Gentechnik für alle?

Seite 4: Synthetische Biologie: Sicherheit in der Zukunft

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Beobachter wie Rüdiger Trojok rechnen damit, dass sich die Gentechnik bei einem weiteren Fallen der Preise für Laborausrüstung, immer einfacher werdenden Verfahren und fortschreitender Miniaturisierung schon bald der Kontrolle und der alleinigen Nutzung durch staatliche Forschungseinrichtungen, Biotechnologieunternehmen und Großkonzerne entziehen wird.

Trojok ist selber Biohacker und untersucht zurzeit am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) Innovationsprozesse und ihre Folgen. Er ist Mitverfasser des Berichts "Synthetische Biologie - die nächste Stufe der Bio- und Gentechnologie", der sich mit einer ausführlichen Technikfolgenabschätzung an den Deutschen Bundestag wendet. Der Tenor der Studie: Der aktuelle Beitrag von Biohackern zur Synthetischen Biologie ist aufgrund ihrer beschänkten Möglichkeiten eher gering - bemerkenswert sind ihre zukünftigen Möglichkeiten, die sich aus Fortschritten in der Synthetischen Biologie ergeben könnten. Damit verbundene Befürchtungen des Missbrauchs lassen Biohacker bisweilen als unerwünschte Bürgerwissenschaftler dastehen. Das EU-Projekt SYNENERGENE erweitert die Diskussion um zusätzliche Aspekte, um den Dialog zwischen allen Beteiligten zu fördern.

Rüdiger Trojok hält das 1990 erlassene Deutsche Gentechnikgesetz für nicht mehr zeitgemäß. Angesichts der Tendenz zur dezentralisierten und miniaturisierten Gentechnik ließen sich die dort formulierten Regeln kaum noch sinnvoll umsetzen.

Das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Forschung, Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit sollte auch Biohackern und anderen interessierten Privatforschern zugestanden werden - über eine Art Stufenführerschein. Für jeden sollte der Zugang zum Wissen und zur Technologie offenstehen. Über Laborbaukästen hinausgehende Genbastel-Experimente sollten jedoch Leuten mit Biologie-Studium vorbehalten bleiben.

Denkbar sei eine Differenzierung in der Sicherheitsstufe S-1. Aus dieser Stufe könnten bereits Experimente ausgegliedert werden, die als etabliert und sicher gelten, weil kein von ihnen ausgehendes Risiko für Mensch und Umwelt bekannt ist. Sie sollten der Gesellschaft freigegeben werden, ohne die strengen Auflagen des Gentechnikgesetzes erfüllen zu müssen. Zur Anmeldung dieser Experimente böte sich ein Online-Register an, in dem legale Experimente gesammelt werden könnten.

Schon jetzt gibt es gesetzliche Spielräume, die ausgebaut werden könnten, nämlich bei Versuchen, die seit langem als sicher gelten und die in der Bildung zum Einsatz kommen, zum Beispiel die bei Erfüllung bestimmter Kriterien vom GenTG ausgenommene Selbstklonierung. Experimente mit Selbstklonierung lassen sich mit dem Blue-Genes-Experimentierkoffer von Roche ausführen, der als Lehrmaterial an deutschen Schulen kursiert, zum Kofferpreis von 830 Euro. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, eine ständig erweiterbare Positivliste mit biologischen Stoffen zu schaffen, die zum Beispiel als sicher bekannte Gene und Vektoren enthält, deren Verwendung in gentechnischen Arbeiten auch außerhalb registrierter Gentech-Labore legal würde.

Die erwartete dezentralisierte und globalisierte Nutzung der neuen Technologien wirft weitere Fragen hinsichtlich ihrer Sicherheit auf. Experten regen an, die geplante Verwendung sicherheitsrelevanter Gen-Sequenzen vor ihrem Einbau in artfremde Lebewesen online zu überprüfen - durch übergeordnete wissenschaftliche Instanzen, die noch zu schaffen sind. Zwar werden hier gerade für kommerzielle Anwendungen Probleme erwartet, weil Geschäftsgeheimnisse betroffen sind, die Wettbewerbsvorteile sichern sollen. Doch dieser Ansatz wird für gangbar gehalten, wenn es um die Belange der DIY-Biologen geht.

Ferner müsse überdacht werden, ob eine Freisetzung genetisch veränderter Organismen unter bestimmten Bedingungen erlaubt werden sollte, etwa von bereits als sicher geltenden Sequenzen oder veränderten Organismen - umfassende Kenntnisse über deren Verhalten in den Ökosystemen vorausgesetzt. Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt auf der Sicherheit der zukünftigen Nutzung von Gendatenbanken. Wie diese Formen einer digitalen globalen Selbstverwaltung umgesetzt werden können, ist aufgrund der Vielzahl verschiedener Interessen und den weltweit unterschiedlichsten Gesetzgebungen unklar.

Und ein weiteres Problem steht an: Mit der weiteren Entwicklung der synthetischen Biologie wird die Frage aufgeworfen, ob die zurzeit praktizierten Methoden der Risikobewertung überhaupt noch zeitgemäß sind. Kritiker bezweifeln die Ernsthaftigkeit aktueller Methoden, da sie nur Einzelaspekte aus einem Makrokosmos von Facetten herauspicke, anstatt sich einem deutlich umfassenderen Herangehen zu widmen. Um die Biosicherheitsforschung gemäß des Vorsorgeprinzips weiterzuentwickeln, erscheint es Beobachtern nötig, ungelöst im Raum stehende Streitfragen zur Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen erneut anzugehen

Über mögliche Folgen und Konsequenzen einer demokratisierten und dezentralen Nutzung der Genombearbeitung in naher Zukunft diskutieren Nachwuchswissenschaftler der Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Geistes- und Rechtswissenschaften sowie Biohacker und Künstler auf Einladung von KIT und ITAS gerade auf einer Klausurwoche in München vom 12. bis 17. März.

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