Gentechnik in Bioware?
Die neue EU-Verordnung zur Kennzeichnung von Bio-Lebensmitteln sorgt für Verwirrung
Die EU-Landwirtschaftsminister beschlossen am Dienstag eine neue EU-Verordnung zur Kennzeichnung von Bio-Lebensmitteln. Danach wird künftig der Grenzwert für Verunreinigungen durch gentechnische veränderte Organismen (GVO) auf 0,9 Prozent angehoben. Während dem Verbraucher bereits Böses schwant, betonen Politiker, dass die Verordnung keinesfalls ein Freibrief für Gentechnik in Bioware sei. Auch die Reaktionen der Bioproduzenten fallen unterschiedlich aus, da Gentechnik in Bio nach wie vor verboten bleibt und die Regelung nur bei zufälligen und technisch unvermeidbaren Verunreinigungen greift.
Die neue Verordnung enthält Kriterien, unter denen es künftig erlaubt sein soll, Lebensmittel als "biologisch" zu kennzeichnen. Ein bis zuletzt strittiger Punkt war die Frage des GVO-Toleranzwertes. Das EU-Parlament und auch einige Mitgliedsländer wie beispielsweise Österreich plädierten für 0,1 Prozent. Sollte dieser Grenzwert überschritten werden, müsste auch das Biosiegel fallen. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel hingegen schlug denselben Grenzwert wie bei konventioneller Ware vor, nämlich 0,9 Prozent, und setzte sich letztlich damit gegen das EU-Parlament durch.
Allerdings gibt es auch in der Biobranche und sogar unter den Grünen einige Befürworter der 0,9 Prozent-Regelung. Sie verweisen ebenso wie Fischer Boel darauf, dass die Regelung ausschließlich für das unbeabsichtigte Vorhandensein von zugelassenen GVO greift, die Verwendung von GVOs aber grundsätzlich auch weiterhin in der ökologischen Produktion verboten bleibe. Der grüne Europaabgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf erklärte dazu in der Bio-Infozeitung „Schrot & Korn“:
Bei einem Kennzeichnungsschwellenwert von 0,1 Prozent oder darunter müssten praktisch alle Bio-Erzeugnisse auf GVO getestet werden. Für Bio-Bauern und Verarbeiter würden die Kosten dadurch enorm steigen. Denn so weit, dass die Verschmutzungsverursacher die Kosten übernehmen, sind wir noch lange nicht.
Das österreichische Lebensministerium betont, dass „bereits bei einer Verunreinigung von 0,2 Prozent der Nachweis erbracht werden muss, dass es sich um eine technisch unvermeidbare Kontamination handelt“. Somit wäre die 0,9 Prozentregelung sicher kein Freibrief für GVO in Bioware. Die Debatte über einen eigenen Grenzwert für Bio-Produkte bei gentechnischen Verunreinigungen führt nach der Auffassung von Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ohnehin am Kern der Problematik vorbei:
Es geht ohnehin nicht darum, durch einen Sondergrenzwert die Schäfchen des Ökolandbaus aufs Trockene zu bringen. Der Anspruch, weiterhin und auf Dauer ohne Gentechnik wirtschaften zu können, muss für die gesamte Landwirtschaft gelten.
Die Gefahr gehe in dieser Sache eher von Seiten des deutschen Agrarministeriums aus. Laut BÖWL bestehe „der eigentliche Skandal darin, dass die Bundesregierung den Kennzeichnungs-Grenzwert von 0,9% missbrauchen wolle“. Dieser sei nur für den Fall gedacht, dass es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu Kontaminationen kommt. „Bundesminister Seehofer aber will ihn zu einer allgemeinen Verschmutzungslizenz und zu einem Ausschlusswert für die Haftung der Verschmutzer machen“, kritisiert der BÖLW.
Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Kirsten Tackmann, warnte dagegen im Vorfeld des EU-Argrarministertreffens vor einer Aufweichung des Bio-Marktes:
In Deutschland ist der Bio-Markt ein nachhaltig wachsender Wirtschaftsbereich mit zweistelligen jährlichen Zuwachsraten. Würde Bio nun von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) kontaminiert werden, könnte der damit verbundene Vertrauensverlust zu einer massiven Gefährdung dieser aufstrebenden Land- und Lebensmittelbranche werden.
Bioland-Präsident, Thomas Dosch, wiederum zieht eine gemischte Bilanz. Auch er fürchtet die Gefahr der Verbrauchertäuschung. Bioland kritisiert, dass sich die EU-Kommission vorbehalte, „praktisch jeden Aspekt der Verordnung ‚flexibilisieren’ zu dürfen, d.h. Mitgliedstaaten zu gestatten, die Verordnung in einzelnen Regelungsbereichen aufzuweichen, während strengere einzelstaatliche Vorschriften im Sinne eines gemeinsamen europäischen Marktes ausgeschlossen sind. Sollten diese Ausnahmemöglichkeiten großzügig und ohne die nötige Transparenz genutzt werden, drohen Wettbewerbsverzerrung und Verbrauchertäuschung.“
Als unterm Strich enttäuschend beurteilt auch Felix Prinz zu Löwenstein vom BÖLW die neue EU-Öko-Verordnung: „Nach anderthalb Jahren zäher Verhandlungen wurden nur wenige Verbesserungen erreicht, dafür enthält die neue Verordnung ein paar schwerwiegende Fehler“, so Löwenstein. Er greift insbesondere die Regelung an, nach der bei Nichtverfügbarkeit in Bio-Qualität chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Stoffe, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, eingesetzt werden dürfen:
Der Verzicht auf solche Stoffe bildet einen Grundpfeiler der ökologischen Lebensmittelwirtschaft. Sollte es eines Tages tatsächlich zur Aufnahme solcher Stoffe in die Anhänge der Vorordnung kommen, wäre nur noch Verbandsware, die solche Ausnahmeregelungen weiter kategorisch ausschließt, ein Garant für echte Bio-Qualität.
Allerdings könne die neue Öko-Verordnung erst dann abschließend beurteilt werden, wenn die dazugehörigen Durchführungsbestimmungen erlassen sind. Das EU-Biosiegel soll 2009 verbindlich eingeführt werden. Positiv wertet Thomas Dosch, dass ein Bioverband auch in Zukunft mit eigenen strengeren Richtlinien und entsprechenden Qualitätszeichen am Markt aktiv sein kann. Auch darüber wäre über Monate zäh verhandelt worden. Der kritische Verbraucher wird sich in Zukunft wohl eher an diese halten, als an das neue grün-blaue EU-Biosiegel.