"Germanische Medizin" lockt Krebspatienten in tödliche Falle

Kugeln mit Zähnen als Krebszellen und freundlich Kugel vor Blumen

Blumenbild: Christoph Knoch / Grafik: TP

Die "Germanische Medizin" verspricht Krebsheilung durch Konfliktlösung. Ihre Anhänger lehnen schulmedizinische Therapien strikt ab. Was kaum jemand weiß: Die Folgen sind oft tödlich.

Nicht nur in den USA wachsen die Zweifel an der Medizin, wie sie sich seit der wissenschaftlichen Erforschung der Krankheiten entwickelt hat und dennoch bis heute nicht alle Krankheiten heilen kann. Auch in Deutschland machen sich verstärkt seit der Coronapandemie Verschwörungsgeschichten breit, die jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren und Wissen durch Glauben verdrängen.

Eine immer menschenfeindlichere Umwelt, welche die menschliche Gesundheit durch PFAS, Mikro- und Nanoplastik sowie Pestizide und Zoonosen in bisher nicht gekanntem Ausmaß belastet, sorgt dafür, dass Betroffene ihr Heil in alternativen Heilmethoden suchen.

Blieben in früheren Zeiten noch Heilungsversprechen im Umfeld der Kirchen, vom Exorzismus bis zur Wallfahrt nach Lourdes, hat die Säkularisierung des täglichen Lebens diese Lösungsansätze weitgehend verbannt.

Reichsbürgerverschwörungen finden Anklang bei Patienten

Als Gründervater der "Germanischen Medizin" oder "Germanischen Neuen Medizin" (GNM) gilt der 2017 in Norwegen verstorbene ehemalige deutsche Facharzt für Innere Medizin und Theologe Ryke Geerd Hamer, demzufolge der Auslöser jeder Krankheit ein biologischer Konflikt sei, und zwar ein Schockerlebnis, das Hamer nach seinem in Italien ermordete Sohn Dirk als Dirk-Hamer-Syndrom (DHS) bezeichnete, als er und einige Mitglieder seiner Familie innerhalb relativ kurzer Zeit nach der Ermordung seines Sohnes an Krebs erkrankten.

Er entwickelte aus dieser Idee Anfang der 1980er Jahre eine Theorie der Krebsentstehung, die er als die "Eiserne Regel des Krebses" bezeichnete. Diesen seiner Ansicht nach ursächlichen Zusammenhang einer seelischen Belastung mit einer Krebserkrankung nannte er das Dirk-Hamer-Syndrom. Danach sei der Ort der bösartigen Neubildung durch den Inhalt des seelischen Konfliktes vorherbestimmt und das Fortschreiten der Krankheit verlaufe genau parallel zur Bewältigung oder der Eskalation des Konfliktes.

Ein Krebskarzinom sei ein "Sonderprogramm der Natur". Wer seine seelischen Konflikte löse, werde wieder gesund. Wer nicht gesund werde, habe daher bei der Lösung seiner Konflikte versagt. Schulmedizinische Methoden seien in jedem Fall schädlich.

In rechten Kreisen hat er bis heute großen Zuspruch, was möglicherweise auf seine Behauptung zurückgeht, die "jüdische Schulmedizin" würde den Nichtjuden aufgezwungen, während die Juden selbst die "neue Medizin" für sich benutzten. Als Beleg der Richtigkeit verwies Hamer anfangs auf etwa 300 protokollierte Krankengeschichten.

Der Krebs sei bei allen nicht mehr als eine Krankheit des Gehirns, bestätigt durch den Nachweis sogenannter Hamerscher Herde, die in einem Computertomogramm sichtbar seien und eine Manifestation des Konfliktes im zugehörigen Organ seien.

Hamer schloss alle anderen Krebsrisikofaktoren und Ursachen weitgehend aus, ebenso ist er gegen fast jegliche Art von herkömmlicher Therapie. Für Hamer waren Aids-Patienten traumatisierte "Smegma-Allergiker", Karies galt als Konflikt des "Nicht-zubeißen-Könnens", der dann entstehe, wenn deutsche Schulkinder von ausländischen Mitschülern bedroht würden und Diabetes galt für ihn bei linkshändigen Frauen als Ergebnis eines Sexualkonflikts.

Nachdem ihm die ärztliche Approbation entzogen worden war, hatte sich Hamer in einem Schloss in Düren eingemietet und dort ein Zentrum für seine Neue Medizin eingerichtet und dann illegal Krebspatienten durch "gutes Zureden" behandelt. 1997 war er wegen dreifachen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz zu 19 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Das Amtsgericht Köln sah es als erwiesen an, dass der 62-jährige Arzt 1995 ohne Zulassung drei todkranke Krebspatienten behandelt hatte. Seit 2007 war er dann auf der Flucht.

Am 11. Oktober 2016 erhielt er in Abwesenheit für sein Lebenswerk den Satirepreis "Das Goldene Brett".

Als Begründung für die Nominierung zum Satirepreis galt die Tatsache, dass zahlreiche Patienten, die der Germanischen Neuen Medizin vertrauten und wissenschaftlich fundierte Behandlungsmethoden ablehnten, in der unmittelbaren Folge starben. Die betraf im Jahr der Preisverleihung eine 18-jährige Krebspatientin in Italien, nachdem ihre Eltern aufgrund von Hamers Thesen eine Chemotherapie abgelehnt hatten.

Hamer weitete seine Methode im Laufe der Zeit auf zahlreiche weitere Krankheiten aus. Zudem wurden Stammtische zur GNM mit regelmäßigen Treffen organisiert. Die Folgen waren verheerend. Sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in Frankreich starben Menschen in der Folge der nicht wissenschaftlich belegten Hamer-Behandlung.

Hamer-Hypothese gilt als widerlegt

Wissenschaftlich belegt ist Hamers Theorie bis heute nicht. Epidemiologische bevölkerungsbasierte Studien aus Dänemark sollen eindeutig aufzeigen, dass es keine erhöhte Krebshäufigkeit bei Menschen mit Depressionen gibt und auch schwerwiegende psychische Stressfaktoren wie die ernsthafte Erkrankung eines Kindes zu keiner Erhöhung der Krebsinzidenz führen.

Bei Hamers Theorie handelt es sich nach weitgehend einhelliger Meinung der Fachwelt um eine in seiner Biografie und Träumen begründete Theorie ohne wissenschaftliche oder empirische Begründung. Seine Grundannahme gilt nach heutigem Erkenntnisstand als widerlegt.

Die Lehre der GNM wird dennoch bis heute intensiv im Internet auf verschiedenen Homepages und Diskussionsforen verbreitet. Krebsforscher warnen eindringlich vor der Verbreitung der Inhalte von GNM. Sie seien mit allem Nachdruck als gefährlich und unethisch zurückzuweisen. Von kruden Theorien und Heilungsversprechen sollte man sich nicht täuschen lassen.