Geschichtskonflikt zwischen Polen und Belarus
Verfemte Soldaten, pazifizierte Dörfer, neuer Blick auf die Akten
Durch Polens Ringen um das Eigen- und Fremdbild seiner Geschichte bahnt sich derzeit auch ein Konflikt mit Weißrussland an.
In Minsk ist man wenig erbaut darüber, dass eine Person der Nachkriegsgeschichte durch das polnische "Institut für Nationales Gedenken" (IPN) eine Art Rehabilitierung erfährt. Es geht um Romuald Rajs, Kampfname "Bury" (Braungrau), ein Kommandant der polnischen Untergrundorganisation Heimatarmee, der sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Nationalen Militärunion anschloss, eine antikommunistischen Partisanengruppierung.
Rajs sind Massenmorde an der weißrussischen Minderheit im Raum Bialystok Anfang 1946 nachgewiesen. Dabei wurden Männer von Dörfern exekutiert, sowie einige Gebäude mit Bewohner angezündet, "Pazifizierungen" genannt. Dabei wird davon ausgegangen, dass "Bury" die weißrussische Minderheit allgemein im Verdacht hatte, auf Seiten der Kommunisten zu stehen. Im Jahre 1948 wurde er von polnischen Einheiten gefasst und darauffolgend durch den Strang hingerichtet.
Noch im Jahre 2005 erklärte das IPN, die Vergehen Rajs und seiner Einheit trügen Züge eines Völkermordes. Am 28. 02.2019 wurde diese Einschätzung revidiert. Weißrussen seien nicht wegen ihrer Ethnie gestorben, der Tod von Frauen und Kindern bei den Kampfhandlungen sei nicht geplant gewesen. Durch die kommunistischen Behörden seien die Vergehen aufgebauscht worden.
Darauf wurde der polnische Botschafter in Minsk einbestellt. Glaubt man der staatlichen Nachrichtenagentur "Belta" habe es empörte Reaktionen im Parlament gegeben. Vor allem war die Bemerkung anstößig, dass "Bury" allein fünf Dörfer angegriffen habe, es hätten ja mehr sein können.
Dieser Konflikt ist der Gedenkpolitik des polnischen Regierungslagers geschuldet, die eine Verehrung der "verfemten Soldaten" verlangt, der Einheiten, die ein kommunistisches Polen unter sowjetischer Regie nicht hinnehmen wollten und den bewaffneten Kampf fortsetzten. Die Hauptaktivitäten erstreckten sich auf die ersten Jahre nach Kriegsende. Die Verbrechen im stalinistischen Polen, das Vorgehen der Roten Armee, NKWD und "Urzad Bezpieczenstwa", eine Art polnische Geheimpolizei, gegen Widerstand in der polnischen Bevölkerung wurde in der Volksrepublik Polen nicht offen thematisiert. Ende der 1980er Jahre wurde diese Zeit dann intensiv aufgearbeitet.
Die jetzige nationalkonservative Regierung in Polen etabliert nun einen regelrechten Kult um die Kombattanten. Staatpräsident Andrzej Duda erklärte am 1. März, dem Gedenktag der antikommunistischen Kämpfer: "Derjenige, der die verfemten Soldaten beleidigt, wird sich mit ewiger Schande bedecken." Ein Imperativ auch an Historiker, sich bei ihren Thesen umzusehen, da sie nicht gegen die Regierungslinie verstossen sollen. Bezeichnenderweise fand am Gedenktag ein Umzug von polnischen Nationalisten in Hajnowka zu Ehren von "Bury" statt, der von Protesten begleitet wurde.
Krimi über die echten Leichen im Keller
Auch die Autorin Katarzyna Bonda, wuchs in der Kleinstadt an der Grenze zu Belarus auf. Mit dem Roman "Der Rat der Gerechten", der Anfang März auf den deutschen Buchmarkt kam, nimmt sie Bezug auf die echten Leichen im Keller - die ermordeten weißrussischen Dorfbewohner aus dem Jahr 1946, auf die die fiktive Sasza Zalusk bei einem Mordfall in der Jetzt-Zeit stößt. Während der Hochzeit in der Kleinstadt Hajnowka verschwindet die Braut - der verlassene Bräutigam, ein Holzhändler mit weißrussischen Wurzeln, gerät schnell unter Verdacht.
Für die Autorin, die selbst weißrussische Wurzeln hat und ein eine weißrussische Mittelschule in Hajnowka besuchte, war die Recherche eine schmerzhafte Reise in die eigene Vergangenheit. Wie die Heldin der Geschichte musste die Autorin, die einst als Gerichtsreporterin arbeitete, viel Geduld aufwenden, um Zeitzeugen zum Sprechen zu bringen. Bonda gilt als erfolgreichste wie kontroverseste Krimi-Autorin, die international gelesen wird, und, wenn es auch recht übertrieben scheint, die Literatur-Subgattung "Polenkrimi" zu feiern, so lohnt doch ein Vergleich zum "Schwedenkrimi".
Dort haben die Leser im deutschsprachigen Raum, die Vorstellung von einem Land mit Wohlstand und roten Häuschen auf grünem Wiesengrund im Hinterkopf - vor diesem Harmonieszenario wirken dann besonders abscheuliche Morde als größtmöglicher Kontrast. Der Schauplatz Polen wird hingegen mit Krieg und Kriegsverbrechen und aktueller Kriminalität verbunden. Keine Gegend, wo das Gros der deutschen Leserschaft selbst literarisch gern hinreiste, ganz im Gegensatz zu Skandinavien.
Auch was die Reaktionen in den Schauplätzen angeht, gibt es noch einen Unterschied zu schwedischen Krimis. Im westschwedischen Fjällbäcka, Kindheitsort und Krimi-Schauplatz der Erfolgsautorin Camilla Läckberg, wo die Einwohner primär als Mörder beziehungsweise Mordverdächtige gezeichnet werden, freut man sich über die kostenlose Werbung. Schließlich zieht dies Touristen an.
In Hajnowka selbst war man über den Roman, der in Polen 2015 unter dem Titel "Okularnik" (Der Brillenträger) herauskam, alles andere als begeistert, es gab empörte Reaktionen, wie sonst auch die Konservativen in Polen nicht begeistert waren. Polenkrimis scheinen wohl doch näher an realen Untaten zu sein.
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