Geringe Erwartungen an Johannesburg
Schon vor Beginn des UN-Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung fordern Umweltschutzorganisationen den Boykott. Kritik an Einfluss der Wirtschaft
Am heutigen Montag beginnt im südafrikanischen Johannesburg der Folgegipfel der legendären Rio-Konferenz von 1992. Doch worüber wird verhandelt? Glaubt man dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, beginnt ein "Umweltgipfel", Nichtregierungsorganisationen sprechen jedoch mehr von "Entwicklung". Tatsächlich fließen in den UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung die Konzepte von Entwicklung und Umweltschutz ein. Bis zum 4. September soll die Bilanz von Rio gezogen werden. Im Zentrum steht dabei der Ankündigung zufolge die Frage, wie die Staaten der sogenannten Dritten Welt wirtschaftlich aufholen können, ohne die Fehler der Industriestaaten im Umgang mit ihren natürlichen Ressourcen zu wiederholen.
60.000 Delegierte aus 180 Ländern kommen in den nächsten anderthalb Wochen zu Beratungen zusammen. Die wichtigsten jedoch fehlen. US-Präsident George W. Bush bleibt dem Gipfel fern, Gerhard Schröder wird erst zwei Tage vor Ende des Gipfels anreisen. Es scheint, dass nicht nur die westlichen Regierungen den Glauben an einen Erfolg des Treffens schon lange aufgegeben haben. Während sich die USA komplett zurückgezogen haben, ringen die Staaten der EU um gemeinsame Positionen und auch die in der Gruppe der 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsstaaten kommen auf keinen gemeinsamen Nenner.
So droht der Rio+10-Gipfel in Johannesburg zu einem traurigen Bilanztreffen des mit großen Hoffnungen abgeschlossenen Weltgipfels von Rio de Janeiro zu werden. Die damals festgelegten hehren Ziele sind fast komplett verfehlt worden. Die USA haben sich aus dem Kyoto-Protokoll zur Verringerung des CO2-Ausstosses zurückgezogen, das in direkter Folge der Rio-Konferenz ausgehandelt wurde. Auch die Ziele der Entwicklungshilfe sind klar untererfüllt. Angestrebt wurden 1992 in Rio eine Erhöhung der Entwicklungshilfe in den Industriestaaten auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Derzeit liegt Deutschland bei 0,32 Prozent. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bezeichnete das im Gespräch mit der Onlineausgabe des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel" unlängst als Erfolg.
Während in Johannesburg gekittet wird, was kaum mehr zu kitten ist, rufen Experten zum Boykott des Treffens auf. In einem Appell an Nichtregierungsorganisationen rät die "Bundeskoordination Internationalismus" das Fernbleiben vom Gipfel. Ein Blick auf die Entwicklung seit Rio lasse nur einen Schluss zu, heißt es darin:
Der Rio-Prozess ist gescheitert!
Aber wie konnte es soweit kommen? Beklagt wird von entwicklungspolitischen Gruppen vor allem die Umdeutung der fortschrittlichen Kriterien von Rio. Der Darmstädter Politikwissenschaftler Klaus Dieter Wolf erklärt das Konzept: Sustainable development, zukunftsfähige Entwicklung also, habe einst ein
für die entwicklungstheoretische und -strategische Nord-Süd-Forschung möglicherweise richtungsweisenden Ansatz mit einer neuen Leitkategorie aufgegriffen.
Dieser sei geeignet gewesen, als Gegenbegriff zum vorherrschenden industriell-kapitalistischen Zivilisationsmodell den (nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz) obsolet gewordenen Paradigmenstreit in der entwicklungstheoretischen Debatte auf einer neuen Stufe wieder aufzunehmen. Angeknüpft wurde an die im ersten Bericht des Club of Rome mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" (1972) angestoßene Grundsatzkritik an dem industriellen Wachstumsmodell, ohne sich dabei in Zielperspektiven wie die Errichtung einer ökologischen Weltregierung zu versteigen.
Von Grenzen der Entwicklung ist in Johannesburg keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil ist die Debatte um "nachhaltige Entwicklung" inzwischen vollends in ein marktwirtschaftliches Futeral eingebettet. Wurde die grenzenlose Expansion des Marktes in Rio noch problematisiert, präsentiert man sie in Johannesburg als Lösung alles Missstände.
In der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik hat sich ein technokratisches Problemmanagement etabliert, eine neue Vision gesellschaftlicher Entwicklung ist hier nicht mehr in Sicht,
heißt es auch bei den Buchautoren Christoph Görg und Ulrich Brandt (Mythen globalen Umweltmanagements. "Rio+10" und die Sackgassen "nachhaltiger Entwicklung", Verlag Westfälisches Dampfboot, 2002). Während der verschwenderische Umgang mit Ressourcen in den nördlichen Industriestaaten verharmlost wird, steht die Armut des Südens im in Johannesburg zu verhandelnden Textentwurf als wahres Problem da. Doch wird das diesem Zustand zu Grunde liegende historische Verhältnis zwischen Nord und Süd außer acht gelassen. Vielmehr fordert man die sogenannte Dritte Welt auf, zu modernisieren, technologisieren und industrialisieren. Federführend dabei ist die Welthandelsorganisation, unter deren Ägide die Entwicklung vorangetrieben werden soll.
Die These, dass diese so genannte Ökonomisierung der Nachhaltigkeitsdebatte kaum mehr umzukehren ist, findet immer mehr Anhänger. Die Vorbehalte zu Beginn des Gipfels sind daher groß. Während Greenpeace-Aktivisten am Samstag in einer spektakulären Aktion auf das Gelände eines Atomkraftwerkes im Norden von Kapstadt vordrangen, um Protesttransparente zu entrollen, werden dem Gipfel zahlreiche Vertreter Diskurs bestimmender Institutionen fernbleiben.
Ökonomische Globalisierung und das Regime der WTO werden durch die Gespräche über Nachhaltigkeit nicht gefährdet werden.
fasst Shalmali Guttal von Bangkoker Institut Focus on the Global South die Bedenken zusammen, Weil das Konsens unter den Delegierten sei, gebe es nichts mehr mitzureden.