Globale Ozonbildung
Auf dem flachen Land wachsen die Bäume langsamer als im New Yorker Stadtzentrum. Liegt es daran, dass Ozon der mächtige Wanderer zwischen den Kontinenten ist?
Drei neue wissenschaftliche Untersuchungen machen das Ozon-Puzzle wieder einmal spannend. Ozon ist gut für die Stratosphäre. Deshalb beäugen wir sorgfältig das Ozonloch und sinnen darüber nach, wie wir dessen Größe verringern können. Ozon in der Troposphäre hingegen ist schlecht, weil langfristig erhöhte Konzentrationen (über 400 mcg/qm, meldepflichtiger Grenzwert bei 180 mcg/qm) für den Menschen schädlich sind: vornehmlich an den Atemwegen und der Haut. Obwohl jeder weiß, dass Auspuffgase in den Ballungsräumen mehr als die Hälfte des unerwünschten Ozons erzeugen, reihen wir uns geduldig in die kilometerlangen Staus auf den sommerlichen Autobahnen ein. "Warum nicht", wird mancher sagen und auf die Sträucher und Bäume links und rechts und auf dem begrünten Mittelstreifen zeigen, "was so gut wächst, kann wohl kaum ungesundem Klima ausgesetzt sein?"
Jillian Gregg von der US Environmental Protection Agency in Corvallis (Oregon) und Mitarbeiter wurden von ähnlichen Überlegungen getrieben und starteten vor drei Jahren einen Versuch mit Kanadischen Schwarz-Pappeln (Populus deltoides), die sie im Zentrum von New York und gleichzeitig im Umland (Long Island und Hudson valley) anpflanzten und danach sorgsam achteten, dass es nicht an Wasser und Nährstoffen fehlte. Ihr Bericht in Nature stellt klar: im Stadtzentrum wachsen die Bäumchen doppelt so gut wie auf dem Lande. Der Unterschied beruht nach Prüfung und Erwägung mannigfacher Ursachen vornehmlich auf dem kumulativen Ozongehalt. Das bedeutet: nicht die Spitzenwerte, sondern die Dauer der Belastung macht den ungünstigen Effekt. Zwischen Hochhäusern und Wolkenkratzern kommt wenig UV-Licht durch. Anders in den lichtdurchfluteten grünen Oasen am Rande der Ballungsgebiete. Hier ist der Stimulus für den chemischen Prozess, der aus den Vorläufersubstanzen Ozon entstehen lässt, ungleich größer.
Stephen P. Long, von den Plant and Biological Sciences an der University of Illinois wird entgegnen, das Ergebnis aus New York sei nur die halbe Wahrheit. Das von ihm geleitete "Illinois Experiment" basiert auf dem "Free-Air Concentration Enrichment" (FACE) und misst Kohlendioxyd und Ozon simultan Pflanze für Pflanze. SoyFACE steht für Untersuchungen an Soja und lässt erkennen, dass die Pflanzen sprießen, sobald die Konzentration von Kohlendioxyd in der Luft zunimmt. Hinzu kommt ein unerwarteter Effekt: je mehr Kohlendioxyd, um so geringer ist die Wasser-Verdunstung. Ozon hingegen ist Sojas Wohlergehen abträglich, dennoch besteht zwischen Effekt und Ozonkonzentration nicht Linearität. Auch diese Ergebnisse beruhen auf einer dreijährigen Studie, in der ein 80 Acre großes Feld (1 acre entspricht 4,047 qm) in 16 Parzellen geteilt ist, in denen die Pflanzen mit unterschiedlichen Konzentrationen von Kohlendioxyd und/oder Ozon beaufschlagt werden.
Stephen P. Long sieht ein schwer entwirrbares Knäuel von wechselseitigen Einflüssen, die sich nicht so einfach wie in New York auflösen lassen. "Wenn wir abschätzen können, welche Ursachen bestimmte Auswirkungen haben, werden wir damit beginnen, unsere Landwirtschaft darauf abzustellen", sieht Kraig Wagenecht, Direktor der Illinois Council for Food and Agricultural Research, in die Zukunft.
David P. Edwards vom National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, findet die auf die Scholle fokussierende Sicht wenig hilfreich. "Ozon hat etwas Gutes und etwas Schlechtes", sagt er und bestätigt die Ansicht von Eva Pell von der Pennsylvania State University in Philadelphia, die in Nature mit den Worten zitiert wird:
"Überall wo Autos fahren, entsteht Ozon. In einigen Arealen mehr, in anderen weniger - je nach den Umgebungsbedingungen." Und David P. Edwards fährt fort:
Was wir nicht wirklich abschätzen können, ist die globale Ozonbildung. Bisher konzentrierten wir uns auf Waldbrände und Brandrodung. Nach unseren jetzigen Erkenntnissen hat Ozon aus natürlichen Quellen einen weitaus größeren Anteil als bisher angenommen, nämlich durch die von Gewittern gezündete Ozonbildung über den Meeren.
David P. Edwards nimmt damit Bezug auf seine mit Kollegen aus den USA, Kanada, Deutschland und Frankreich im Journal of Geophysical Research veröffentlichte Untersuchung, die aus der Zusammenschau von fünf Satelliten (MOPITT, GOME, Terra, TRMM und TOMS) erwächst.
Der Ozon der Troposphäre ist keine momentane stationäre Ansammlung; vielmehr wandert Ozon über Landesgrenzen und Kontinente hinweg. Das Ozonmolekül verrät nicht, ob es vom Stau auf der Autobahn München-Salzburg, einem Flugzeugmotor, aus der Stratosphäre oder aus natürlichen Quellen stammt. Ein Fingerzeig, so die Wissenschaftler, ist die begleitende Konzentration der Substanzen, die zur Ozonbildung notwendig sind. Kohlenmonoxyd, dank Terra/MOPITT bestimmbar, ist ein Marker für Waldbrände und die Verbrennung von Biomasse. NO2 und NOx werden mit anderen Satelliten ermittelt und können aufgrund der jeweiligen Messbesonderheiten, Begleitumstände und visuellen Beobachtungen nach der Herkunft abgeschätzt werden. Alle Daten werden modellbezogen recherchiert und simuliert (MOZART-2: Model for OZone And Related chemical Tracers). Mehr als ein Jahr dauerte die Auswertung der Momentaufnahme vom Januar 2001.
Die Forscher beobachten zwei Ereignisse, die sich aus der Ozon-Suppe herausheben. In Nordwestafrika, südlich der Sahara, wirkt sich die traditionelle bäuerliche Technik der verbrannten Erde verheerend aus. Die Forscher finden hohe Ozonkonzentrationen in niedriger Höhe und sehen, wie sich Ozon und Vorläufersubstanzen über den Atlantik bis nach Südamerika ausbreiten. Das zweite Phänomen setzt die Wissenschaftler in Erstaunen. In der südlichen Hemisphäre zwischen der Landmasse von Südafrika und Südamerika entsteht Ozon durch Gewitter, auch hier in beachtlichen Konzentrationen.
Nach diesen Ergebnissen ist das Montreal Protocol on Substances That Deplete the Ozone Layer noch weit von einer Lösung entfernt. In der globalen Bewertung sind die menschlichen und natürlichen Quellen bisher offenbar unzureichend quantifiziert. Im irdischen Mikrokosmos geht es um Luftfeuchte, Temperatur, Kohlendioxydgehalt und andere Einflüsse, soll die schädliche Wirkung von Ozon festgemacht werden. Fehlender Smogalarm ist keine Beruhigung. Andererseits bleibt die Frage nach dem gutem Wachstum der Pflanzen am Rande der Autobahn weiterhin ungeklärt.