Gescheit Laut geben

Über den Onlinewahlkampf zur Bundestagswahl - Teil IV: unabhängige Webangebote

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Was soll ich wählen? Diese Frage beantwortet seit mehreren Jahren das Angebot des Wahl-O-Maten (vgl. Willst Du mit mir wählen gehn?), der die persönliche Meinung mit den programmatischen Aussagen der Parteien abgleicht. Doch im Bundestagswahlkampf 2005 gibt es viel mehr interessante Seiten, die einen Besuch wert sind.

Der Paderborner Jörg-Olaf Schäfers betreibt seit Anfang Juni ein Weblog über Politik. Das Projekt lautgeben.de gründete er zusammen mit dem Betreiber des preisgekrönten netzpolitik.org-Blogs Markus Beckedahl. Schäfers, der mit medienrauschen.de in der Blogosphäre überaus bekannt ist, schreibt zusammen mit sieben anderen Autoren über politische Ereignisse: "An lautgeben.de schätze ich als einer der wenigen, die nicht vom Fach sind, die Zusammenarbeit mit interessanten Leuten. Das zukunftsweisende Konzept eines Blog-Verlags ist für mich besonders spannend." Lautgeben erscheint als Teil des Spreeblickverlages rund um den Berliner Blogger und früheren Radiomoderator Johnny Häusler.

Es hat sich als Politikblog unter den Top-Blogs etabliert, was Lautgeber Schäfers nicht verwundert:

Wir versuchen auf lautgeben.de, hinter politische Kulissen zu schauen. Dabei ist es oft eine Kleinigkeit, die ich bemerkenswert finde, die mir vorher gar nicht so aufgefallen ist.

Die meisten Beiträge finden so oder ähnlich ihren Ursprung. "Es ist die geradezu kindliche Neugier, Dinge zu hinterfragen." so Schäfers. "Ich schaue mir genauer die Mechanismen an." Dabei ist für lautgeben mit dem Wahltag noch lange nicht Schluss:

Bei einem Regierungswechsel wird die Zeit nach der Wahl doch viel spannender als der Wahlkampf selbst.

"Schafft es eine neue Regierung, ihre Konzepte zu kommunizieren? Werden Wahlkampfversprechen umgesetzt? Und wie kommt es beim Bürger an?" Lautgeben will als Blog mit bunter Mischung auf jeden Fall weitermachen - und damit mehr als nur ein Wahlblog sein.

Die Feuilletonleser der Republik freuen sich in diesem Wahlkampf über ein Blog, das keines ist: Unter wahltagebuch.de schreiben verschiedene Intellektuelle für die Heinrich-Böll-Stiftung ihre Gedanken in der Zeit zwischen Wahlankündigung und Wahltag auf. Wer sonst eher fußnotenbefüllte Texte verfasst, schreibt nun über aktuelle politische Themen. Doch trotz Kommentarfunktion will beim Lesen kein echtes Blogfeeling aufkommen, isoliert stehen die - lesenswerten - Beiträge im luftleeren Raum. Dass die Autoren nicht einmal untereinander Bezug nehmen und verlinken, ist schade. Doch trotz der offensichtlichen Distanz zwischen gewählter Form und dem Selbstverständnis der Autoren ist wahltagebuch.de eine intellektuelle Perle unter den Webseiten mit Wahlbezug.

Die Interaktion zwischen Bürgern und Kandidaten zu fördern, hat sich das Projekt kandidatenwatch.de vorgenommen: Bürgern stellen Fragen an die Kandidaten zur Bundestagswahl und diese werden - sofern vorhanden - mitsamt der Antwort veröffentlicht. Erfolgt keine Antwort, steht die Frage allein im Raum. Das Konzept scheint aufzugehen: "Der Antwortquotient ist in der letzten Woche um 10 Prozent auf knapp 54 Prozent gestiegen." freut sich Nadine Ebinghaus vom Träger des Projekts, dem Verein Mehr Demokratie. Die Kandidaten nehmen die Möglichkeit wahr, öffentlich Stellung zu den Fragen zu beziehen, die Bürgern unter den Nägeln brennen. Aufgrund des Erfolges überlegt Ebinghaus schon über eine Fortführung des Projekts nach der Wahl: "Wenn die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, werden wir es auf Bundesebene weiterführen." In Hamburg führt der Verein bereits seit dem letzten Jahr eine entsprechende Plattform unter dem Namen abgeordnetenwatch.de durch.

Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Projekt zur Bundestagswahl 2005 ist die Site wahlblog.de. Hier bloggen normale Internetnutzer und Politiker in einem gemeinsamen Forum über Ereignisse und Hintergründe des politischen Geschehens. Der Initiator Nico Lumma freut sich über den Zuspruch:

Wir sind mit dem Anspruch gestartet, eine Meinungsvielfalt zu bieten, Blogger sowie Politiker auf einer Plattform zu versammeln und andere Themen zu diskutieren. Das haben wir erreicht. Wir haben ebenfalls eine gewisse Aufmerksamkeit erreicht und einige interessante Diskussionen auf dem Wahlblog geführt.

Damit das so bleibt, habe das Wahlblog nun auch mit dem Livebloggen von Parteitagen angefangen. Doch ob das wahlblog.de ein Erfolg ist, möchte er noch nicht abschließend beantworten. "Das Wahlblog hat sicherlich dazu beigetragen, dass das Thema Weblogs bei den Parteien und den Medien stärker wahrgenommen wird." so Lumma. "Ob wir letztendlich erfolgreich sind, diese Beurteilung überlasse ich gerne anderen."