bakterium, in das ein künstliches Gen eingesetzt wurde. Dabei handelt es sich um das biologische Transkript eines Teils der Genesis. Der Text wurde zunächst ins Morsealphabet übersetzt und dann in DNA-Basenfolgen umgeschrieben. Die Bakterien vermehren sich unter UV-Licht in einer Petrischale, und die Besucher sehen ihnen via Videokamera dabei zu. Durch Betätigung einer Art UV-Dimmer können sie zudem in begrenztem Maß Evolution (oder Gott) spielen: Je nach Wellenlänge und Intensität des gewählten UV-Licht erhöht oder verringert sich die Mutationsrate. Die Zuschauer werden so zu Autoren eines in biologisches Leben übersetzten und potenziell endlos variablen Schöpfungstexts.

Im Gegensatz zu den Künstlern selbst, die hoffen, dass ihre Kunstwerke das Publikum leichter zum Nachdenken anregen, als es wissenschaftliche Experimente jemals könnten, fürchtet Rifkin angesichts solcher Szenarien das Heraufdämmern eines neuen eugenischen Zeitalters durch die Hintertüren der Kunst. Er stellt Alba und ihre Verwandten in den weiten Kontext eines Trends, den biologischen Körper als das manipulierbare Kunstwerk schlechthin zu sehen. Ob gentechnisch veränderte Labortiere oder geklonte Mammuts, ob Freeman Dysons schizoide Vision eines fleisch- und blutlosen Lebens oder menschliche Zellkulturen, ob Präimplantationsdiagnostik oder Gentherapie: Durch Rifkins paranoide Brille betrachtet werden praktisch alle Produkte biotechnologisch inspirierter Phantasien zu Signalen eines Rückfalls in die Welt einer weithin akzeptierten Eugenik irgendwann zu Beginn des ach so dunklen 20. Jahrhunderts.

Sinnsprüche für Paranoiker, 3: Wem es gelingt, dir falsche Fragen einzureden, dem braucht auch vor der Antwort nicht zu bangen

Mit einer derartigen Wahrnehmungsprothese ausgestattet, wundert es dann auch nicht weiter, wenn Rifkin die unbenannte Gefahr schon werkeln sieht, sobald er nur die Haustür hinter sich lässt:

"Immer mehr Leute sehen bereits jetzt ihren ureigenen Körper als das ultimative Kunstwerk an, ein ständig sich veränderndes Projekt."

Rifkins Achse des Bösen erstreckt sich demnach von den abgeschottetsten Biolabors über naive Dino-Enthusiasten bis weit hinüber in die subkulturellen Großstadtmilieus zwischen New York und Tokyo, wo gepiercte junge Menschen ihr gesamtes Erscheinungsbild so schnell ändern wie David Beckham seine Frisur.

Rifkin macht einige Punkte gut, wo er versucht, die Idee des Körpers als Material künstlerischer Betätigung in die Geschichte der Gentechnik einzuweben. In einem genauso berühmten wie berüchtigten Aufsatz aus der Frühzeit der Genetik phantasierte Joshua Lederberg eine damals noch weit entfernte Zukunft, in der Gene gezielt von Menschenhand verändert würden und (menschliche) Kunst, nicht mehr biologische Evolution, das Leben vorantreibe. "Replacing evolution by art" heißt das berühmt gewordene Zitat im Original. Der entsprechende Artikel erschien unter dem Titel "Experimental Genetics and Human Evolution" in der Zeitschrift "The American Naturalist" im Jahre 1966.

Wissenschaftliche Hybris ist weiß Gott keine Seltenheit in der Geschichte der Genetik, wie in der Geschichte der Biowissenschaften überhaupt. Es stimmt auch, dass einer der ambitioniertesten wissenschaftlichen Versuche, die Natur zu einer Art Über-Kunstwerk zu erklären, eng an die Entwicklung der Eugenik zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende gekoppelt war, ohne allerdings mit ihr identisch zu sein.

Rifkin allerdings stolpert in die Falle, in die alle Paranoiker treten, wenn sie lockere und im Einzelfall hochvariable Zusammenhänge als feste Kausalketten interpretieren. Genauso wenig eindeutig wie der Zusammenhang zwischen Gewalt in den Medien und im Alltag ist auch der Zusammenhang zwischen Gentechnik und transgener Kunst, von anderer Körperkunst gar nicht zur reden.

Für Rifkins eigentliches Anliegen ist sein apokalyptisches Gemälde ohnehin kontraproduktiv. Wer im Interesse eines eugenischen Bedrohungsszenarios Kausalketten konstruiert, wo keine sind, der verringert nur das Bedürfnis, über Fragen zu diskutieren, die tatsächlich darüber entscheiden, wie diese Gesellschaft in einigen Jahrzehnten funktionieren wird. Wollen wir pränatale Diagnostik und wenn ja in welchem Umfang? Gibt es ein Recht auf gesunde Kinder? Wird ein Paar, das sich in einer gedachten Zukunft für eine natürliche Zeugung und gegen eine vorgeburtliche Diagnostik entscheidet, stigmatisiert, wenn das Kind nicht völlig gesund ist? Alles Fragen, die nicht zuletzt Rifkin vor fünf Jahren formulieren half.