Gesundheitswesen: Viele Kliniken am Rand der Zahlungsfähigkeit
Umfrage: 87 Prozent der Krankenhäuser sorgen sich, dass sie in den kommenden Wochen Stationen ihres Hauses zeitweise von der Versorgung abmelden müssen.
Auch die Krankenhäuser in Deutschland fürchten Krisenmonate. Laut einer "Blitzumfrage" des Deutschen Krankenhaus Institut (DKI) schließen 87 Prozent der Krankenhäuser nicht aus, dass sie in den kommenden Wochen Stationen "ihres Hauses zeitweise von der Versorgung abmelden". 78 Prozent erwarten für den kommenden Herbst, dass sie "vermehrt planbare Operationen und Eingriffe verschieben müssen". An der Umfrage beteiligten sich 274 Krankenhäuser ab 50 Betten.
Als Gründe werden Preissteigerungen, bei Gas- und Strom, beim medizinischen Bedarf, erwähnt werden Medikamente und Implantate, sowie bei "externe Dienstleister wie Wäscherei, Reinigung und lebensmittelbezogene Leistungen" angegeben. Fast kein Krankenhaus könne die aktuellen Kostensteigerungen aus den regelhaften Erlösen dauerhaft finanzieren, erklärt das DKI zur Umfrage:
Zusätzlich konnten 87 Prozent der Häuser in den vergangenen zwei Jahren keine ausreichenden Rücklagen bilden. Daher ist die Liquiditätssituation der Krankenhäuser momentan sehr angespannt. 39 Prozent der Krankenhäuser beurteilen ihre Liquidität als kritisch. Umfrage August 2022: Drängende Problemlagen deutscher Krankenhäuser
Auch der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, warnt diese Tage eindringlich vor Kostensteigerungen, die die Krankenhäuser in ihrer Substanz gefährden: "Wir werden Insolvenzen sehen." Die Corona-Hilfen seien ausgelaufen, würden im Herbst und Winter wieder mehr Corona-Patienten kommen, so kämen schwere Zeiten auf die Krankenhäuser zu: "Hier braut sich der perfekte Sturm zusammen."
In einigen Kliniken gibt es angesichts der Lage auch Befürchtungen, die über die steigenden Preise hinausgehen. "Was mir Sorgen macht, ist die hoffentlich unrealistische Möglichkeit, dass es durch Energiespitzen zur Überlastung mit tatsächlichem Ausfall der Stromversorgung und damit zu einem echten Blackout käme", sagt etwa Jochen Werner, Chef des Uniklinikums Essen.
Handelsblatt
Ein Krankenhaus mittlerer Größe werde im kommenden Jahr über sechs Millionen Euro mehr für Gas und Strom bezahlen müssen, rechnete Gaß in der Ärztezeitung vor. Bundesweit, auf rund 1.900 Kliniken hochgerechnet, ergebe dies einen Fehlbetrag von rund vier Milliarden Euro. Deutschen Krankenhausgesellschaft gehe für das nächste Jahr sogar von einer Unterdeckung in Höhe von 10 Milliarden Euro aus. Viele Kliniken seien am "Rand der Zahlungsfähigkeit".
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordert zusammen mit Landeskrankenhausgesellschaften einen sofortigen Inflationsausgleich von vier Prozent.
Personalproblem
Zum Problem der Zahlungen kommt das Personalproblem. Gaß fürchtet, dass sich die massiven Personalausfälle, die sich diesen Sommer gezeigt haben, im Herbst bei steigenden Infektionszahlen zu vermehrten Quarantänemaßnahmen erneut zu einem Problem werden, das die Krankenhäuser belastet.
Weswegen er, wie er vor ein paar Tagen in einem Interview mit der Welt äußerte, "wieder deutliche Lücken in der Versorgung" befürchtet: "längere Wartezeiten auf planbare Leistungen, gesperrte Notaufnahmen und längere Wege für die Rettungswagen. Dieser Corona-Winter kann schlimmer werden als in den letzten beiden Jahren".
Eine Überlastung erwarte er nicht aufgrund schwerkranker Covid-Patienten, sondern durch Personalausfälle, die mit dem Infektionsgeschehen einhergehen", präzisierte Gaß, der die Möglichkeit ansprach, "dass einige Kliniken (…) in extremen Fällen infizierte Mitarbeiter einsetzen müssen, da ansonsten die Patienten in den Notaufnahmen nicht mehr versorgt werden können".
Er sprach sich in diesem Zusammenhang, an die Adresse von Gesundheitsminister Lauterbach gerichtet, für die Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus: "Die Impfpflicht im Gesundheitswesen macht keinen Sinn mehr und sollte nicht erst Ende Dezember auslaufen, sondern bereits jetzt dringend ausgesetzt werden".
Auch dafür präsentierte er eine Rechnung. Aus Umfragen schließt Gaß, dass lediglich 80 Prozent der Mitarbeiter im Gesundheitswesen eine dritte Impfung haben. Entsprechend müssten die Gesundheitsämter "also 20 Prozent der Mitarbeiter nach Hause schicken, wenn sie das Gesetz ernst nehmen".
Gesundheitsminister Lauterbach hat nach Auskunft des Boulevards noch keine Antwort auf diese Krisensituation parat; Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek beklage, dass der Bund die Kliniken einfach ihrem Schicksal überlasse.
Im Juni hob Lauterbach bei einem Sommerempfang der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in Berlin hervor, dass er in Krankenhäuser nicht hauptsächlich einen Kostenfaktor sehe, "sondern eine viel zu wenig genutzte Ressource im Gesundheitssystem"", zugleich aber betonte er schon zu diesem Zeitpunkt angesichts der sich abzeichnenden finanziellen Unterdeckung, dass er "keine magische Lösung" habe:
"Wir bewegen uns in der Koalition in einem Dreieck: In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es ein Defizit. Die Sozialbeiträge sollen aber nicht über 40 Prozent steigen. Heute liegen sie bei 39,95 Prozent." Die dritte Ecke des Dreiecks sei die Schuldenbremse. "Jeder Vorschlag muss innerhalb dieses Dreiecks verhandelt werden." "Ich erkenne die Ansprüche der Krankenhäuser an, möchte aber darauf hinweisen, dass ich das Dreieck nicht alleine ausfüllen kann. Wir werden keine magische Lösung finden."
Ärzteblatt