Geschlechterverhältnis und Stellenwert von Care-Tätigkeiten in der Gesellschaft
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Auch eine Kritik an feministischen Missverständnissen
Von der Qualität von Care-Tätigkeiten für Kinder, Kranke und Senioren hängt viel ab. In der modernen und kapitalistischen Gesellschaft kommt ihnen jedoch ein nachgeordneter Stellenwert zu. Spezialisierung und Zweck-Mittel-Rationalität haben in modernen Betrieben und Organisationen Priorität. Klar bezifferbare Leistung und Produktivitätssteigerung sowie die Verlagerung von Kompetenzen in Maschinen und Apparate stehen im Mittelpunkt.
Care-Tätigkeiten vertragen sich schlecht mit der effizienten Bearbeitung von Objekten und der sachlichen Distanz zu ihnen. Kein Wunder, dass bei diesen Maßstäben das Sich-Kümmern um Kinder, ihre Erziehung durch ihre Eltern sowie die Betreuung kranker Angehöriger oder Freunde ins Hintertreffen geraten.
Eine andere Ursache für die Nachrangigkeit von Care-Arbeit ist der Vergleich, in den sie durch die kapitalistische Ökonomie gestellt wird. Arbeit, die Mehrwert schafft, bildet hier den herrschenden Maßstab. Für die Verwertungserfordernisse der Kapitale stellen viele gesellschaftliche Bereiche (Bildung, Gesundheit) zwar notwendige Bedingungen dar. Sie ermöglichen aber nur ausnahmsweise (Privatkliniken, Privatschulen) profitables Geschäft.
Meistens werden sie öffentlich finanziert aus Steuereinnahmen und erfordern also kostspielige Abzüge zulasten der profitablen Wirtschaft. An ihnen gilt es dann so weit wie möglich zu sparen. Die schlechten Arbeitsbedingungen (Personalschlüssel in Kliniken, Klassengröße in Schulen) bilden eine Konsequenz.
Insofern, jedenfalls bislang, faktisch vor allem Frauen kleine Kinder umsorgen, wirkt sich das nachteilig auf ihre Stellung im kapitalistischen Erwerbsleben aus.
Solange das Erwerbsleben zugeschnitten ist auf den Vollzeiterwerbstätigen, der weitestgehend frei von Familienverpflichtungen dem Betrieb mit ganzer Arbeitskraft zur Verfügung steht, werden Personen, die dies nicht können oder nicht wollen oder von denen nur erwartet wird, dass dies irgendwann der Fall sein könnte, Nachteile im Beruf in Kauf nehmen müssen.
Krombholz 1991, 226
Bei Schwangerschaft ist eine neue Arbeitskraft zu suchen und einzuarbeiten. Kleine Kinder sind für Krankheiten anfällig. Arbeitskollegen haben dann Mehrarbeit zu leisten. "Eben mal" Überstunden oder eine plötzlich anberaumte Zusatzarbeit sind für Mütter häufig nicht möglich. Bei ihnen können leichter Störungen des effizient geregelten Arbeitstages anfallen, wenn der Kindergarten plötzlich anruft, weil das Kind fiebert, oder wenn die Tagesmutter überraschend absagt. Mütter kleiner Kinder unterliegen Einschränkungen in der Verfügung über ihre Arbeitskraft.
Frauen stellen insofern ein "unternehmerisches Risiko" dar, solange sie gebärfähig sind. Auch Frauen, die sich aktuell keine Kinder wünschen, könnten es sich ja noch anders überlegen. Die Einstellungskriterien beziehen sich auf Maßstäbe, die nicht daraus resultieren, dass die Unternehmer Männer sind. Auch Unternehmer:innen müssen so handeln, um ihr Kapital zu erhalten, und das heißt, es zu vermehren.
Nachteile für diejenigen, die Care-Tätigkeiten ausüben
Wenn jemand unter den gegebenen Bedingungen bei der Versorgung des Nachwuchses die Arbeit aufgibt, dann eher die Person, die weniger an Einkommen nach Hause bringt. Frauen haben durch Unterbrechung ihrer Erwerbsbiographie infolge von Schwangerschaft erstens durchschnittlich geringere Chancen zum Aufstieg in Betrieben bzw. Organisationen. Ein Kreislauf bildet sich heraus, in dem die Nachteile, die Frauen mit Kindern in der Erwerbsarbeit haben, diese Frauen in die innerfamiliäre Arbeit drängen.
Zweitens existiert eine geschlechtsspezifische Unterteilung des Arbeitsmarkts. Männer bilden eine winzige Minderheit unter Sprechstundenhilfen, eine kleine Minderheit unter Erziehern und immer noch eine Minderheit beim Krankenpflegepersonal. Frauen sind unter Mechanikern, Elektrikern und Ingenieuren selten.
Frauen wählen im Durchschnitt faktisch eher Arbeitsstellen, die schlechter bezahlt sind. Hinzu kommen als sekundäre Ursachen für die Ungleichheit der Arbeitseinkommen, dass die Tätigkeiten eher in Klein- als Großbetrieben erbracht werden, der gewerkschaftliche Organisationsgrad dort gering ist und es entsprechend schwerfällt, kollektiv für die eigenen Interessen einzutreten.
Auch der Altersunterschied zwischen Partnern in einer gemischtgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft spielt eine Rolle. Immerhin bei 23,7 Prozent betrug im Jahre 2019 in Deutschland der Unterschied vier bis sieben Jahre, bei 14,2 Prozent sieben bis elf Jahre. Und dann heißt es leicht:
Alle Frauen, die ich kenne, die Kinder bekommen, kommen gar nicht mehr auf die Idee, dass die Erziehung und Arbeit auf beide verteilt werden könnte. Denn immer verdienen die Männer mehr (weil sie meistens vier, fünf Jahre älter sind, das ist in dem Alter entscheidend), oder weil sie besser bezahlte Berufe haben.
Faller 2006
Für die moderne und kapitalistische Gesellschaft ist die Unterordnung der selbst nicht an Kapitalverwertung orientierten Bedingungen der Mehrwertproduktion unter ihre Imperative charakteristisch. Um ein Resultat von Frauenfeindlichkeit oder "Männerherrschaft" handelt es sich dabei nicht. Wir haben es vielmehr mit indirekten Konsequenzen zu tun, die aus den allgemein geltenden Maßstäben des Geschäfts- und Erwerbslebens resultieren. Wirkungen mit Zwecken zu verwechseln ist ein Fehler.1
Der "unökonomische" und "ineffiziente" Anteil von Care-Tätigkeiten
Die in der eigenen Familie erbrachte Hausarbeit, die Erziehung und Care-Tätigkeiten unterscheiden sich nicht nur von Arbeit in modernen Betrieben und Organisationen mit ihren Maßstäben der Effizienz und der Zweck-Mittel-Rationalität, sondern auch von mehrwertproduktiver Arbeit.
"Die Trennung Arbeit/Hobby/Freizeit lässt sich bei der Hausarbeit nicht per definitionem lösen. So ist Kochen mit Sicherheit Hausarbeit, Wäsche waschen auch; aber wie ist das mit einem Pullover für den Mann stricken, einen schönen Blumenstrauß hinstellen, mit den Kindern spielen?- die Grenzen sind flüssig. […] 'Verzettelung'" muss "als wesentliches Merkmal der Hausarbeit" gelten, insofern "ständig kurzfristig die Tätigkeiten gewechselt werden und, auf der andern Seite, auch häufig verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig verrichtet werden. (Die Frau übt beim Abwasch mit dem Kind ein Diktat (Keil 1978, 97f.).
Das Umfeld kann gestaltet werden, äußerlich, akustisch. Pausen können individuell genommen und gestaltet werden. Solche Privilegien sind in Betriebshierarchien erst auf einer hohen Ebene möglich. Und ein Teil der zu leistenden Arbeit kann auch noch lustbetont sein: "die verspielten, verschmusten, verplemperten Nachmittage zusammen mit dem Kind" (Dilloo 1992)
Stach 1993, 268
Familienarbeit bedeutet die Gestaltung eines vielschichtigen, in der Realität eben nicht quantifizierbaren Prozesses.
Gesterkamp, Schnack 1998, 138
In den Diensten der Frau innerhalb der Familie oder Paarbeziehung wird keine Ware erzeugt, die die Frau infolge ihrer Hausarbeit oder ihrer emotionalen Unterstützung auf den Markt bringt. Anders verhält es sich dort, wo Personen Dienstleistungen (als Reinigungskraft, als Koch, als Pflegekraft) auf dem Markt anbieten und diese Offerten auf zahlungsfähige Nachfrage nach ihnen treffen.
Die Arbeit, die unter Voraussetzung der kapitalistischen Marktwirtschaft, als Dienst einer Person für eine andere Person innerhalb einer Paarbeziehung oder einer Familie geleistet wird, "ist ökonomisch wertlos, da ihr Gebrauchswert, der ja, von der Nützlichkeit […] her betrachtet, ohne Zweifel ein außerordentlich großer ist, auf dem Markt nicht gefragt ist und von daher auch keinen Tauschwert besitzt.
Für die Logik des Kapitals, die Gebrauchswerte nur als Träger von Wert kennt, liegt nichts Widersprüchliches darin, dass die für die gesellschaftliche Lebenserhaltung ganz unentbehrliche, nützliche Arbeit der Kinderaufzucht wertlos ist, während für die Existenz der Gesellschaft überflüssige und schädliche Gebrauchswerte Profit versprechen und daher produziert werden" (Müller 1976, 22).
Die in der kapitalistischen Marktwirtschaft gegebene ökonomische Wertlosigkeit sowohl von Diensten im eigenen Haushalt als auch von der Erziehung von eigenen Kindern stellt keinen Verstoß gegen das Wertgesetz dar, sondern seine Konsequenz. (Zur Kritik an der feministischen These, die Kapitalismuskritik (speziell ihre Bestimmung des Werts der Ware Arbeitskraft) ignoriere den "Wert" der Hausarbeit, vgl. Seccombe 1974, Beer 1983, insbes. S. 30f., Rohwer 1985, Schlosser 1982, 43-73.)
Wer es normativ darauf absieht, alle Arbeit als produktiv anzusehen, sieht von zwei realen Unterschieden ab. Erstens dem Unterschied zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert von Arbeitsprodukten oder Dienstleistungen. Zweitens dem Unterschied zwischen Arbeiten und Dienstleistungen, die produktiv für die Kapitalverwertung sind und solchen, die dies nicht sind. Viele Feministinnen vertreten die These, die von Frauen geleistete Arbeit senke die Kosten für die Arbeitskraft.
Wenn der (männliche) Arbeiter auswärts essen oder vorgepackte Mahlzeiten kaufen, seine Wäsche zum Waschsalon bringen müsste usw., würde er mehr ausgeben, als wenn eine Frau für ihn zu Hause kocht und wäscht. Dank der unbezahlten Tätigkeit dieser Frau spart der Chef Geld. Er profitiert von dieser Arbeit, da sie die Kosten für Unterhalt und Großziehen der männlichen Lohnarbeiter auf die Frauen abwälzt.
Hausarbeit, so die These, ist wie ein kostenloses Geschenk an den Kapitalisten und eine der wesentlichen permanenten Quellen der Kapitalverwertung. […] Wäre das wahr, würde der allein lebende männliche Arbeiter mehr kosten, als sein verheirateter Kollege, und er sollte mehr Geld erhalten, da der Lohn die Kosten für die Produktion von Arbeitskraft deckt. […] Dies ist nicht der Fall. […] Ob die Hausarbeit gleichmäßig verteilt wird […] oder ob der Mann seine Frau ausnutzt, ändert nichts an der Reproduktion des Kapitals. Männer "profitieren" sicherlich von Frauen, aber das hat nichts mit einem Unternehmensprofit zu tun.
Dauvé 2019, 60
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