"Get Snuggly!"

Seite 2: Work hard, increase production, be happy!

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Der systemische wie auch der affektive Betrug, der hier thematisiert ist, findet sich exemplarisch gestaltet in einem frühen Spielfilm von George Lucas. Die SciFi-Parabel "THX 1138" von 1971 (basierend auf dem Kurzfilm "Electronic Labyrinth") zeigt, wie der Mensch - zum Humankapital degradiert - eine Arbeitsmaschine wird, die außerhalb der Produktionszeit ein Dasein als reiner Consumer fristet.

Die nummerierten Arbeitersklaven, die wie Halbtote in einem dystopischen Staatswesen umhergeistern, werden von einem staatlichen Drogenprogramm ruhig gestellt, ein virtueller Beichtstuhl dient ihnen als letzte Anlaufstelle. Dort antwortet ihnen ein mechanischer Messias namens "Omm" nach vorgestanzten Bandansagen.

Als der geplagte und zunehmend nervenflattrige Einwohner THX 1138 (mit dem Präfix THX und der Nummer 1138, Eigennamen sind konfisziert), im Film dargestellt von Robert Duvall, kurz vor seinem vollständigen Zusammenbruch die virtuelle Kapelle aufsucht, täuscht "Omm" programmgemäß zunächst Verständnis vor, um dann seinen erhabenen Ratschluss zu erteilen:

Yes, yes I understand…Yes Fine…Excellent…Could you be more specific…You are a true believer, blessings of the masses, though art a subject of the divine, created in the image of man, by the masses, for the masses, let us be thankful we have an occupation to fill, work hard, increase production, prevent accidents, and be happy.

Omm, virtuelle Gottheit, spirituelle Bandansage an "THX 1138" (Hervorhebg. A.K.)

Willkommen in der weißen Hölle

Das Staatswesen ist hier ALLES, der Bürger emotional drangsaliert, sein Verhalten durch Zwangsmedikation und, falls die einmal versagen sollte, durch Roboterpolizisten reguliert. Konformität ist Gesetz, ziviler Ungehorsam wird gnadenlos geahndet, etwaige rebellische Tendenzen Einzelner müssen von jedermann gemeldet werden. In diesem hermetischen und aseptischen Kosmos von Kontrolle und Denunziation sind Liebe und Intimität kriminalisiert, Sexualität gilt als Risikofaktor - zu gefährlich für den allgegenwärtigen Überwachungsapparat und die Ambitionen seiner totalen Ansprüche.

2004 erschien George Lucas' Director’s Cut. In den Film wurden durch Warner Bros. gekürzte Szenen wieder eingefügt, darunter eine Szene, in der THX 1138 beim Anschauen einer nackten TV-Tänzerin von einem automatischen Masturbator befriedigt wird. Vertiefte soziale Beziehungen sind vollständig verunmöglicht. Die Kaufansage aus dem Mund des kalten Übergottes (bei einer weiteren Gelegenheit lautet sie leicht abgewandelt so: "work hard / be happy / yes, I understand / yes, buy") dient nur dazu, das grenzenlose Konsumverhalten zu verstetigen und letztlich die sterile weiße Hölle dieses Nicht-Lebens zu verewigen: eine radikale Analyse, wie für den Turbokapitalismus unserer Zeit gemacht.

Man erinnert sich beim Anschauen unwillkürlich an das verächtliche Wort von Maggie Thatcher: "So etwas wie die Gesellschaft gibt es nicht" (‘there is no such thing as society’), das am 23. September 1987 fiel und eine Woche darauf in Women's Own veröffentlicht wurde.

Smarte Macht

Der Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han ("Wir sind zu lebendig, um zu sterben, und zu tot, um zu leben") bringt unseren Gedanken unter dem Titel "Psychopolitik" auf den Nenner:

Das Leistungsobjekt, das sich selbst frei wähnt, ist in Wirklichkeit ein Knecht. Es ist insofern ein absoluter Knecht, als es ohne den Herrn sich freiwillig ausbeutet. Ihm steht kein Herr gegenüber, der ihn zur Arbeit zwingt.

Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main

Selbstausbeutung und Selbstoptimierung bis zur Erschöpfung zeichnet die heutige Arbeitswelt aus, so Han, hinzu kommt auch noch die digitale Selbstentblößung, an die wir uns mehr und mehr gewöhnt haben ("Das Smartphone ist ein Pornoapparat"), nur ein weiteres Surrogat für Freiheit. "Smarte Macht" nennt Han die psychopolitische Steuerung der Person.

Wir beuten uns freiwillig und leidenschaftlich aus. Wir optimieren uns. Wir versuchen, uns selbst zu überholen. Am Ende spürt man eine Leere. Wir bewohnen nicht unseren Körper, sondern bewirtschaften, optimieren ihn. Der optimierte Körper ist nicht der glückliche Körper. Aufgrund dieser Zwänge stellt sich keine innere Erfüllung ein. Wir wissen ja nicht einmal, was wir wollen.

Byung-Chul Han

Für manchen mag es da "Sinn" machen, in einer rauschhaften Ersatzwelt nach Entlastung zu suchen, um der "graue(n) Welt der Hartz-IV-Gesellschaft" (so Anselm Vogt) zu entfliehen. Auf der anderen Seite definieren viele, denen es materiell besser geht, offenkundig Freiheit nicht unbedingt im Kantschen Sinne als Ausgang aus der Unmündigkeit (dies mittels stetem Bemühen und Verstand), sondern eher als einen frei schwebenden Zustand der Beliebigkeit, der dann zu einer "lähmende(n) Multioptionalität" ausarten kann, wie Vogt trefflich bemerkt.

Beides - der vorübergehende Rausch wie auch eine permissiv gelebte Individualität - dürften dem Projekt Mündigkeit (mit oder ohne Kant) nicht zuträglich sein: "Created in the image of man, by the masses, for the masses"? Das klingt echt böse.

Sex & Drugs & Rock'n'Roll

Der Feuilletonist Georg Seeßlen ("Der Kapitalismus braucht Konsumtrottel") erblickt in Thatchers Glaubensbekenntnis von 1987 den "böse(n) Kern von Neoliberalismus, Sozialabbau und Entsolidarisierung" und schlussfolgert: "Die taktische Bedeutung der Aussage, es gebe keine Gesellschaft, ist fast idiotisch klar: Wenn es keine Gesellschaft gibt, gibt es auch keine commons (Hervorhebg. G.S.), nichts, was uns allen gehört, nichts, was uns alle verpflichtet, nicht einmal etwas, was uns alle angeht (jedenfalls jenseits des Marktgeschehens)."

Also, wo endet das alles? In lauter "Sex & Drugs & Rock’n’Roll", der Zerrform des Sozialwesens als Spaßgesellschaft oder - ärger - beim "lautstarke(n) Genuss völkischen Beisammenseins"?

Der britische Motivationstherapeut Gavin Oattes macht es sich ganz einfach und empfiehlt Humantechnologien wie die Inner Child Therapie, die helfe wirkungsvoll bei der Aufrechterhaltung der Arbeitswilligkeit und verleihe dabei noch ein positives Gestimmtsein. Die Zeitschrift Living Scotsman bezeichnete dies als den neuesten Trend bei den Humantechniken, Gavin Oattes erklärt in einem beschwingten Artikel, wie man dabei noch zum "winner" wird:

The Japanese call it your Ikigai, pronounced as "itchy-guy". Your itchy-guy is your drive, a combination of passion, mission, profession and vocation. If you can scratch your itch successfully, you will be on to a winner.

Gavin Oattes

Ob es letztlich angebracht ist, dem "bewußtlose(n) Koloß des Wirklichen" (Adorno) mit dem Gute-Laune-Booster von Gavin Oattes (the best mood-booster) zu begegnen, sei dahingestellt. Der "flexible Mensch" (so nennt ihn Anselm Vogt, gemeint ist "das jederzeit (…) marktkonforme Individuum") ist zugleich auch der einpassungsfähige, nur: Was ist mit dem Mann am Hauptschalter?

Auch die Deutschen sind, ähnlich wie George Lucas' demoralisierter THX 1138, in großer Zahl ruhiggestellt; neuesten Meldungen zufolge gelten 1,5 Millionen Menschen hierzulande als medikamentenabhängig. Die umsatzstärksten synthetischen Schlafmittel und die meistverkauften Beruhigungspillen weisen fast ausnahmslos ein hohes Abhängigkeitspotenzial auf. "Vor allem Frauen wollen um jeden Preis funktionieren."

Unter den Jugendlichen wird überdies seit vielen Jahren psychischer Stress in erheblichen Ausmaßen diagnostiziert; 1,1 Millionen in der Altersgruppe der 6- bis 18jährigen in Deutschland sind psychisch angeschlagen (nach einem Gesundheitsmonitoring des Robert Koch-Instituts ist die doppelte Anzahl psychisch auffällig, die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen); Schüler leiden unter Depressionen als Folge von Leistungsdruck, digitaler Reizüberflutung, Mobbing in sozialen Netzwerken und Versagensängsten.

Laut Statistik nimmt sich jeden zweiten Tag ein Jugendlicher in Deutschland das Leben. Besonders betroffen sind die sozial Abgehängten, die in Betonsilos eingepfercht, durchnummeriert wie Waren und jeden Tag mit der Verwüstung einer Welt samt ihrer affektiven Gleichgültigkeit in ungeschminkter Unmittelbarkeit konfrontiert sind, wie sie sich als Folge der Zurichtung unserer Gesellschaft offenbart.

Freiheit - in einer unerträglichen Welt?

Das sind Kehrseiten der smarten Welt, weit entfernt vom "Megageil!" der Gutgläubigen (der "Loyalen"), die in Wahrheit selbst Arbeitssklaven und willige Konsumenten sind und sonst nichts. Auch der Umweltschutz ist nur neues Opium fürs "aufgeklärte" Volk. Das erleben wir gerade auf's Neue am Beispiel des auch seitens der Politik (totaler Nichtpolitik) heilig gesprochenen Individualverkehrs.

Es ist dieses "Wir haben es versucht", das uns erlaubt, das aufrechtzuerhalten, von dem wir nur allzu gut wissen, dass es ein unhaltbarer Zustand ist."

Carl Cederström / Peter Fleming: Dead Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeit.

"Die kapitalistische Warengesellschaft im Westen", sagt der kategorisch ungemütliche Schweizer Zeitgenosse Jean Ziegler (ehemals Professor in Genf und 2000 bis 2008 Sonderberichterstatter der UNO), "steht unter der Herrschaft des versteinerten, homogenisierten Bewusstseins". Es sind die Herrscher aus den Banken, den Handelsgesellschaften, den transnationalen Industriekonzernen, die über unsere Köpfe gebieten, und zwar in einer Weise, dass wir letztlich die "unerträgliche Ordnung der Welt" (ebda.) für gut befinden.

Unsere Freiheit - die Freiheit im eigentlichen Zentrum des Systems (Europa, Nordamerika) geht dabei immer, und zwar strukturell bedingt, auf Kosten der anderen; unser augenscheinlich größerer Spielraum von "Freiheit" ist erkauft mit dem Blut und dem Leiden Millionen anderer Menschen, endet jedoch spätestens da, wo die Konsumgesellschaft selber zur Disposition stünde; Herbert Marcuse hat dafür den Ausdruck "repressive Toleranz" gefunden. Damit ist das Feld der Surrogate umrissen, die unseren "freiheitlichen" Lebensstil in Wahrheit ausmachen.

True Believer

Zwischen den Machtzentren der Politik und der Ökonomie richtet sich der moderne Sklave ein - mehr oder eben weniger komfortabel. "Wie wir alle wissen, bräuchten wir eine ganze Reihe von Planeten, um die gesamte Menschheit in Vorstadthäusern mit zwei Autos und Vorgarten unterzubringen", schreibt der Urbanist und Zeitkritiker Mike Davis und erinnert damit an eine simple Wahrheit.

Die weltumspannenden Medien mit ihren täglichen Schreckensmeldungen (aber auch mit ihrer tagtäglichen verdummenden Wirklichkeitsandacht) tönen uns in die Ohren, weit unsichtbarer agiert die Macht in den Händen einer hyperglobalisierten Wirtschaft, einer unkontrolliert agierenden Waffenindustrie, einer korrupten Politik mit ihrer repressiven Bedürfnisbefriedigung (Marcuse), die die allgegenwärtige Konformität noch beflügelt. Die Gewalt dieser zwanghaften Warengesellschaft prägt unser Denken und Sein und richtet uns selber passgenau zu. Homogenisierung und Verdinglichung sind die Methoden und Mittel, wie unser Bewusstsein erstarrt. Das Elend der südlichen Hemisphäre wird laut Ziegler dabei von uns bequem "naturalisiert", das heißt: zu etwas Natürlichem und Normalem erklärt.

Wer, um Himmels willen, ist denn nun eigentlich "der Mann am Haupthebel"? Genug der dummen Ausreden, der millionenfachen Schlafmittel, der Moral-Attrappen, der hirnlosen Smilies! Im unaufhörlichen Kreislauf von Arbeit und Konsum gilt am Ende nur der Imperativ: Work hard! Increase production! Be happy, yes buy! Die Gebote des kapitalistischen Übergottes hallen bis in unsere Träume nach. Derart bis ins Mark kolonisiert, werden wir zum true believer, täglich aufs Neue bereit, uns den Exzessen des Marktes und den vom System gesteuerten Bedürfnissen hinzugeben.

Literatur:

Cederström, Carl / Fleming, Peter: Dead Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeit. Berlin (Tiamat) 2013

Davis, Mike: Wer wird die Arche bauen?, in: Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2011

Han, Byung-Chul: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt a.M. (Fischer) 2014

Ders.: Das Smartphone ist ein Pornoapparat, in: Das Magazin, No. 39/2014

Konrád, György: Stimmungsbericht. Frankfurt am Main (es) 1987

Seeßlen, Georg, zusammen mit Metz, Markus: Blödmaschinen - Die Fabrikation der Stupidität. Berlin (es) 2016

Virilio, Paul: Fahren, fahren, fahren … Aus dem Französischen von Ulrich Raulff. Berlin (Merve) 1978

Vogt, Anselm: Zwischen Beliebigkeit und Fundamentalismus. Sozialphilosophische Essays zur Orientierungslosigkeit des postmodernen Individuums. Oberhausen (Athena) 2007 (= Diskurs Philosophie Bd. 6)

Welzer, Harald: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit. Frankfurt a.M. (Fischer) 2017

Ziegler, Jean: Retournez les fusils! Choisir son camp. Paris (Éditions du Seuil) 2014