Gesetz mit Folgen

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz ist Streit in der Regierungskoalition vorprogrammiert

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Heute hat das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz mit den beruhigenden Namen Luftsicherheitsgesetz gekippt, das im Januar 2006 in Kraft getreten war. In Paragraph 14 regelt es, dass zum Zwecke der Gefahrenabwehr ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abgeschossen werden kann, um so das Leben von noch mehr Menschen zu retten. So ein Fall könnte nach Meinung der Sicherheitspolitiker eintreten, wenn die Entführer nach dem Vorbild der Hijacker vom 11.September die Flugzeuge in Gebäude rammen wollen.

Am 5. Januar 2003 kaperte ein bewaffneter Mann ein Sportflugzeug, kreiste damit über dem Bankenviertel von Frankfurt am Main und drohte, das Flugzeug in das Hochhaus der Europäischen Zentralbank zu stürzen, wenn ihm nicht ein Telefonat in die Vereinigten Staaten von Amerika ermöglicht werde. Da die Gründe für die Aktion in privaten Problemen des Entführers lagen, konnte der Fall schnell zu einem unspektakulären Abschluss geführt werden. Doch er machte auch in Deutschland scheinbar die Verwundbarkeit der Luftfahrt deutlich und löste Aktivitäten aus.

Von Anfang an umstritten

Das Luftsicherheitsgesetz war ein Ausfluss dieser Bemühungen und war von Anfang an heftig umstritten. Nach Meinung der Gesetzgeber sind die Passagiere in diesem Fall längst Teil einer Waffe, die deshalb auch bei einem Abschuss geopfert werden können.

Gegen diese Lesart hat sich schon vor Verabschiedung des Gesetzes Widerspruch erhoben. Bundespräsident Köhler hatte bei der Unterzeichnung des Gesetzes seine Zweifel nicht verhehlt, ob es vor der Justiz Bestand haben werde. Es gab zwei unterschiedliche Argumentationsstränge der Kritiker. Der Staat dürfe eine Mehrheit seiner Bürger nicht dadurch schützen, dass er eine Minderheit - hier die Besatzung und die Passagiere eines Flugzeugs - vorsätzlich töte. Eine Abwägung Leben gegen Leben nach dem Maßstab, wie viele Menschen möglicherweise auf der einen und wie viele auf der anderen Seite betroffen seien, sei unzulässig.

Der Staat dürfe Menschen nicht deswegen töten, weil es weniger seien, als er durch ihre Tötung zu retten hoffe, lautet ein Argumentationsstrang. Ihm haben sich unter Anderem die Vereinigung Cockpit und die Unabhängige Flugbegleiter Organisation angeschlossen. Sie unterstützten auch die Verfassungsbeschwerde, die unter anderem von den FDP-Rechtspolitikern Burkhard Hirsch und Gerhard Baum initiiert wurde.

Das Gericht gab ihnen jetzt in der Hauptsache Recht. Das Luftsicherheitsgesetz sei mit dem Recht auf Leben und der grundgesetzlich geschützten Würde der Menschen nicht vereinbar. Es verstoße gegen das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht auf Leben:

Mit diesem Recht wird die biologisch-physische Existenz jedes Menschen vom Zeitpunkt ihres Entstehens an bis zum Eintritt des Todes unabhängig von den Lebensumständen des Einzelnen, seiner körperlichen und seelischen Befindlichkeit, gegen staatliche Eingriffe geschützt. Jedes menschliche Leben ist als solches gleich wertvoll.

Aus dem Urteil

Gleichzeitig betonten die Richter, dass das inkriminierte Gesetz gegen den verfassungsrechtlich eingeschränkten Einsatz der Bundeswehr im Innern verstößt. Der Einsatz der Streitkräfte zu anderen Zwecken als zur Verteidigung ist nach geltendem Verfassungsrecht an enge Voraussetzungen gebunden. Das Grundgesetz lasse ihn nur „zur Hilfe“ oder „zur Unterstützung“ der Polizeikräfte der Länder bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall zu. Diese Voraussetzung sei in dem angegriffenen Punkt des Luftsicherheitsgesetzes nicht erfüllt.

Diesn Argumentationsstrang hatte vor allem der Bundeswehrverband stark gemacht, der das Gesetz kritisierte, weil es der Bundeswehr Aufgaben übertrage, die laut Grundgesetz Polizeiaufgaben sind. Ähnlich argumentierten auch die bayerische und die hessische Landesregierung, die in einer gemeinsamen Stellungnahme die Verfassungsbeschwerde als begründet bezeichnet.

Streit vorprogrammiert

Gerade dieser Passus des Urteils wird für Streit in der Regierungskoalition sorgen. Es geht um den von Bundesinnenminister Schäuble favorisierten Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft. Schon seit Wochen fordert er eine Grundgesetzänderung, die diese Pläne ermöglichen soll. Unterstützung bekommt der Bundesinnenminister aus seiner Partei bis hin zur Bundeskanzlerin. Die Mehrheit der SPD-Politiker hingegen hat immer betont, dass sie eine solche Grundgesetzänderung ablehnt.

Doch so klar sind die Fronten nicht. Schon haben einzige SPD-Politiker angedeutet, dass sie sich auch einen Einsatz der Bundeswehr vorstellen könnten, wenn sie für diese Zeit als Polizei umdeklariert wird. Eine solche Kompromisslinie wird auch schon in den Unionsparteien diskutiert.

Andererseits ist auch der CDU-Bundesverteidigungsminister kein Freund der Schäuble-Pläne. Er warnt, wie auch der Bundeswehrverband vor einer Überdehnung der Aufgaben der Bundeswehr und will die Truppe lieber fit für Auslandseinsätze halten. Auch unter den Sicherheitsexperten sind die Meinungen interessenbedingt geteilt. Während die Gewerkschaft der Polizei von einem Bundeswehreinsatz im Innern wenig hält und für eine bessere finanzielle Ausstattung der Polizei eintritt, sprach sich ein Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter für einen Bundeswehreinsatz aus.

Koalitionsintern war vereinbart worden, den Richterspruch zum Luftsicherheitsgesetz abzuwarten. Nach dem Urteil wird der Streit an Schärfe gewinnen. Die ersten Reaktionen gaben davon einen Vorgeschmack. Während Bayerns Ministerpräsident Stoiber eine rasche Grundgesetzänderung verlangte, um so den Einsatz der Bundeswehr im Innern leichter zu gewährleisten, haben mehrere SPD-Politiker erklärt, die Union solle nach dem Urteilsspruch von allen Plänen Abstand nehmen, die Bundeswehr doch noch im Innern einzusetzen.

Vor den für beide Koalitionspartner wichtigen Landtagswahlen dürfte es zu keiner Einigung kommen. Hinzu kommt, dass die Medien die „Kuschelphase der Koalition“, wo beide Partner ihr Harmoniebedürfnis in den Mittelpunkt stellten, für beendet erklärt haben. Schon fordern SPD-Politiker, dass Parteichef Platzeck mehr sozialdemokratisches Profil zeigen müsse, das bei Arbeitsminister Müntefering vermisst wird.

Merkels Schulterschluss mit den USA gegen das iranische Atomprogramm wurde denn auch in den letzten Tagen von sozialdemokratischen Spitzenpolitikern kritisiert, nachdem andere SPD-Politiker Merkel in dieser Frage eindeutig den Rücken gestärkt haben. Durch solche Absatzbewegungen erhofft sich die SPD auch wieder bessere Umfrageergebnisse und vor allem Stimmengewinne bei den Landtagswahlen. Ob ihr aber eine solche Profilierung mit der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen bei der WM gelingt, muss doch in Frage gestellt werden. Bisher gaben in der Innenpolitik immer die Law- and Order-Politiker den Takt vor und die Kritiker schlossen Kompromisse, mit dem Verweis auf das Schlimmere, das man so verhindern müsse. Stichpunkte sind hier die Notstandsgesetze, der Lauschangriff, aber auch die Asylgesetzgebung.

So warnen Bürgerrechtsgruppen auch schon vor einem Präzedenzfall. Mit Verweis auf die Fußballweltmeisterschaft könnten Fakten geschaffen werden. Später würde auch bei anderen Großereignissen, wie dem G8-Gipfel im Seebad Heiligendamm im Mai 2007 und den geplanten Gegenaktionen die Bundeswehr eingesetzt werden. Das heutige Urteil hat zumindest in dieser Frage keine eindeutige Bremse eingebaut.