Gestürzte Bourgeoisien, die es gar nicht gibt
Interview mit dem Ethnologen Michael Knüppel über das Phänomen des Staatsstreichs in Afrika
Der Turko- und Ethnologe Michael Knüppel untersuchte empirisch alle "gewaltförmigen Regierungswechsel" im nachkolonialen Afrika südlich der Sahara. Seine Ergebnisse erscheinen demnächst als Buch. Telepolis befragte ihn vorab.
Herr Doktor Knüppel – gibt es populäre Irrtümer oder falsche Vorstellungen über Staatsstreiche in Afrika?
Michael Knüppel: Ja. Da gibt es eine ganze Reihe solcher Klischees, die in den Medien tradiert werden und mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben: Leute stürzen die Regierung, möglichst wenn der Machthaber im Ausland ist. Dann wird dort eine Militärjunta eingesetzt, die einige Jahrzehnte regiert. Man befördert sich selbst zum General, und dann führt man für den Machthaber die Präsidentschaft auf Lebenszeit ein. Das hat aber mit der Realität außerordentlich wenig zu tun. Man kann diese ganzen Sachen Stück für Stück widerlegen.
Nehmen wir nur einmal als Beispiel die Präsidentschaften auf Lebenszeit: Die hat es in Afrika fünf oder sechs Mal gegeben - und von diesen Fällen sind die wenigsten durch Staatsstreiche an die Macht gekommen. Etwa Kwame Nkrumah in Ghana, der der Gründervater des Staates war und nicht durch einen Staatsstreich an die Macht kam. Ein anderer Kandidat, der so etwas machte, war Präsident Sadat in Ägypten - aber auch der ist nicht auf diesem Weg zur Herrschaft gelangt. Ein weiteres der wenigen Beispiele wäre Idi Amin in Uganda, der das aber nicht unmittelbar nach dem Staatsstreich durchgeführt hat, sondern erst einige Jahre später.
Ebenso verhält es sich mit der Vorstellung, dass ein gewaltförmiger Regimewechsel stattfindet, während die Machthaber im Ausland sind. So etwas kommt natürlich vor (wie 2005 in Mauretanien) - aber nur in 12,8% aller Fälle. Ansonsten findet ein Staatsstreich während der Anwesenheit der alten Machthaber im Land statt.
Auch die Selbstbeförderung kommt nur sehr selten vor. Es gibt sogar sehr bekannte Fälle, in denen Leute ihren jeweiligen militärischen Rang unmittelbar nach dem Staatsstreich aufrecht erhalten und sich damit weiter ansprechen lassen, z.B. Sankara in Burkina Faso, Rawlings in Ghana oder meinetwegen Gaddafi in Libyen. Die behielten auch noch nach Jahrzehnten ihren ursprünglichen Dienstgrad.
Eine andere Sache sind die sehr frühen Staatsstreiche in den sechziger Jahren, wo das Militär zum Teil noch im Aufbau war. Wenn ich in so einem Land aus dem kolonialen Erbe keine Generäle habe, dann müssen die sich eben selber zu Generälen machen, weil sie ja beispielsweise in der französischen Armee nur Unteroffiziere waren. Der ranghöchste Offizier aus Afrika in der französischen Armee war Bokassa - und der war nur Lieutenant. Von daher sind das für die Frühphase auch keine weiter verwunderlichen Sachen. Die ganz eklatanten Selbstbeförderungen beschränken sich auf verhältnismäßig wenige Fälle - auch das ist nur in etwas über 10% der gewaltförmigen Regimewechsel in unterschiedlicher Ausprägung, vorgekommen.
Was waren die überraschendsten Ergebnisse?
Michael Knüppel: Einmal, dass sich im Regelfall das, was durch die Medien verbreitet wird, auch in der Fachliteratur wiederfindet. Ganz einfach durch die empirisch angelegten Untersuchungen, in denen die internationalen Printmedien ausgewertet werden.
Eine andere Sache ist, dass man tatsächlich belegen kann, dass viele der Erklärungsmodelle, die für gewaltförmige Regimewechsel im Allgemeinen und Staatsstreiche im Besonderen (zumeist in den siebziger Jahren) entwickelt wurden, für Afrika nicht haltbar sind.
Außerdem war überraschend, dass die Häufung von gewaltförmigen Regimewechseln in Afrika tatsächlich kein Klischee ist, sondern dass man hier für den Untersuchungszeitraum tatsächlich eine extreme Häufung gegenüber allen anderen vergleichbaren geografischen Großräumen ausmachen kann.
Was auch noch hinzukommt, ist, dass es doch eine Reihe von Kriterien gibt, die man als spezielle Merkmale, die sich vor allem in Afrika finden, bezeichnen kann. Wie zum Beispiel die Sache mit den "Wiederholungstätern". Oder auch der innerstaatliche Krieg, der dann zur Machtübernahme führt. Das kommt im Vergleich zu anderen Weltgegenden doch mit einer gewissen Häufung vor.
Nicht unbedingt so überraschend war, dass sich die Eingriffe von Außen (also der inszenierte Staatsstreich, der dann von multinationalen Konzernen, Geheimdiensten oder ehemaligen Kolonialmächten angeblich angezettelt wird) fast nicht ausmachen lassen. Es gibt den einen oder anderen Fall, in dem es die Aktenlage erlaubt, solche Aussagen zu treffen - aber das sind außerordentlich wenige. Das ist ein Phänomen, dem eine sehr große Aufmerksamkeit, zum Beispiel von Seiten der Linken, zuteil geworden ist, das in der Gesamtheit aber keine wirkliche Rolle spielt. Die Leute brauchen nicht unbedingt irgendwelche Anstifter im Ausland, um mit Gewalt nach der Macht zu greifen.
Welche der Erklärungsmodelle aus den siebziger Jahren haben sich in der empirischen Rückschau als unzutreffend erwiesen?
Michael Knüppel: Man hat sich hier zum Beispiel historische Erklärungsmodelle zurecht gelegt und angenommen, dass in Staaten, in denen Staatsstreiche stattfinden, ein bestimmtes koloniales Erbe eine Rolle spielt, dass also nur Alt-Konflikte immer wieder aufbrechen. Ruanda, Burundi, und so weiter - also Staaten, in denen solche Gegensätze angeblich schon seit einer Ewigkeit existieren und das dann auslösen. Solche Thesen sind nicht haltbar.
Oder man wollte die Staatsstreiche zurückführen auf die besondere Situation des Kalten Krieges. Natürlich war es immer so, dass die gestürzten Machthaber denjenigen Block beschuldigt haben, von dem sie nicht unterstützt wurden - unabhängig davon, ob er tatsächlich irgendetwas damit zu tun hatte. Da sind viele Autoren der Versuchung erlegen, die Häufung in Afrika aus dem Kalten Krieg zu erklären. Das ist so nicht akzeptabel, weil wir ja weiterhin eine fortgesetzte Häufung beobachten können, obwohl der Kalte Krieg längst vorüber ist.
Man hat auch ganz andere Dinge ausgebrütet, die völlig wirr waren: zum Beispiel eine Wellentheorie und eine Ansteckungstheorie, die besagt, dass, wenn irgendwo ein Staatsstreich stattfindet, die Nachbarn motiviert würden, auch so etwas zu machen. Das ist blanker Unfug. Selbstverständlich werden Leute, wenn sie so etwas vorhaben, das auf Grund der Situation im Inneren bestimmen und nicht daran festmachen, ob im Nachbarland gerade so etwas passiert. Und selbst wenn man sich irgendwelche Anleihen sucht, wie andere so etwas gemacht haben, dann wird man sich natürlich irgendwo einen Staat mit vergleichbaren Bedingungen aussuchen, der nicht zwingend der Nachbar sein muss.
Solche Sachen sind als Erklärungsmodelle ebenso untauglich wie der Versuch, das alles auf ökonomische Fragen zurückführen zu wollen: Unterentwicklung führe zu gewaltförmigen Regimewechseln - um das mal verkürzt zu formulieren. Das funktioniert natürlich nicht. Die Leute machen so etwas ja nicht, weil die wirtschaftliche Situation schlecht ist, sondern weil sie dadurch Macht und Reichtum erwerben können. Je einfacher das geht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert.
Ein weiteres Erklärungsmodell war, dass man einen Zusammenhang zwischen mangelnder Infrastruktur und der Häufung herstellen wollte. Das heißt also: Wenn im Zentrum etwas passiert - eine Machtübernahme - dann können nicht schnell genug Truppen herangeführt werden. Wenn man von so etwas ausgeht, dann müssten natürlich die Staaten mit der am geringsten entwickelten Infrastruktur auch die höchste Rate an gewaltförmigen Regimewechseln aufweisen. Und das möglichst auch noch weltweit. Das ist aber nicht belegbar. Dann hätten wir in Brasilien wahrscheinlich alle paar Monate einen Staatsstreich, weil man die Hauptstadt nur über den Flughafen vernünftig erreichen kann. Was aber bekanntlich nicht der Fall ist. Und für Afrika lässt sich das genauso sagen. Ein Zusammenhang zwischen Straßen- oder Pistenkilometern und der Häufung lässt sich keinesfalls belegen.
So gibt es also eine ganze Reihe von Erklärungsmodellen, bei denen man sagen muss: Da sind diese Erklärungen ziemlich hilflos und an den Haaren herbeigezogen. Was also für andere Weltgegenden gemacht werden kann (zum Beispiel hat Huntington das für die arabischen Staaten aufzuzeigen versucht), ist hier nicht übertragbar, vor allem, wenn man Folgestaatsstreiche untersuchen möchte - also der Frage nachgeht: "Warum passiert das wieder und wieder?". Zum Beispiel das, was wir jetzt um Weihnachten in Guinea wieder hatten, das entzieht sich jedem Erklärungsmodell und ist landesintern fast so eine Art Déjà-Vu-Erlebnis. Die hatten das 1984 in einem vergleichbaren Ablauf. Da kann man nicht mehr annehmen, dass seien irgendwelchen Vorgänge, bei denen es um Modernisierung oder die Ersetzung bürokratischer Eliten oder sonst irgendetwas geht, sondern nur um eines: Man ist bewaffnet und hat die Möglichkeit, den Zugriff vorzunehmen. Und dann macht man es auch.
Welche Rolle spielen politische Ideologien bei solchen Staatsstreichen?
Michael Knüppel: Das ist immer sehr schwierig zu beurteilen. Wir können in den sechziger und siebziger Jahren, bis hinein in die achtziger Folgendes beobachten: Es kommt zu einem gewaltförmigen Regimewechsel, und dann wird im Regelfall erst einmal irgendetwas eingesetzt - sagen wir: ein Revolutionsrat. Dessen Ausrichtung ist primär davon abhängig, wessen Unterstützung - Ost oder West - man haben möchte oder erlangen kann, und dementsprechend schreibt man sich irgendeine Ideologie auf die Fahnen, weil man von dort Unterstützung erwartet. Das sind zumeist Lippenbekenntnisse, ein tatsächlicher Systemwechsel findet in den wenigsten Fällen statt. Revolutionen sind das ja auch meist alles nicht - die ereignen sich nämlich außerordentlich selten.
Was dann also passiert, hat wesentlich mehr damit zu tun, dass man sich Unterstützung erhofft. Da spielt die Ideologie nicht unbedingt eine große Rolle. Es kann sein, dass Leute mit einer bestimmten Ideologie antreten; es kann sein, dass sie sie nachträglich übernehmen.
Entscheidend ist, wie sie durch den jeweiligen Block im Kalten Krieg bewertet wurden. Wir finden ja Übersichten (zum Beispiel in Ausgaben des Fischer Weltalmanach), wo dann "progressives Regime" steht - was immer das sein mag. Das sind meistens wirre Verlautbarungen, die irgendein Sprecher der jeweils neuen Junta verkündet. Diese Verlautbarungen funktionieren alle nach einem bestimmten Muster: Wir mussten das tun; es gibt eine neue Regierung; die alte Regierung ist abgesetzt; es folgt eine Begründung, warum die alte Regierung abgesetzt wurde, im Regelfall, dass sie in die eigene Tasche gewirtschaftet hat und absolut korrupt war, sie haben die Ideale der Unabhängigkeit verraten, und so weiter.
Nach der Beschuldigung der abgesetzten Regierung kommt meistens noch, was die neue Regierung dann besser machen will. Das kann zwar unterschiedlich ideologisch eingefärbt sein, hat aber im Zweifelsfall über den reinen Erklärungscharakter hinaus keine großen Auswirkungen. Zum Beispiel: Bokassa stürzt in der Sylvesternacht 65/66 die Regierung, kommt an die Macht, und am nächsten Tag wird in das Mikrofon gebrüllt, die Bourgeoisie sei gestürzt. Die gibt es in dem Land aber gar nicht. Da werden Dinge erklärt, die ideologisch irgendwie eingefärbt sind, aber keinerlei Bedeutung oder Konsequenzen haben.
Was auch einen sehr schnellen Wechsel zwischen Ideologien und Unterstützern ermöglicht, etwa bei Siad Barre oder bei Jonas Savimbi.
Michael Knüppel: Ja, natürlich. Das kann im Handumdrehen wechseln, man ist da außerordentlich flexibel. In erster Linie geht es darum, von wo die Waffen kommen und mit wem man gute Geschäfte machen kann, und das kann dann ganz schnell gedreht werden. Wie man es eben gerade braucht. Da kann man sich durchaus zwar noch formal zu der Ideologie, die man vorher gerade hatte, bekennen, aber das kann dann - wenn es überhaupt eine Bedeutung hatte - sehr schnell inhaltslos werden.
Die gegenwärtige Regierung in Äthiopien um Ministerpräsident Meles Zenawi hatte auch mal (in der Zeit, als die Bewegung, aus der sie hervorgegangen ist, gegen das Mengistu-Regime kämpfte, das von der Sowjetunion unterstützt wurde), eine maoistische Phase in ihrer Programmatik. 1991 war das dann nicht mehr so 'angesagt', also bekannte man sich zu Demokratie und Marktwirtschaft - das ist für die Leute ja nichts anderes als eine weitere Ideologie und man ist letztlich wieder genauso flexibel. Die sind ja nicht plötzlich aus Überzeugung Demokraten und von der Marktwirtschaft überzeugt, sondern es geht darum, dass man Unterstützung von Draußen bekommt.
Solche Machthaber sind ja nicht auf den Kopf gefallen, sondern wissen natürlich ganz genau, was sie heute in einer Presseerklärung alles erzählen müssen. Da wird einmal der ganze Katechismus runtergebetet - Menschenrechte, Gleichstellung der Frau, Demokratisierung. Und sie lachen sich natürlich tot, weil sie wissen, dass sie auf Seiten der Medien häufig mit Idioten zu tun haben. Da ist das dann besonders drollig, wenn sie als neue Vorzeigedemokraten vorgestellt werden. Natürlich interessiert sie das überhaupt nicht. Die Muster, in denen gedacht, gearbeitet und gehandelt wird, sind immer noch die selben. Aber sie haben eine neue Ideologie, so wie Nationalismus und Sozialismus. Alles, was man eben so aus der Kiste gezogen hat. Im Sinne dieser Vorlagen werden dann bestimmte Phrasen gedroschen.
Das lässt sich zwar nicht verallgemeinern, natürlich gibt es immer einige Überzeugte, aber im Grunde sind die Leute sehr pragmatisch. Das sieht man jetzt zum Beispiel im Umgang mit China.
Fanden Sie so etwas wie Regelmäßigkeiten oder Strukturen bei den Staatsstreichen?
Michael Knüppel: Es gibt eine ganze Reihe davon. Was hier besonders hervorsticht ist, dass das Phänomen in Afrika über einen sehr langen Zeitraum zu beobachten ist und dass nach dem Ende des Kalten Krieges, wenn diese Dinge in Lateinamerika und Asien weitgehend verschwinden, das Ganze in Afrika weiterläuft.
Eine andere Sache, die hier als Muster erkennbar wird, das sind die spezifischen afrikanischen Erscheinungen, also zum Beispiel der Typus des 'Wiederholungstäters'. Das gibt es in Lateinamerika und im Nahen und Mittleren Osten kaum, dass ein- und dieselben Leute so etwas immer wieder durchführen, wie etwa Jerry Rawlings in Ghana oder Mobutu im Kongo, oder im Extremfall Pierre Buyoya in Burundi, der das schon drei Mal veranstaltet hat. Es gibt in Afrika rund ein Dutzend Machthaber, die solche Sachen wiederholt gemacht haben, und noch einmal eine sehr viel größere Anzahl von Leuten, die sich an solchen Dingen in zweiter oder dritter Reihe beteiligt und dann irgendwann selbst die Macht übernommen haben. Diese spezielle Struktur findet man nur dort - vor allem in dieser Häufung.
Ein weiteres Phänomen ist, dass die Sachen entlang - nennen wir es mal grob – 'ethnischer' Trennlinien ablaufen, dass also fast immer der jeweils gestürzte Machthaber aus einer anderen Ethnie oder Religionsgemeinschaft stammt als sein jeweiliger Nachfolger. Das ist natürlich in den relativ homogenen Verhältnissen Lateinamerikas nicht auszumachen. Das ist schon spezifisch für Afrika.
Gibt es dann Ausnahmen in Staaten, die ethnisch relativ homogen sind - zum Beispiel Botsuana, Lesotho oder Swasiland?
Michael Knüppel: Im Fall von Botsuana ist 'ethnisch homogen' natürlich sehr relativ. Aber da hat es bisher noch gar keinen Staatsstreich gegeben. Im benachbarten Sambia haben wir eine ähnliche Situation und in Swasiland liegt ein Sonderfall vor. Da hängt das unmittelbar mit der Situation des Herrschers zusammen.
Weil das Land seit seiner Unabhängigkeit eine Monarchie ist …
Michael Knüppel: Ja, das natürlich auch. Allerdings hat man dort auch solche Sachen wie die Ein- und Absetzung von Premierministern - wobei man das kaum als Staatsstreiche bezeichnen kann. Aber der einzige Staat in ganz Afrika, den man wirklich einigermaßen als ethnisch homogen auffassen könnte, das ist Somalia. Und dort haben wir bezeichnenderweise auch nur einen einzigen wirklichen Staatsstreich gehabt. Alles andere waren Vorgänge im Zusammenhang mit der Implosion des Staates.
Nimmt im Falle von Somalia nicht die Identitätsposition, die ansonsten ethnische Kriterien einnehmen, die Clanzugehörigkeit ein?
Michael Knüppel: Natürlich. Das spielt schon eine gewisse Rolle bei Verteilungskonflikten. Beobachtet man allerdings die Zusammensetzung 1969, als der Staatsstreich stattgefunden hat, so spielte das nicht unbedingt eine Rolle – also die Verteilung nach Clanzugehörigkeit in der gestürzten Regierung gegenüber der im Revolutionsrat, den Barre dann dort etabliert hat. Jedenfalls lässt es sich nicht so ohne Weiteres belegen.
Grundsätzlich konnten Sie aber so etwas wie einen gewissen Einfluss feststellen, den die künstlich gezogenen Grenzen haben - und die Tatsache, dass es verhältnismäßig wenige Staaten gibt, in denen ein Volk eindeutig in der Mehrheit ist?
Michael Knüppel: Ja. Entscheidend ist aber etwas ganz anderes. Es geht einfach darum, dass man das von der Seite derjenigen her betrachtet, die einen Staatsstreich durchführen möchten. Und für diese Leute ist es natürlich entscheidend, dass in einem Staat bestimmte Gegensätze bestehen, beziehungsweise dass dort Trennlinien auszumachen sind, entlang derer man so etwas besonders vorteilhaft organisieren kann. Das heißt: Wenn ich mehrere Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften in einem Staat habe, dann gibt es die Tendenz, dass innerhalb bestimmter Dienstgrade eine dieser Gruppen stärker vertreten ist als die anderen. Dann habe ich grundsätzlich schon einmal die Tendenz einer Grundstimmung von Zurückgesetztsein, oder etwas in der Art. Das muss nicht einmal innerhalb des Militärs sein, wo es sich sofort auswirken kann. Es kann auch sein, dass eine Gruppe sich insgesamt gesellschaftlich benachteiligt fühlt, aber im Militär gleichberechtigt vertreten ist. Dann kann man diese Leute, die meinen, in einer schlechteren Position zu sein oder zurückgesetzt zu werden, leichter für so etwas mobilisieren. Häufig wird das Ganze dann noch durch Dinge wie ausstehende Soldzahlungen oder irgendwelche anderen Sachen in der Richtung verschärft, die den Prozess beschleunigen. Und dann knallt es schon fast von selbst.
Es sind also Gegensätze jeder Natur für so etwas einsetzbar. Wie in Ruanda und Burundi, wo man gleiche Sprachen spricht, sich aber Identitäten anhand anderer Kriterien abgrenzen?
Michael Knüppel: Natürlich. Das, was man da jeweils mobilisiert, ist beliebig. Das kann Religion sein, das kann Abstammung sein, das kann Clanzugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen sein, das kann die Sprache sein, das kann alles Mögliche sein. Leute müssen sich nur auf Grund eines einzigen Kriteriums benachteiligt fühlen. Das ist vollkommen ausreichend. In dem Augenblick, wo irgendwelche Gegensätze bestehen und sich diese irgendwie instrumentalisieren lassen - das ist eigentlich viel entscheidender - können solche Umstände auch dafür benutzt werden.
In manchen asiatischen Ländern konnten 'Entwicklungsdiktaturen' in beiderlei Hinsicht das halten, was ihr Name versprach: Sie brachten also sowohl Entwicklung als auch Diktatur, zum Beispiel in Singapur, Taiwan oder Südkorea. In Afrika scheint das einseitiger zu sein, dort gab es weniger Entwicklung und mehr Diktatur. Mögliche Gründe?
Michael Knüppel: Unabhängig davon, ob man Diktatur oder Demokratie in Afrika hat, gibt es hier unter den Militärs eine bestimmte Auffassung von Herrschaft. Allerdings ist diese auch bei den Zivilisten auszumachen. Es geht ganz einfach darum: Wenn ich an die Macht komme, habe ich den Zugriff auf die Ressourcen. Wenn ich diesen Zugriff habe, dann nutze ich den auch. Es wird also sehr schnell der Griff in die Kasse organisiert, und es müssen unmittelbar die Leute, die dort in irgendeiner Form beteiligt sind, abgefunden werden. Und da man im Grunde ja meist ein Monopol auf die Waffen im Lande hat, kann man diese Griffe in die Kasse dann auch aufrecht erhalten und sehr erfolgreich praktizieren.
Ein Schwager von mir war im äthiopischen Ogaden Zeuge einer Regierungsbildung. Als ausgehandelt wurde, wer welchen Posten bekommt, ging es überhaupt nicht darum, ob die Leute dafür in irgendeiner Form befähigt waren, sondern um Pfründe. Also: Wenn dein Sohn die und die Stelle bekommt, dann will ich, dass möglichst ein Cousin von mir Richter wird - und da spielt es überhaupt keine Rolle, ob er Jurist ist. Es geht nur darum, wie man das untereinander aufteilt.
Ein Effekt, der jüngst auch in Kenia zu beobachten war, wo es ja formell eine große Koalition gibt, in der die Posten auf ähnliche Weise verteilt wurden …
Michael Knüppel: In dem Fall sind das genau die selben Spielchen - unter quasi-demokratischen Bedingungen. Das Ganze ist ein Arrangement, wer was bekommt. Und hinterher hat man die Situation, dass die Leute versuchen müssen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Das wird durch die Idee, man könne den Kontinent mal eben demokratisieren, noch verschärft, weil damit die Phase, in der die Verteilung der Ressourcen stattfinden kann, zunächst einmal auf eine Legislaturperiode beschränkt wird und außerdem natürlich Wahlergebnisse manipuliert oder nicht anerkannt werden. Das kann dann unmittelbar zu einer Krise führen, wie in Kenia oder in Simbabwe. Es wird alles unternommen, um die Macht nicht aus der Hand zu geben, und man versucht andererseits auch alles, um die Macht zu bekommen, damit man eben diesen Zugriff hat.
Michael Knüppel: "Das Phänomen des Staatsstreichs im subsaharischen Afrika. Eine empirische Untersuchung". In Kürze bei Kassel University Press