Gigantisch und obendrein wendig

Ein DFG-Forschungsprojekt untersucht die pflanzenfressenden Dinosaurier

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Biologen der Universität Flensburg rekonstruieren in dem Projekt „Biologie des Gigantismus“ die Biomechanik der sauropoden Dinosaurier. Die ersten Ergebnisse weisen darauf hin, dass die riesigen Tiere beweglicher waren, als sie aussahen.

Viktorianische Mischwesen

Im Jahr 1853 erwartete die Besucher des Crystal Palace bei London, dem vermutlich ersten Themenpark der Welt, eine besondere Überraschung: Dinosaurier – in Lebensgröße nachgebildet. Die Ausstellung war äußerst erfolgreich und entzündete eine wahre „Dinomanie“. Die nachmodellierten Dinos – sie sind heute noch im neuen Crystal Palace in Sydenham Hill im Süden von London zu besichtigen – sind aus heutiger Sicht allerdings recht zweifelhafte Kreaturen. Teils Reptilien, teils Säugetiere entsprechen sie mehr dem Glauben ihres Erschaffers Richard Owen an eine kreationistische Fossilgeschichte denn der Wirklichkeit.

Viktorianische Vorstellungen von Dinosauriern aus dem Crystal Palace (Bild: Colin Gregory Palmer)

Dass wir heute eine wesentlich realitätsnähere Vorstellung vom Aussehen der Dinosaurier haben, verdanken wir Forschern wie Andreas Christian, Biologe am Flensburger Institut für Biologie, Sachunterricht und ihre Didaktik, der sich mit dem Thema Biomechanik beschäftigt und versucht, das Bewegungsvermögen der Riesenechsen zu rekonstruieren. Im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist er im Verbund mit anderen Wissenschaftlern dabei, ein Gesamtbild der Sauropoden zu erstellen. Das Projekt soll neue Erkenntnisse über die gesamten Lebensäußerungen dieser Saurier, über Geschwindigkeit, Beweglichkeit, Ernährung, Wachstum, Atmung, Energieumsatz, und vor allem über ihre Evolution bringen.

Friedliche Riesen

Die Sauropoden gehören zu den größten Landlebewesen, die es jemals gegeben hat. Der Brachiosaurus z. B. wurde über 15 Meter hoch, Seismosaurus und Argentinosaurus waren um die 40 Meter lang. Bis über 50 Tonnen brachten solche Giganten vermutlich auf die Waage. Doch trotz ihrer Furcht erregenden Größe waren die Sauropoden friedliche Riesen, die sich ausschließlich von Pflanzen ernährten. Ihr charakteristisches Merkmal ist ein langer Hals mit einem vergleichsweise winzigen Kopf.

Nun ist ihr Aussehen zwar weitgehend rekonstruiert, trotzdem gibt es noch viele offene Fragen: Wie beweglich waren sie mit ihren massigen Körpern, wie konnten sie so groß werden und wie viel Nahrung brauchten sie?

Jeder Wirbel zählt

Um die Frage nach der Ernährungsweise und damit eng verbunden der Stellung und Beweglichkeit der Hälse von Sauropoden zu beantworten, braucht man vor allem eines: vollständige Skelette von Saurierhälsen. Andreas Christian und sein Kollege Gordon Dzemski haben dazu bereits zahlreiche paläontologische Abteilungen großer Museen in ganz Europa abgeklappert. „Es gibt weniger Funde, als man so allgemein denkt“, erklärt Christian im Gespräch mit Telepolis. „In den Museen sieht man zwar oft komplette Skelette, aber viele sind Zusammenstellungen oder Abgüsse von mehr als einem einzigen Exemplar.“

Ein weiteres Problem sind nachmodellierte Knochenstücke. Für den Laien sind sie nicht zu erkennen, für den Wissenschaftler verliert damit das gesamte Skelett an Aussagekraft. Als besonders tauglich erwiesen sich die Sammlungen in Berlin und im Aathalmuseum in der Schweiz.

Von Straußen und Sauropoden

Um die Details dann aber auch richtig zu verstehen, stellen die Biologen Vergleiche mit heute lebenden Tieren an. Geeignete Objekte im Falle der Sauropoden sind Giraffen, Kamele und vor allem Strauße. Letztere sind mit den Sauriern besonders nah verwandt und besitzen Halswirbel, die denen der Saurier stark ähneln. Bei vergleichenden Analysen von Straußenhälsen fanden die Flensburger Forscher z. B. heraus, dass die Sauropoden die Bewegungsspielräume ihrer Wirbel wohl weitgehend ausschöpften.

Das ist eine wichtige Erkenntnis für uns. Die Beweglichkeit eines Tieres hängt immer davon ab, welche Sperren für die Bewegung vorhanden sind. Häufig sind es Bänder, die verhindern, dass die Gelenke sich über eine gewisse Winkelung hinaus bewegen. Das ist bei den Straußen nur bei der Biegung nach unten ausschlaggebend. Bei anderen Bewegungen schöpfen die Straußen ihre Bewegungsmöglichkeiten fast so weit aus, wie es die Knochen erlauben. Das gibt uns Hinweise, was bei den langen Saurierhälsen möglich gewesen sein könnte. Schließlich haben wir dann auch noch die Gelenke verglichen und kamen zu dem Schluss, dass einige dieser Tiere, vor allem der Diplodocus, wendiger waren als bislang angenommen.

Andreas Christian im Gespräch mit Telepolis

Richtig kombinieren

Anhand von Modellrechnungen zu Sauerstoffverbrauch und Energie-Umsatz können Christian und Dzemski darüber hinaus abschätzen, ob es für ein Tier physiologisch sinnvoll gewesen ist, sich auf zwei Beine zu stellen oder den Hals häufig hoch- und runterzubewegen. Ihre Ergebnisse vergleichen die Flensburger dann mit denen der anderen Projektgruppen, die sich beispielsweise mit Verdauung oder Wachstum beschäftigen. Dann werden Kombinationen diskutiert, die möglich sind oder nicht.

Viktorianische Vorstellungen von Dinosauriern aus dem Crystal Palace (Bild: Colin Gregory Palmer)

„Die Idee einer hohen Stoffwechselrate etwa passt nicht dazu, dass ein Tier nur verstreute und schwer verdauliche Nahrung zu sich nahm“, erläutert Christian. „Da die Sauropoden den Hals hoch trugen und damit das Gehirn weit über dem Herzen liegt, muss der Blutdruck sehr hoch gewesen sein, aber das wiederum passt nicht zu einem intensiven Stoffwechsel, da dabei das Herz zu stark beansprucht würde. Es gibt also Eigenschaften, die zusammenpassen und solche, die nicht.“

Gesamtbild von den Sauropoden

Am Ende des Projektes soll es gelungen sein, die plausibelsten Szenarien herauszuarbeiten. „Dann hoffen wir für jedes Tier ein funktionierendes Gesamtbild entwickelt und damit wichtige Hinweise auf die Evolution gewonnen zu haben“, beschreibt Christian das Ziel. Dass die Forschung sich dabei auf dem richtigen Weg befindet und keine Phantasiegeschöpfe erstehen lassen wird, steht für Christian fest. „Im Lauf der Jahrzehnte wurden die Interpretationsspielräume immer enger. Bei der Diskussion um die Masse der Dinosaurier z. B. gingen die Schätzungen lange hin und her. Man weiß eben nicht genau, wie viel Muskulatur sie besaßen. So ein Dino hätte mit sehr viel, aber auch mit weniger Muskelmasse funktionieren können. Die Knochen geben da nur vage Grenzen. Aber mit jedem Fund erkennen wir genauer, wo die Grenzen liegen, und so werden die Spielräume immer schmaler.“

Mit den neuen Erkenntnissen wird es dann auch dreidimensionale Modelle der Sauropoden geben, die vielleicht für die eine oder andere Überraschung sorgen werden.