Gier, Gift und kranke Kinder

Seite 2: Glyphosat in rauen Mengen

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Glyphosat galt lange Zeit als vergleichsweise "harmloses" Herbizid. Für die Ausbringung der Monsanto-Round-up-Soja wurde es allerdings massiv eingesetzt. Über die Risiken gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Umweltverbände und diverse Ärzte-Organisationen beobachten Glyphosat bereits seit längerem mit Argwohn. Tatsächlich verdichten sich inzwischen die Hinweise, dass Glyphosat zu massiveren gesundheitlichen Problemen führen kann, als bisher angenommen. Ein spezielles Risikopotential besteht insbesondere darin, dass verschiedene Chemikalien in den angebotenen Mitteln kombiniert werden und man kaum etwas über deren Wechselwirkungen weiß.

Eine im April 2013 veröffentlichte Studie, die am MIT (USA) zahlreiche Datensätze auswertete, kam zu dem Schluss, dass Glyphosat (aktiver Bestandteil von Monsantos Roundup), wichtige Enzyme blockieren würde und damit mitverantwortlich für das Ansteigen einer Reihe von "Zivilisationskrankheiten" - von Diabetes bis hin zu Depression und Alzheimer - sein könnte.

Soja-Feld in Argentinien. Bild: CC-BY-SA-3.0

Auch in den USA, wo Roundup sicher sorgfältiger als in Argentinien angewandt wird, hat sich inzwischen Skepsis gegenüber Glyphosat in der Agrarwirtschaft breitgemacht. (Im Internet kursieren sogar diverse Grafiken, die ein proportionales Ansteigen von neurologischen Erkrankungen bis hin zu Autismus in Zusammenhang mit dem vermehrten Glyphosat-Einsatz bringen.)

Der Einsatz von Glyphosat ist allerdings bisher auch in Deutschland erlaubt. Laut BUND werden hierzulande etwa 6000 Tonnen jährlich eingesetzt. Teilweise findet es sich sogar in Produkten für Hobby-Gärtner. In Österreich hingegen hat man Glyphosat inzwischen teilweise verboten. Ein medial viel beachteter Test von BUND und Friends of the Earth zeigte erst jüngst, dass man nicht in Argentinien oder den USA leben muss, um Glyphosat in seinem Körper zu finden. In der Untersuchung wurden Urin-Proben von Großstädtern aus 18 europäischen Staaten genommen. Die höchsten Glyphosat-Belastungen fanden sich bei "Bewohnern jener Länder, die wie Deutschland, Großbritannien, Polen und die Niederlande intensive Landwirtschaft betreiben", kommentierte BUND-Vorsitzender Hubert Weiger die Ergebnisse.

Märkte, Soja-Barone und ihre Kinder

Die großen Märkte für die Gentech-Pflanzen von Monsanto sind die USA, China und Lateinamerika. Die bedenklichen jüngeren Studien aus den USA und Europa über die gesundheitlichen Auswirkungen von glyphosathaltigen Agrochemikalien könnten in den USA allerdings noch ein Problem für den Konzern werden, wenn sich die kritische Datenlagen weiter erdichtet. Mit Argentinien hat man indes bereits ein Riesengebiet in Lateinamerika erschlossen. Von dort aus wurde Gentech-Saatgut über die Grenze nach Brasilien geschmuggelt, wo man Gentech-Sorten ursprünglich verboten hatte. Aber das schnelle Geld mit GV-Soja war wohl auch für die brasilianischen Bauern zu verlockend.

Der argentinische Kinderarzt Vazquez erklärte 2011, dass er Kinder von GV-Soja-Produzenten behandelt hätte, er Fälle kenne, in denen die Kinder der Farmer sogar verstorben wären. Die Soja-Barone hätten sich fünfzehn Jahre lang von den Versprechen der Hersteller und den hohen Profiten des Gentech-Systems blenden lassen. Es würde ihnen immer wieder versichert, dass die Chemikalien sicher seien, sagt Vasquez. Jetzt würden ihnen Universitäts-Studien zeigen, dass dies nicht so ist. Das Original-Zitat in Spanisch:

Yo veo cierta desaprensión por parte de los productores agrarios en usar químicos en forma irracional, pensando que no son tóxicos. Los productores están encandilados por la gran rentabilidad del sistema. Yo tengo pacientes hijos de productores, algunos se han muerto, y sin embargo ellos tratan de pensar que fue por algo casual, que les podía pasar, y siguen creyendo en el discurso de la industria, de Monsanto y de muchos técnicos que repiten que los productos son inocuos. Ese discurso lo escuchan desde hace 15 años, y desde hace algún tiempo también están escuchando a las universidades que les decimos que son venenos y les contamos cuáles son las consecuencias.

Vielleicht sind die stereotypen Aussagen der Soja-Barone, man hätte sich auf die Sicherheitsversprechen der Hersteller verlassen, aber auch nur psychologische Schutzmechanismen. Wer würde nicht an der Erkenntnis, dass er die eigenen Kinder massiv gefährdet hat, zerbrechen?

Und wie sieht das Hersteller Monsanto? Mit der Betonung, dass es lediglich eine Frage der korrekten Anwendung der Produkte sei, schiebt der Konzern Verantwortung von sich. Offensichtlich identifizieren sich auch die Monsanto-Mitarbeiter mit den Produkten. So berichtete etwa die FAZ, dass der Konzern einen eigenen Mitarbeiter-Blog initiierte. Die Arbeitnehmer gaben sich dort überzeugt, einen wertvollen Beitrag für die Landwirtschaft zu leisten.

GV-Soja in Argentinien zeigt allerdings einmal mehr, dass Agrarlösungen, die auf Monokulturen und Chemie basieren, kaum nachhaltig sind. Dies gilt speziell dann, wenn derartige Konzepte in Länder exportiert werden, wo es keine gesetzlichen Grundlagen für die korrekte Handhabung von Chemikalien gibt und die Landwirtschaft traditionell kleinbäuerlich organisiert oder wie in Argentinien auf andere Kultursorten und Viehwirtschaft spezialisiert ist.

Die fatalen Folgen derartigen "Kultur-Exportes" hatten sich bereits in den 1960er Jahren mit der "grünen Revolution" in Indien gezeigt. Vorort hatten die Bauern und Anrainer gar kein Geld, um sich Handschuhe oder andere Schutzkleidung zu kaufen. Auch die negativen Umweltfolgen sind gut dokumentiert. Der Ertrag ging hauptsächlich in den Export und gefährdete die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Später trieb die Einführung der Gentech-Baumwolle in Indien zahlreiche Landwirte in den Ruin, weil die Sorten nicht wie erhofft funktionierten. In manchen Gegenden wurde der Anbau schließlich ganz verboten.

Westliche Agraringenieure und Chemiker sind sicher von ihren Konzepten überzeugt. Öko- und Kultursysteme sind aber sensible Mechanismen, die vom Schreibtisch aus, schwerlich berechenbar sind. Die ratio-dominierte Naturanschauung gerät am freien Feld des Lebens an ihre Grenzen.

Staatschulden, Export-Zölle und Gesundheitsfürsorge

Indes kämpft Sofia Gatica, die 2012 mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet wurde, weiter für Verbesserungen in ihrem Land. Immerhin konnte man kleinere Erfolge erzielen. Inzwischen wurde in Argentinien zumindest das hoch giftige Endosulfan verboten. Auch einige strengere Einsatzrichtlinien wurden erlassen.

Eine von der Regierung eingesetzte Kommission, die sich speziell mit dem Chemie-Problem beschäftigen sollte, tagte aber seit Jahren nicht mehr. Inwieweit das mit Interessenskonflikten - die hohen Export-Zölle spülten schließlich viel Steuergeld in die leeren Staatskassen - in Zusammenhang stehen könnte, ist nicht bekannt. Man sollte aber bedenken, dass Argentinien erst August 2012 Rest-Schulden aus dem Staatsbankrott von 2001/02 zurückzahlen konnte. Die letzte Rate betrug laut Wikipedia rund 2,3 Mrd. US-Dollar.

Indes kommt die Organisation "Médicos de Pueblos Fumigados" nicht zur Ruhe. Die Ärzte sehen Tag für Tag die Folgen des unkontrollierten Chemie-Einsatzes - in Krankenhäusern, in den Praxen, in den Armenvierteln. Und es tut sich bereits eine neue Front auf. Biotech-Energie-Pflanzen speziell Gentech-Mais), die für die Gewinnung von Bio-Kraftstoffen ausgelegt und in Europa nicht zugelassen sind, haben inzwischen Einzug in Argentinien gehalten, berichtet die Organisation. Ausgang für Umwelt und Mensch ungewiss!