Gesundheitsreform in Indien

Narendra Modi mit Barack Obama, nach dem ebenfalls eine Krankenversicherungsreform benannt wurde: Foto: Weißes Haus

Neuer Anlauf für Modicare

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Die hindunationalistische Zentralregierung (vgl. Die Entlarvung des Heilsbringers) hat angekündigt, das indische Gesundheitswesen in wesentlichen Teilen zu reformieren. Kern des Vorhabens ist eine Krankenversicherung, die nach Ministerpräsident Narendra Modi abgekürzt "Modicare" genannt wird.

Vollmundig wird angekündigt, dass mit diesem Programm über 100 Millionen Familien erreicht werden sollen - insgesamt also bis zu einer halben Milliarde Menschen, was etwa 40 Prozent der Bevölkerung des Subkontinents entspräche.

Die Deckungssumme soll bis zu 500.000 Rupies pro Fall reichen - das sind umgerechnet derzeit immerhin etwa 6.250 Euro. Entsprechende Leistungen sollen in jedem privaten oder öffentlichen Krankenhaus nachgefragt werden können. Zu zahlen sind lediglich pauschalisierte niedrige monatliche Beiträge, die dann die etwaigen Krankenhauskosten der gesamten Familie abdecken sollen - unabhängig von deren Größe. Die Beitragshöhe steht noch nicht fest, aber derzeit sieht es so aus, als müssten sehr arme Menschen überhaupt nichts für die neue Versicherung bezahlen.

"Eine Krankenversicherung für Arme ist an sich nichts Neues", berichtet Heinz Werner Wessler, Indologe und Sprachwissenschaftler an der Universität von Uppsala. "Schon die Regierung unter Manmohan Singh hatte etwas Ähnliches gestartet - eine Versicherung für den symbolischen Betrag von 12 Rupies." Und auch mehrere indische Bundesstaaten unterhalten ähnliche Programme - z.B. Andhra Pradesh, Jharkhand & Uttarakhand, Odisha und Kerala. "Gemeinsam ist all diesen Initiativen, dass sie schlecht umgesetzt werden oder ganz eingeschlafen sind", resümiert Wessler.

"Versichert werden nur Krankenhausbehandlungen, nicht die allgemeine medizinische Versorgung"

Das Programm ist auch deshalb nötig geworden, weil die sich die Krankenhauskosten in Indien in den letzten Jahren verdreifacht haben und derzeit zu 80 Prozent direkt aus dem Einkommen der Betroffenen finanziert werden müssen. Und hier zeigt sich ein Schwachpunkt in der Ausrichtung des neuen Versicherungsvorhabens: "Versichert werden nur Krankenhausbehandlungen, nicht die allgemeine medizinische Versorgung", gibt Wessler zu bedenken. Doch etwa zwei Drittel aller Aufwendungen für Gesundheit in Indien betreffen ambulante Behandlungen, die zum weit überwiegenden Teil ebenfalls privat bezahlt werden.

"In ländlichen Regionen, wo das Krankenhauswesen ein Zuschussgeschäft ist und bleiben wird, kann sich die Lage nur ändern, wenn das vorhandene System effizienter und gleichzeitig massig ausgebaut wird", kritisiert Wessler außerdem. Weil das staatliche System so ineffizient sei, würden die Menschen auf private Krankenhäuser und Arztbehandlungen ausweichen, wenn sie es sich nur eben leisten können. Das hat man wohl auch in Delhi erkannt und verspricht deshalb neue Universitäten und Ausbildungseinrichtungen im medizinischen Bereich sowie neue öffentliche Krankenhäuser die Errichtung von 150.000 Gesundheitsstationen auf dem Land.

Im Budget für 2018 sind 100 Milliarden Rupies, umgerechnet 1,25 Milliarden Euro, als Anschubfinanzierung eingestellt. Im nächsten Haushalt soll der Betrag ebenso hoch ausfallen. Klar ist, dass die Beträge nicht ausreichen. Delhi hat auch mehr Geld versprochen, doch plant die Zentralregierung gleichzeitig, 40 Prozent der insgesamt anfallenden Kosten auf die Bundesstaaten abzuwälzen - ein Konzept, das nicht überall auf Gegenliebe stößt:

So hat Mamata Banerjee, die in Kalkutta regierende Ministerpräsidentin des Bundesstaates West Bengal schon angekündigt, dass ihre Regierung die nötigen Zuzahlungen verweigern wird. Auch der Punjab hat es mittlerweile definitiv abgelehnt, eine Vereinbarung mit Delhi zu ratifizieren.

Kritiker weisen zudem darauf hin, dass das Gesundheitsbudget insgesamt derzeit nicht einmal so schnell wächst wie die indische Wirtschaft. Und wo das Geld für die Verbesserung der Gesundheits-Infrastruktur herkommen soll, ist weiterhin unklar.

Denn immer noch gibt Indien nur rund ein Prozent seines Bruttonationaleinkommens (BNE) für den Gesundheitsbereich aus. Das ist viel zu wenig und nötigt die Menschen zu Ausgaben, die jährlich bis zu sieben Prozent der Bevölkerung unter die Armutsschwelle reißen. Bis 2025 ist geplant, die Gesundheitsausgaben wenigstens bis auf 2,5 Prozent des BNE zu steigern. Zum Vergleich: In Deutschland schwanken diese Ausgaben seit Jahren zwischen elf und zwölf Prozent.

"Dass Modicare ausgerechnet jetzt anlaufen soll, hat mit dem beginnenden Wahlkampf für die nationalen Wahlen 2019 zu tun", ist Wessler überzeugt und ergänzt: "Die Modi-Regierung hat bei den Armen viel gut zu machen, da sie das Programm für ländliche Beschäftigung finanziell austrocknet." Dieses Programm ist jedoch für Abermillionen ärmste Inder - Männer wie Frauen - lebenswichtig, das es das Recht auf 100 Tage bezahlte Arbeit pro Jahr einschließt, die mit umgerechnet etwa zwei Euro vergütet werden.

Doch alle Kritik, von der es auch in Indien reichlich gibt, lässt die Parteigranden der Bharatiya Janata Party (BJP) ziemlich unbeeindruckt. Die Wirtschaft wächst weiter mit über sieben Prozent im Jahr, was auch einer neoliberal ausgerichteten Elite gewisse Verteilungsspielräume lässt. Bei den gerade abgehaltenen Wahlen im südindischen Bundesstaat Karnataka konnte die BJP zudem einen haushohen Sieg einfahren:

Die Hindunationalisten haben 104 von insgesamt 224 Sitzen des Parlaments von Bangalore errungen und sind damit nur knapp an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt. Die Börse in Mumbay hat darauf euphorisch reagiert: Der Sensex, das wichtigste indische Börsenbarometer verzeichnete einen Kurssprung von fast vier Prozent.