Genmanipulierte menschliche Embryonen - Zweifel am Durchbruch

Seite 2: Tatsächliche Fehlerrate von 50 %

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Zudem ist Erfolgsrate deutlich kleiner, als sie auf den ersten Blick scheint. Zwar war bei 72 % der Embryonen keine Spur des mutierten MYBPC3-Gens mehr zu finden, aber in 50 % der Fälle wäre dies auch ohne CRISPR der Fall gewesen. Denn nur die Hälfte der Samenzellen, die von einem erkrankten Vater für die künstliche Befruchtung unbelasteter Eizellen verwendet wurden, trug das mutierte Gen.

Im besten Fall wurde also nur in der einen Hälfte der betroffenen Embryonen der Gendefekt korrigiert. Folgenschwerer ist jedoch die Tatsache, dass in der anderen Hälfte das Gen MYBPC3 stark beschädigt wurde: Der Eingriff mit CRISPR hatte zur Folge, dass wahllos DNA-Bausteine in die Schnittstelle eingefügt oder entfernt wurden. Das Gen wird damit in der Regel unbrauchbar, und die Embryonen können nicht für eine Schwangerschaft verwendet werden. Die Methode ist damit nicht unmittelbar für eine künstliche Befruchtung geeignet - dazu müsste die Fehlerrate auf nahezu Null sinken.

Nur ein Artefakt?

Während Knoepflers Kritik sich vor allem auf die praktische Anwendbarkeit bezog, kamen später grundsätzliche Zweifel an der Aussage von Mitalipovs Studie hinzu. Eine Gruppe von hochkarätigen Wissenschaftlern um den Stammzellforscher Dieter Egli monierte eine entscheidende Schwäche: Die von Mitalipov verwendeten Methoden beweisen im Grunde nur, dass die schädliche Mutation aus dem Erbgut verschwunden war - aber nicht zwingend, dass sie auch korrigiert wurde.

Ein Eingriff mit CRISPR ist nur zu Beginn gut steuerbar, wenn die Genschere den DNA-Strang an einer genau definierten Position schneidet. Die Folgen dieses Schnitts sind aber vielfältig: Die Mutation wird entweder korrigiert oder es werden wahllos DNA-Bausteine eingefügt oder größere Bereiche des Erbguts gehen vollständig verloren. Der Verlust an genetischer Information kann so groß werden, dass das Gen MYBPC3 aus dem Raster der Analysen fällt. So auch bei der Methode, die Mitalipov gewählt hat. Es ist durchaus denkbar, dass das Gen nicht mehr in den Analysen auftauchte - und damit fälschlich als korrigiert bewertet wurde. Sollte sich dieser Verdacht bewahrheiten, bleibt von dem angeblichen Erfolg wenig übrig.

Mitalipov hat die Kritik zur Kenntnis genommen, bleibt aber bei seiner Interpretation der Daten. Für die nächsten Wochen hat er neue Analysen und Beweise angekündigt; ob diese die Kritiker überzeugen können, bleibt abzuwarten. Den Streit beilegen könnte nur eine unabhängige Reproduktion der Ergebnisse, doch die wird auf sich warten lassen - nur wenige Forscher auf der Welt erhalten die Erlaubnis, mit einer ausreichenden Anzahl von Embryonen zu arbeiten. Die Zweifel werden wohl noch lange Zeit im Raum stehen.

Kein zwingender Grund für die Manipulation von Embryonen

Wie auch immer diese Kontroverse ausgeht - eine entscheidende Frage wird am Ende unbeantwortet bleiben: Aus welchem Grund sollten Forscher in die Keimbahn des Menschen eingreifen? Solange die Erfolgsrate nicht annähernd 100 % erreicht, wäre ein Einpflanzen der Embryonen in den Mutterleib kaum zu verantworten. Für eine künstliche Befruchtung müssten die geeigneten Embryonen weiterhin mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) selektiert werden.

Wenn eine PID jedoch unabdingbar, warum dann nicht gleich von Anfang an? Auch bei dem Szenario von Mitalipov wäre die Hälfte der Embryonen "gesund" gewesen, ohne den Eingriff mit CRISPR. Und selbst wenn beide Elternteile eine mutierte Genvariante tragen, sind in der Regel genug Embryonen vorhanden, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Die PID stößt erst dann an ihre Grenzen, wenn beide Genvarianten bei beiden Elternteile mutierte: Derartige Fälle sind zwar theoretisch denkbar, aber mit Sicherheit so selten, dass sie in der Praxis keine Rolle spielen.

Überzeugende Gründe, warum die Genmanipulation von Embryonen medizinisch notwendig sein sollte, sind derzeit kaum beizubringen. Und wie die Kontroverse um die jüngsten Versuche zeigt, bleiben auch die technischen Hürden gewaltig. Ein verantwortbarer Eingriff in das menschliche Erbgut ist daher - anders als viele Berichte suggeriert haben - höchstens einen winzigen Schritt näher gerückt.

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