Gilt für E-Mails das Brief- und Fernmeldegeheimnis?

Zwei neue Fälle von formal korrekten Gerichtsurteilen an der falschen Stelle

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Nach mittlerweile sechs Jahren ist der Fall „Maxem“ abgeschlossen: das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde von Matthias Lach abgewiesen und dem Rechtsanwalt Werner Maxem, der einst die E-Mail-Adresse von Lach beanspruchte, damit recht gegeben. Immerhin steht nun aber fest, dass auf diesem Weg erfolgreich abgegriffene, für einen anderen bestimmte, E-Mails nicht veröffentlicht werden dürfen.

Eigentlich ist es sonnenklar: eine E-Mail ist eine einer bestimmten Person, dem Adressaten, zugedachte Information und damit nichts anderes als ein Brief oder ein Telefonanruf. Sie fällt damit unter das Brief- und Fernmeldegeheimnis, das im Grundgesetz festgeschrieben ist. Dies bedeutet, dass man nicht absichtlich anderer Leute E-Mails in seinen Besitz bringen darf und, falls es doch einmal geschieht, versehentlich oder durch einen technischen Fehler, deren Inhalt nicht einfach öffentlich machen darf.

Dieses Verhalten ist eigentlich selbstverständlich und eine Frage des Anstands, der von den traditionellen Internetusern auch immer beachtet wird: Wer beispielsweise einen als persönlicher E-Mail zugestellten Rüffel eines Mailinglisten- oder Forenbetreuers per Quote der E-Mail über die Liste beantwortet, holt sich dicken Ärger und wird vermutlich sogar für einige Zeit gesperrt, weil er nicht nur ein Einzelproblem in die Öffentlichkeit trägt und damit die ganze Liste belastet, sondern auch die Vertraulichkeit der persönlichen E-Mail verletzt hat, indem er sie über die Liste schickt. Wer wiederum einfach persönlich an ihn gerichtete E-Mails an andere Leute weiter schickt oder veröffentlicht, benimmt sich ungefähr genauso geschmackvoll wie der umschwärmte Teenager, der die ihm geschriebenen Liebesbriefe in die Schule mitnimmt und zur allgemeinen Erheiterung durch die Klasse reicht.

Im Geschäftsleben kommt es natürlich schon einmal vor, dass man eine Mail einfach komplett an einen Kollegen weiter reicht, doch dann hat es mit dem Vorgang an sich zu tun und es geht nicht darum, den Schreiber der E-Mail bloßzustellen, sondern sein Anliegen zu lösen. Hier wird sich auch niemand beschweren. Das Problem beginnt, wenn die Privatsphäre des Absenders verletzt wird, weil dieser etwas jemand anderem vertraulich geschrieben hatte, das nicht für die ganze Welt bestimmt war. Auch geschäftliche Interessen können verletzt werden, wenn auf diese Art Geschäftsgeheimnisse ausgeplaudert werden. Dies kann auch für Äußerungen auf Mailinglisten gelten, die nur einem geschlossenen Benutzerkreis zugänglich sind. Wer dagegen seine Meinung als "Rundmail" an unzählige Empfänger verschickt, kann sich anschließend nicht mehr beschwerden, wenn sein Fauxpas im Web landet.

Nicht entscheidend: Postkarte oder Brief im Umschlag?

Völlig irrelevant ist übrigens die Frage, ob eine unverschlüsselte E-Mail nun eher einem Brief oder einer Postkarte gleichzusetzen ist. Es ist klar, dass eine Postkarte leichter versehentlich gelesen werden kann, da der Briefträger oder andere Familienmitglieder es kaum vermeiden können, zumindest ein paar Worte außer der Anschrift wahrzunehmen, bevor die Karte dem Empfänger ausgehändigt ist. Es ist aber auch klar, dass der versehentliche Mitleser deshalb nicht berechtigt ist, den Inhalt der Postkarte auszuplaudern oder diese zur allgemeinen Erweiterung an ein schwarzes Brett zu hängen.

Der Umschlag um eine Karte oder einen Brief beziehungsweise die Verschlüsselung einer E-Mail sollen lediglich das ungewollte Lesen verhindern und das gewollte Lesen zumindest erschweren – ihr Fehlen bedeutet aber keinesfalls, dass nun das Lesen erlaubt ist. So ist auch der Polizeifunk in Deutschland bis heute meistunverschlüsselt, doch viele Jahre war sogar das Mithören strafbar und die Wiedergabe in der Presse oder in anderen Medien streng verboten. Die technische Möglichkeit, mitzulesen und die rechtliche Zulässigkeit derselben sind zwei völlig verschiedene Stiefel. Und beide Maßnahmen schützen übrigens auch nicht dagegen, festzustellen, wer mit wem korrespondiert: Anschriften auf Briefen und Anschriftfelder in E-Mails (und übrigens auch Betreffzeilen) lassen sich nicht verschlüsseln.

Journalisten ist all dies normalerweise bekannt. Aus diesem Grund finden sich in Presseartikeln oft Formulierungen wie "ein dies bezeugendes Schreiben liegt der Redaktion vor". Hat eine Redaktion ein solches Schreiben in die Hände bekommen, darf sie über seine Existenz durchaus berichten und auch mal einen einzelnen Satz daraus zitieren, aber normalerweise nicht einfach den ganzen, ursprünglich für jemand anders bestimmten, Brief abdrucken. Hierbei würde das Persönlichkeitsrecht des so bloßgestellten Absenders verletzt und bei umfangreichen Briefen möglicherweise auch noch das Urheberrecht. Letzteres wird üblicherweise aber nur von Juristen in Anspruch genommen, die befürchten, dass andere Rechtsanwälte so hinter ihre Formulierungskünste kämen und ist mehr eine zusätzliche Schutzbehauptung, um die Veröffentlichung solcher Schreiben zu verhindern.

Brief- und Fernmeldegeheimnis sind Teil des Grundgesetzes

Wie gesagt, an sich sind dies längst eingespielte Regeln des menschlichen Miteinanders, die zumindest in der Bundesrepublik Deutschland auch der Artikel 10 des Grundgesetzes entsprechend gehandhabt werden – Abhören und Mitlesen sind hier immer noch die Ausnahme. In der DDR war dem bekanntlich nicht so, auch wenn in der Verfassung der DDR in § 31 ebenso ein fast gleichlautendes Brief und Fernmeldegeheimnis fixiert war.

Aus unerfindlichen Gründen fällt es jedoch gerade Juristen oft schwer, die Analogie bei E-Mail zu erkennen. Von solch absurden Entscheidungen, dass das Unterschlagen von E-Mails nicht strafbar sei, weil es sich dabei nicht um eine materielle Sache handele wie einem Brief auf Papier (Staatsanwaltschaft Köln, Berufsverbot für Mediendesigner?), bis zum sorglosen Umgang mit technischen Systemen oder schlichtweg dem Wunsch, ohne irgendwelche Vorwarnzeiten die E-Mail-Adresse eines anderen übernehmen zu wollen.

Besonders spektakulär war in diesem Zusammenhang der Fall des Onlinespielers Matthias Lach, der seit Anfang der 90er-Jahre das Pseudonym Maxem online benutzte. Dessen gleichlautende T-Online-Mailadresse wollte ein Rechtsanwalt mit Nachnamen Maxem urplötzlich per Einstweiliger Verfügung ohne vorherige Abmahnung übernehmen (Email-Klau über den Weg des Domainklaus ist legal). Zwar mag das Ziel des Anwalts „nur“ gewesen sein, stolz zeigen zu können, dass er genau die Adresse von T-Online erobert hatte, die seinem Nachnamen entspricht – er benutzte zu diesem Zeitpunkt in seiner E-Mail noch die zusätzliche Vorsilbe rae für Rechtsanwälte, durchaus branchenüblich, da er in einer Kanzlei arbeitete. Doch die Folge, dass schlagartig alle auch privaten Nachrichten der nichtsahnenden Freunde des Onlinespielers in seiner Kanzlei aufschlagen würden, nahm er zumindest billigend in Kauf.

Streit um T-Online-E-Mail-Adresse

Das Gericht lehnte damals dieses Ansinnen verständlicherweise ab. Mehr Erfolg versprach sich der Rechtsanwalt anschließend davon, dem Onlinespieler nun die Domain gleichen Namens auf dem Rechtswege abspenstig zu machen. Auch hier ging es nur um die E-Mail, nicht ums WWW, denn die Kanzlei, in der Rechtsanwalt Werner Maxem arbeitet, hat bis heute ebensowenig eine Homepage wie er selbst. Und während zunächst zwei Instanzen zu Gunsten des Onlinespielers entschieden, der nach fast 10 Jahren im Internet darauf vertrauen können sollte, sich unter dieser Adresse hinreichend etabliert zu haben, entschied der Bundesgerichtshof andersrum und verlangte die Freigabe der Domain.

Trotz halbwegs vernünftigen Streitwerts hatte dies erhebliche Unkosten für den Verlierer zur Folge, vor allem blieb aber der Eindruck "Frechheit siegt" hängen: man muss ein unrechtmäßiges Ansinnen, nämlich sich einfach das Postfach eines anderen, Unbekannten, anzueignen, nur hartnäckig genug verfolgen, um damit vor Gericht durchzukommen. Deshalb wurde Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestellt – leider vergeblich, sie wurde dieser Tage abgewiesen: der Aspekt, seinen Mitmenschen die E-Mail auf diese Art entführen zu wollen bzw. können, wurde nicht berücksichtigt, sondern lediglich auf das stärkere Recht desjenigen eingegangen, der einen bürgerlichen Namen trägt gegenüber denen, der ihn nur als Pseudonym führt.

Es ist damit Privatleuten und kleinen Firmen kaum möglich, mit ihrem Namen oder Firmennamen eine Domain dauerhaft und sicher behalten zu können, denn eben dieser Fall zeigt, dass auch nach 10 Jahren jemand ankommen kann, der erst jetzt das Internet entdeckt hat und Rechte beansprucht. Schriftsteller, die unter Pseudonym veröffentlichen, können sich auch erst dann ohne Risiko eine ihrem Pseudonym entsprechende Domain leisten, wenn sie bereits berühmt sind – und dann ist die Domain garantiert längst von einem Grabber belegt. Ebenso kann eine später entstandene Firma im Laufe der Jahre bekannter werden – es wäre heute beispielsweise völlig undenkbar, dass die Firma Apple Records, die von den Beatles gegründet wurde, die Domain Apple.com erhalten könnte, da der Computerhersteller gleichen Namens inzwischen viel bekannter ist. In diesem Fall hatte natürlich der Computerhersteller auch längst die Adresse, doch wenn nicht, wäre es ihm nach deutscher Rechtsprechung zumindest nicht besonders schwer gefallen, Ansprüche geltend zu machen.

Übergabe: Kein Anspruch, klappt nur freiwillig

Allerdings gilt die Einschränkung, dass nach deutscher Rechtsprechung niemals eine Übergabe verlangt werden kann, sondern maximal die Aufgabe einer Adresse. In vielen Gerichtsurteilen wird nicht einmal dies verlangt, sondern nur die Nutzung für bestimmte Zwecke. Wer also jemand anders unnötig auf die harte Tour angreift und hartnäckig weiter schikaniert, wird am Ende selten in den Besitz der begehrten Adresse kommen: Rechtsanwalt Maxem half der gewonnene Prozess am Ende wenig, da ein anderer Maxem die aufgelassene Adresse registrierte. Falls Werner Maxem sich mit der ganzen Aktion einen Namen als Internetexperte machen wollte, so ist ihm dies definitiv misslungen.

Tröstlich ist immerhin, dass die in solchen Fällen oft angebrachte Drohung, mit der Übernahme fremder Domains die dort auflaufenden E-Mails zum eigenen Vorteil zu verwerten, dank einem Urteil des LG Köln nicht mehr straffrei verwirklicht werden kann: Eine eigentlich selbstverständliche Tatsache wurde nun gerichtlich fixiert, derartige E-Mails dürfen nicht einfach im WWW veröffentlicht werden – das Abdrucken in Zeitungen oder das Vorlesen in Radio und Fernsehen dürfte damit auch ausgeschlossen sein.

Traurig an diesem Fall, was die Richter auch durchaus erwähnten, doch nicht berücksichtigten konnten, war allerdings der Hintergrund des Falles: durch die Veröffentlichung der E-Mails in einem Forum sollten gesetzeswidrige Praktiken einer Aktiengesellschaft publik gemacht werden. Die Pressefreiheit ist durch das Verbot, diese E-Mails 1:1 online zu stellen, jedoch nicht gefährdet, da es eben durchaus ausreicht, bekanntzugeben, dass man eine E-Mail hat, die den Sachverhalt belegt. Sollte die Gegenpartei dies bestreiten, kann man die E-Mail als Beweis vor Gericht verwenden, sofern man sie auf rechtmäßige Art erhalten hat, war beispielsweise einer der Empfänger sie weitergereicht hat. Nicht abgedeckt ist natürlich der Fall, dass man sie auf unrechtmäßige Art erhalten hat, beispielsweise durch ein Hacken des E-Mailservers

Etwas anders verhält sich der Fall übrigens bei Telefongesprächen: diese darf man zwar, wenn man selbst am Gespräch beteiligt war, für den eigenen Bedarf als Erinnerungsstütze aufzeichnen, doch ist eine solche Aufzeichnung als Beweis vor Gericht prinzipiell untauglich – die Weitergabe des gesprochenen Wortes ohne Einverständnis des Gesprächspartners ist stets illegal. Hier werden die Persönlichkeitsrechte etwas höher eingeschätzt, weil das gesprochene Wort üblicherweise als flüchtig und nicht so überlegt formuliert wie das geschriebene Wort betrachtet wird. Dass manche Leute beim Schreiben von E-Mails nicht mehr nachdenken als beim Quasseln in der Kneipe, ist dann ihr persönliches Problem...