"Give me Playstation or Death!"
Ein Ausblick auf den bevorstehenden Konkurrenzkampf der Konsolen
Die Arena ist bereitet. Die in erbitterte Feindeslager gespaltenen Fans sind atemlos. Die Luft ist voll schicksalsschwangerer Spannung. Und da betritt der amtierende Champion die Kampfstätte. Mit mächtigem Schritt, zu voller Größe aufgebäumt. Mit all seiner Macht holt er aus. Schlägt zu. Und trifft irgendwie doch nicht so richtig. Keine Frage: Auch der europäische Verkaufstart von Sonys Playstation 2 wird ein Medien- und Umsatzzahlen-Ereignis sondergleichen werden. Der Kampf um den Videospiel-Markt aber ist vorerst offener als je zuvor.
Vielleicht war es die Überheblichkeit des Siegesgewissen, die Sony dazu verleitet hat, mit der Playstation 2 eine suboptimale Strategie zu fahren. Vor einem Jahr noch schien das Rennen ohnehin entschieden, Sony nicht nur klarer, sondern einziger Favorit. Aber schon kurz nach dem Japan-Start der derzeit leistungsfähigsten Spielkonsole der Welt wurde klar, dass der Entertainment-Gigant es nicht geschafft hat, den Sack zuzumachen. Und jetzt wieder nur als einer unter mehreren Kandidaten am Start ist im Fight um den Milliardenkuchen - wenn auch als einer mit guten, vielleicht den besten Chancen.
Der Grundfehler der Playstation 2 ist eigentlich eine Tugend: Sie ist zu ambitioniert. Wo ein einfacher Schlag mit der Keule über die Rübe gereicht hätte, verstieg sich Sony zu einem verschraubten Kampfkunst-Kick, der seine Wirkung erst viel später zeigen wird. Das hochgezüchtete Chipset, das in der PS2 seinen Dienst tut, ist zu bislang ungeahnten Dingen fähig. Wörtlich. Denn während Sony von revolutionären Spielewelten und dem Allzweck-Entertainment-Center träumt, ringen die meisten Entwickler noch damit, das Ding überhaupt zu ganz einfachen, altbekannten Verrichtungen zu bewegen.
Der Preis für die komplexe Architektur des Innenlebens, die hier ausführlich und kompetent dargestellt wird sind einerseits, ganz konkret, relativ hohe Herstellungskosten, die sich in einem entsprechend hohen Verkaufspreis niederschlagen: Rund DM 1000,- für die Grundausstattung von PS2, zweitem Controller, Memory Card und einem Spiel dürften die Geldbeutel weiter Teile der Zielgruppe selbst bei weihnachtlichen Finanzspritzen der Verwandtschaft überstrapazieren. Andererseits, und entscheidender, hat Sony sich zwar sehr um imposante Datenblätter für seinen Neuling gekümmert, wenig aber um das durchschaubare Zusammenspiel der edlen Komponenten und deren einfache Programmierbarkeit - was sich in unvorhergesehen langen und aufwendigen Entwicklungszeiten für Spiele niederschlägt. Entwicklungszeit, die getreu der Franklinschen Maxime selbstverständlich auch bares Geld (oder zumindest Kredite) für die Softwarefirmen sind. Weshalb viele finanzschwächere Spieleschmieden erstmal außen vor bleiben. Und auch die Giganten in ihren PS2-Produkten erster Generation wenig wirklich Begeisterndes vorzuweisen haben.
Praktisch das gesamte Startfeld besteht aus Spielen, die wir seit drei Jahren auf der Playstation spielen, mit aufgemotzter Grafik - einer Grafik aber, die im Vergleich zu Segas Dreamcast auch noch keinerlei Quantensprünge hinlegt. Und erhebliche Besserung scheint noch erstaunlich fern.
In Japan, wo die PS2 nun seit einem Jahr erhältlich ist, fristen die meisten der mit rasendem Absatz gestarteten Konsolen ihr Dasein hauptsächlich als DVD-Player. Mit der Hardware (von Memory Cards und Controllern abgesehen) ist aber im Videospiel-Business kein Gewinn zu machen - der ist abhängig von den Software-Verkäufen. Und noch hat die PS2 in Japan keinen einzigen wirklich großen Hit gelandet, meist rangieren die Spiele in den Charts weit unter denen für die alte Playstation, das Nintendo 64 und den Gameboy.
Auch in den USA - wo das von Sony vielleicht absichtlich niedrig gehaltene Start-Kontingent an Geräten binnen kürzester Zeit ausverkauft war - hat der PS2-Spuk in den Software-Top25 schon nach zwei Wochen ein erstes Ende gefunden, lediglich ein Titel blieb übrig, und der nicht unter den TopTen (was wohl vor allem bedeutet, dass die meisten nach Anschaffung der Konsole erstmal kein Geld mehr für weitere Spiele haben).
Ganz klar: Der Preis der PS2 wird über kurz oder lang in sozialere Regionen sinken. Mit wachsender Erfahrung wird die technische Schwelle für Entwickler an Bedeutung verlieren - oder aufgrund entsprechender PS2-Verkaufszahlen irrelevant werden: Wenn die installierte Basis an Konsolen hoch genug ist, ist es den Entwicklern herzlich egal, ob sie sich zum Programmieren eines Systems in Kräuterquark wälzen und mit glühenden Zangen die Zehnägel ausrupfen müssen. Die originellen, revolutionären, begeisternden Spiele werden kommen - hoffentlich. Aber es kann sein, dass bis dahin Sony seinen entscheidenden Vorsprung verspielt hat, dass bis dahin jene Monate ungenutzt vergehen, in denen Sony der Konkurrenz hätte auf und davon ziehen sollen.
Kurzfristig könnte sich über das Erscheinen der PS2 paradoxerweise kaum jemand so freuen wie Sega. Deren Dreamcast-Konsole stand ja von Anfang an im dräuenden Schatten des vermeintlich übermächtigen Konkurrenzprodukts - jetzt ist selbiges da und vorerst nicht halb so spektakulär und revolutionär wie erhofft. Ein Laden, in dem nebeneinander die Dreamcast- und PS2-Versionen von DOA 2 über den Bildschirm flackern, dazu Preisschilder für die Konsolen: Eine bessere Werbung könnte der Sega-Marketingabteilung im Traum nicht einfallen. Gerade vom Weihnachtsgeschäft könnte einiges bei Sega hängen bleiben - von Leuten, die sich die PS2 nicht leisten können, die wegen Lieferengpässen keine mehr bekommen, die von der Qualität der PS2-Startspiele unbeeindruckt sind und einen Blick auf Segas ganz und gar vorzügliche Aufstellung tun - bei der es dauern wird, bis Sony mithalten kann.
Ob das langfristig etwas an Segas Grundproblemen ändern kann, ist eine andere Frage: Als erste 128bit-Konsole wird der Dreamcast auch als erste dieser Generation technisch veraltet sein. Und vor allem: Sega hat nicht annähernd den Marken-Erkennungswert und die Finanzkraft, nicht einen Bruchteil des Werbeetats der Konkurrenz. Da hilft es möglicherweise wenig, dass sie mit einiger der besten Software der Videospielgeschichte aufwarten können. Gerüchte, Sega werde sich aus dem Hardwaregeschäft zurückziehen und zum reinen Spieleentwickler werden, gibt es schon länger.
Bis aber die Spiele für die Playstation 2 die für den Dreamcast (zumindest technisch) wirklich zu überflügeln beginnen dürften, stehen schon die nächsten Kontrahenten bereit - gänzlich ungeplagt von Segas Sorgen. Gegen die Kriegskasse von Microsoft nimmt sich selbst die von Sony noch bescheiden aus, und über einen mangelnden Bekanntheitsgrad kann Bill Gates' Imperium auch nicht gerade klagen.
Wenn Microsoft nächstes Jahr mit seiner X-Box den Einstand in den Konsolen-Markt feiert, wird Aufmerksamkeit und jede Menge kostenloser journalistischer Werbung gewiss sein. Erfahrung als Hardware-Hersteller und mit Videospiel-Konsolen hat MS freilich äußerst wenig, und mit den auf dem Entertainment-Markt verlangten bug-freien, einfach zu bedienenden Produkten ebenso. Dafür um so mehr darin, sehr spät einen lukrativen Markt zu entdecken und den mit aggressiver Taktik aufzurollen - oft genug auch mit qualitativ unterlegenen Produkten. Wobei die X-Box an Leistungsfähigkeit die PS2 angeblich noch um einiges überbieten wird - und sie eine den meisten Programmierern bestens vertraute Entwicklungsumgebung mit minimaler Einarbeitungszeit bietet.
Ein erster Coup ist Microsoft schon gelungen, indem man die renommierte Softwareschmiede Oddworld Inhabitants dazu überreden konnte (nicht nur mit Argumenten, versteht sich), die durch die Schwierigkeit der Programmierung weit verzögerte Arbeit an der PS2-Version von MUNCH'S ODDYSEE einzustellen und das Spiel nun als X-Box Exklusiv-Titel zu entwickeln. Es war so ziemlich das einzige Spiel im frühen PS2-Aufgebot, das wirkliche Originalität und Innovation versprach. Umgekehrt werden heissersehnte Playstation-Toptitel wie METAL GEAR SOLID 2 auch für die X-Box erscheinen - Zuckerschlecken wird das für Sony keins.
Mit der Finanzkraft, Bekanntheit und Aggressivität von Microsoft kann Nintendo nicht aufwarten, und ihr Gamecube ist technisch wohl etwas unter der X-Box angesiedelt (genau ist das schwer zu sagen, da die jeweils veröffentlichten Daten kaum einen direkten Vergleich erlauben). Dafür hat Nintendo mit dem von Design-Fehlentscheidungen geplagten Nintendo 64 bereits üppiges Lehrgeld bezahlt - das Sony womöglich grade erst hinblättern muss - und scheint voller Eifer, die richtigen Konsequenzen aus den erteilten Lektionen zu ziehen. Auch der Gamecube soll nach ersten Programmierer-Äußerungen wie die X-Box ein Traum für Entwickler sein, ihnen denkbar viel Arbeit und Mühe ersparen, und der Verkaufspreis wird angeblich deutlich unter dem der PS2 liegen.
Vor allem aber hat Nintendo drei Trümpfe im Ärmel: Exklusiv-Verträge mit einigen der besten und innovativsten Entwicklern der Videospielgeschichte - vor allem Rare und, im eigenen Haus, Großmeister Shigeru Miyamoto. Dann sind sie Hersteller des mit Abstand weitverbreitetsten Videospielgeräts der Welt - des Gameboy. Dessen runderneuerte, superleistungsfähige Advance-Version kurz vor dem Gamecube erscheinen soll und selbstverständlich auch auf innigste Zusammenarbeit mit der Konsole ausgelegt ist. Und schließlich: Pokémon. Ein kaum erklärbares Phänomen, für dessen Exklusiv-Lizenz die Manager bei Sony, Sega, Microsoft unter Garantie ihre Seelen und ihre gesamten Familien mit dazu verkaufen würden. Wenn etwas sicher ist, dann dass Nintendo die Sammel-Monster (genauso wie die bewährten Maskottchen Mario und Zelda) zum Dienst als System-Seller für den Gamecube abkommandieren wird.
Der Kampf um Marktanteile, market shares, ist erstmal ein Kampf um mind shares, um Raum in den Konsumentenköpfen. Und da hat Sony bisher den größten Vorsprung. Es ist gut möglich, dass Markennamen und Werbung genügen, um die neue Playstation doch noch zum Sieger der nächsten Konsolen-Generation zu küren. Wagt man den Abstieg in die geistigen Untiefen entsprechender Internet-Diskussionsforen, wird einem schnell klar, wie ungeheuer stark der Drang in diesen Randzonen des Analphabetismus oft ist, das gesamte Selbstwertgefühl über Markenloyalität zu definieren; die Entscheidung für das "richtige" Produkt zur Kernfrage der Existenz zu machen. Und momentan ist da die "Give me Playstation or Death"-Fraktion in deutlicher Mehrzahl.
Außerdem besteht - bei aller martialischen Rhetorik - ja immer noch die Möglichkeit einer Ko-Existenz mehrerer Systeme. Dafür spräche, dass immer weniger Entwickler bereit sind, Exklusiv-Titel zu produzieren, sondern viele inzwischen lieber die immer horrender werdenden Produktions-Budgets durch Portierungen etwas sicherer aufgefangen wissen wollen - das könnte freilich zum Nachteil für die PS2 werden, deren eigenwillige Architektur einfache, schnelle Umsetzungen kaum erlaubt).
Schön wäre es, siegesgewiss die VerbraucherInnen zum Gewinner des bevorstehenden Konsolen-Konkurrenzkampfs auszurufen: Weil die Entwickler ohne klare Monopolstellung eines Systems mehr Ansporn erhalten, durch Qualität zu überzeugen. Wahrscheinlicher aber steht zu befürchten, dass die Start-Titel der Playstation 2 in einer Hinsicht symptomatisch sein werden für die gesamte kommende Spielegeneration: Selbst ohne die verwinkelte Architektur einer PS2 wird die Entwicklung von Entertainment-Software auf dem erforderlichen (technischen) Level endgültig zur Millionen-Angelegenheit mit Budgets von Hollywood-Ausmaßen. Das Mitspracherecht der Finanzabteilungen wird gegenüber dem der Kreativen noch einmal deutlich an Gewicht zulegen. Und es wird, wie üblich, meist dazu genutzt werden, konservativem Denken das Wort zu reden.
Mit ziemlicher Sicherheit (und um so mehr, je weniger Sega mit seinen innovativen Titeln Erfolg verbuchen kann) wird noch stärker auf klare Einhaltung vertrauter Genre-Grenzen hingearbeitet werden. Es wird mehr Spiele auf der Basis von Film-, Comic- und ähnlichen Lizenzen geben. Sportspiele werden wohl noch dominanter - in denen zählt Werbung und Product-Placement als Realismus, und man kann sie Jahr um Jahr mit kleiner technischer Politur und ausgetauschten Unzulänglichkeiten aufs Neue verhökern. Lara Croft wird ihre pubertätsfantasierten Cyber-Titten noch durch manche Ruine schleppen. Square wird "Final Fantasys" produzieren, bis ihnen die römischen Zahlen ausgehen.
Es könnte also durchaus sein, dass sich die Ankunft der Playstation 2 in mehr als einer Hinsicht als keineswegs revolutionär erweist.