Globale Erwärmung: Warum uns das Sterben der Korallen beunruhigen sollte
Bislang haben uns die Ozeane entlastet und unvorstellbare Menge von Energie aufgenommen. Jetzt zeigen sich dort die Folgen. Und weitere Konsequenzen sind zu erwarten.
Es brennt derzeit an Land, davon ist täglich zu lesen und zu hören. Was weniger bekannt ist: Auch die Weltmeere nehmen immer mehr Hitze auf. Mit dem "Climate Reanalyzer" betreibt die Universität Maine ein einfaches Tool, das weltweite Wetterdaten für jedermann leicht zugänglich machen soll. So nutzen die Wissenschaftler auch Stationsdaten, um die Durchschnittstemperatur der weltweiten Ozeane abzubilden – seit 1980.
Frappierend ist nicht so sehr, dass diese Temperatur immer weiter angestiegen ist, schließlich haben die Ozeane laut Weltklimarat IPCC 93 Prozent jener Wärmeenergie absorbiert, die durch den menschengemachten Treibhauseffekt bislang zusätzlich auf der Erde verblieben sind.
Frappierend ist vielmehr, was der "Reanalyzer" seit Mitte März abbildet: Es gab nicht nur einen neuen Rekord mit 21,1 Grad, sondern einen wahren Temperatursprung. Verglichen mit der letzten Dekade sind die Ozeane seit April 2022 gleich um mehrere Zehntel Grad wärmer geworden.
71 Prozent der Erde sind mit Wasser bedeckt, Wärme aus der Luft gelangt viel einfacher in die Ozeane als beispielsweise in Sand oder Ton. Bis 2019, ermittelte ein chinesisches Forscherteam um den Atmosphärenphysiker Lijing Cheng, haben die Ozeane die unvorstellbare Menge von 228 Zettajoule aufgenommen: Die Vorsilbe "Zetta" steht für eine 1 mit 21 Nullen.
Um diese Energiemenge anschaulich zu machen, rechnete das Team diese in die Energie der Hiroshima-Bombe um. Demnach gelangte in den letzten 25 Jahren die Energie von 3,6 Milliarden Hiroshima-Atombomben in die Ozeane. Das entspricht etwa vier Hiroshima-Bomben pro Sekunde. Ein Viertel Jahrhundert lang.
Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, liegt auf der Hand: Nach Erkenntnis des Weltklimarat IPCC gehen bei einem Anstieg der globalen Temperatur um 1,5 Grad Celsius zwischen 70 und 90 Prozent aller Korallenriffe verloren. Erreicht die menschengemachte Klima-Erhitzung durchschnittlich zwei Grad, sind sogar 99 Prozent dieser mit Algen symbiotisch lebenden Nesseltiere weg. Aktuell ist die Menschheit auf Drei-Grad-Plus-Kurs.
Nun kommt aber eine Studie zu dem Ergebnis: Bereits bei 1,5 Grad ist Schluss mit den Korallen. Ein Team um Adele Dixon von der University of Leeds nutzte für ihre Arbeit die neuesten Klimamodelle des IPCC. Diese kombinierten die Wissenschaftler mit hochauflösenden Satellitenmessungen, bei denen weltweit mit einer Genauigkeit von einem Kilometer die Oberflächentemperatur der Meere bestimmt wird.
Hauptaugenmerk legten die Wissenschaftler dabei auf sogenannte "thermische Refugien": Meeresgebiete, die trotz global steigender Temperaturen immer noch gute Bedingungen für Korallen bieten, beispielsweise weil Meeresströmungen kälteres Wasser aus der Tiefe heranschaffen.
Die Häufigkeit von Tagen mit unnormal hoher Wassertemperatur hat in den letzten hundert Jahren global um 34 Prozent zugenommen. Hitze ist aber Gift für Korallen. Sind die Wassertemperaturen lange zu hoch, stoßen die koloniebildenden Nesseltiere jene Algen ab, von denen sie sich ernähren.
Als "Korallenbleiche" wird dieser Schutzmechanismus bezeichnet, weil es die Algen sind, die den Korallen ihre Farbenpracht verleihen. Allerdings bedeutet anhaltende "Bleiche" nichts anderes als Tod: Ohne die Symbiose mit den fotosynthetisch aktiven Algen sterben die Steinkorallen-Stöcke ab.
Noch können sich die meisten Korallen erholen. Es sei denn ...
Im Durchschnitt dauert es nach einer maritimen Hitzewelle mindestens zehn Jahre, bis sich die Korallengemeinschaft wieder erholt. In den "thermische Refugien" geht das, aktuell liegen 84 Prozent aller Korallenriffe in solch thermischen Refugien. Steigt global die Temperatur jedoch um durchschnittlich 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, liegen nur noch 0,2 Prozent der Korallenriffe in solchen Refugien. Die Überlebenschance sinkt also gegen null.
Mit ihrem komplexen Artenreichtum sind Korallenriffe unersetzlich für die Ozeane – und Ausgangspunkt für viele maritime Nahrungsketten. Etwa 150 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte holt der Mensch jährlich aus den Ozeanen, Korallenriffe dienen als riesige Kinderstube für kommerziell sehr wichtige Fische wie Zackenbarsch oder Schnapper, und auch für wirbellose Tiere wie Hummer. Studien zufolge beläuft sich der Wert der Korallenriff-Fischerei weltweit auf 6,8 Milliarden Dollar pro Jahr.
Zudem sind die Riffe effektive Wellenbrecher, die bis zu 97 Prozent der Wellenenergie absorbieren – und so Erosionen und Fluten an den Küste stark abfedern. Oft werden mit den Korallen die Tropen verknüpft, Korallen siedeln allerdings auch in kälteren Meeresregionen, beispielsweise in der Irischen See zwischen England und Dublin.
Zumindest noch! Nach Erhebung der Wissenschaft sind ein Drittel aller Riffe bereits tot. "Weitere 40 Prozent sind stark gefährdet, und nur das ungefähr letzte verbleibende Drittel ist noch in einem vergleichsweise guten Zustand", erklärt Christian Wild von der Universität Bremen – und spricht von einer "ganz schlimmen Situation". Geht das Korallensterben in diesem Tempo weiter, dauert es keine 25 Jahre mehr, bis 90 Prozent aller Korallen tot sind.
Aber es geht ja nicht einfach so weiter, sondern beschleunigt sich: Im Jahr 2022 wurde ein neuer Rekord des Wärmegehalts der Weltmeere in null bis 2.000 Meter Tiefe aufgezeichnet. Demnach hat das Ozeanwasser in den zwölf Monaten etwa zehn weitere Zetta-Joule an Energie aufgenommen. Das entspricht ungefähr der 100-fachen Energie der weltweiten Stromerzeugung im Jahr 2021. Überraschend ist die Messkurve des "Climate Reanalyzer" deshalb also nicht.
Und weil steigende Temperaturen in den Weltmeeren dafür sorgen, dass der Sauerstoffgehalt des Wassers sinkt, leiden nicht nur die Korallen: das ganze maritime Ökosystem steht vor dem Kollaps. Zudem nimmt die Fähigkeit des Phytoplanktons – einzellige Pflanzen, die in den Oberflächengewässern der Ozeane leben – ab, Kohlendioxid zu binden. Das heizt wiederum den Klimawandel weiter an. Ein Teufelskreis.
Außerordentlich dramatisch ist derzeit die Situation im Golf von Mexiko: Dort stieg die Wassertemperatur an der Oberfläche auf deutlich über 30 Grad Celsius. "Die aktuelle Extremsituation wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Massenbleiche mit anschließender Mortalität führen", urteilt Christian Wild. "Ich rechne damit, dass diese Bleiche noch extremer ausfallen wird als die karibische Bleiche von 2005." Damals starb die Hälfte aller Korallen im tropischen Atlantik.
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