Globalisierung als Ausdruck veränderter Produktivkräfte
Für eine soziale und demokratische Regulierung
Gestatten Sie mir, daß ich einen historischen Bezug zur gegenwärtigen Globalisierungsdebatte herstelle. Das hängt nicht nur mit objektiven gesellschaftlichen Entwicklungen und mit Konsequenzen der internationalen Wirtschaft zusammen, sondern auch mit dem Ende des Kalten Krieges. Solange Globalisierung in der Bipolarität des Kampfes von Gut und Böse - je nach Position - auf der Seite des Westens oder Ostens stattgefunden hat, solange namentlich die Linke die Globalisierung unter dem Banner der internationalen Solidarität abhandeln konnte, hatte sie damit kein Problem. Nun gab es das Jahr 1989/90. Da hat jemand gewonnen und andere haben verloren - und plötzlich positioniert sich die Linke auf dem Boden des Nationalstaates. Man fand überhaupt nichts dabei, die Internationale hochleben zu lassen. Das hieß immer auch nicht nur politische Veränderung, politischer Umsturz, sondern ökonomische und soziale Veränderungen, die Industrialisierung etwa von Drittweltgesellschaften, wie sie etwa die kommunistischen Parteien in China, in Vietnam und in Cuba betrieben haben. Das bedeutete einen Akt der Globalisierung, wenn man industrialistische Patterns zugrundelegt, unter marxistischen Vorzeichen, d.h. eine Angleichung rückständiger Agrargesellschaften an die industrielle Moderne, wie sie von Europa ausgegangen ist, später von den USA und noch später vom Mutterland des Sozialismus, der Sowjetunion.
Mit dem Wegfall der Bipolarität und der internationalistischen Illusion stellt sich jetzt die Globalisierung im wesentlichen als ein kapitalistisches Projekt, als ein Projekt des Großkapitals dar, und damit hat die traditionelle Linke große Probleme.
Globalisierung - Anpassung der Produktionsverhältnisse an die neuen Produktivkräfte
Aber da Ulrich Beck bereits Karl Marx und Friedrichs Engels hier eingeführt hat, möchte ich das fortsetzen, denn bei der Globalisierungsdiskussion kommt man an den beiden nicht vorbei, inbesondere nicht, wenn man ihn unter dem Aspekt der politischen Einflußnahme betrachtet, also ob man diesen Prozeß stoppen, ihn beeinflussen, ihn verändern, sich ihm verweigern kann. Wenn man diesen Prozeß unter dem Gesichtspunkt der Gestaltung sieht, dann ist, marxistisch gesprochen, die entscheidende Frage, ob es sich bei diesem Prozeß der Globalisierung, den wir gegenwärtig beobachten, um einen Ausdruck der Anpassung der Produktionsverhältnisse an die Notwendigkeiten der Fortentwicklung der Produktivkräfte handelt. Wenn das so ist, dann ist jeder Linker, der dagegen kämpft, nach Karl Marx ein Illusionist. Wenn es sich allein um ein Attentat des internationalen Kapitals, um eine besondere und gelungene Propagandaschlacht handelt, dann ist jede Verweigerungshaltung meines Erachtens gerechtfertigt. handelt es sich aber um Ergebnis des Akkumulationsprozesses des Kapitals - ich bleibe in der marxistischen Terminologie -, also haben sich die Produktivkräfte dermaßen internationalisiert, globalisiert, daß den Produktionsverhältnissen und damit den gesellschaftlichen, die soziologischen und politischen Verhältnissen die nationale Hülle zu eng geworden ist, dann wird jeder gestaltende Eingriff auf der Grundlage dieser Globalisierung selbst stattfinden müssen und sich nicht in eine Verweigerungshaltung umsetzen dürfen.
Ich neige dem zweiten zu. Der Globalisierungsprozeß wird derzeit von jedem Unternehmerverband schamlos ausgenutzt. Aber beim Kapital handelt es sich nun mal nicht um eine karitative Veranstaltung, die Gelegenheiten, die zu nutzen sind, nicht nutzt. Selbstverständlich wird dies ausgenutzt, aber das keine zureichende Begründung. Globalisierung ist für mich der Ausdruck, um es mit Marx zu sagen, eines Entwicklungsprozesses der Produktivkräfte, die die Produktionsverhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts auf den Kopf stellen. Das führt zu einer globalen oder postindustriellen Gesellschaft mit dramatischen Veränderungen für die Realität, die wir im Westen kennen. Meines Erachtens ist das nicht nur die Frage von einem Prozeß, sondern ich sehe drei Prozesse, die hier zusammenspielen und die normalerweise unter dem Begriff der Globalisierung abgehanelt werden, zumindestens was ihre Folgen betrifft.
Der erste Prozeß ist die Individualisierung der westlichen Gesellschaften, der zweite ist die Tertiärisierung unserer Nationalökonomie, also der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft, und der dritte ist die jetzt technisch in einem Maße möglich gewordene Internationalisierung der Märkte, wie sie zuvor nie der Fall war, d.h. der Eintritt vor allem der Finanzmärkte, aber auch der der Arbeitsmärkte und realen Gütermärkte in die Internationalisierung, bedingt vor allem durch die Komunikationstechnologien und die Möglichkeiten, die sie an realer Internationalisierung eröffnen.
Gestaltung des Globalisierungsprozesses
Wie sollte der Prozeß der Globalisierung von einer demokratischen Linken gestaltet werden? Alle neu geschaffenen Arbeitsplätze zeichnen sich dadurch aus, was ihre Zukunftsfähigkeit anbetrifft, daß sie soziale Absicherung der Beschäftigten wesentlich unsicherer und ungewisser ist. Daraus erwächst eine dramatische Belastungssituation der sozialen Sicherungssysteme und dessen, was sich in Westeuropa, aber auch in Nordamerika an Sozialstaat entwickelt hat. Die Frage stellt sich also, ob die Linke die traditionelle Arbeitsgesellschaft in diesem Prozeß der Globalisierung aufrechterhalten. Im Interesse der Beschäftigen müßte man eigentlich ja sagen, wenn man dies rein in Bezug die innergesellschaftliche Entwicklung der westlichen Demokratien sieht. Umgekehrt ist die Linke aber immer mit dem Argument der internationalen Solidarität angetreten. Die Linke ist immer auch mit dem Argument angetreten, daß wir hier auf Kosten anderer Länder leben. Wenn jetzt also ein realer Globalisierungsprozeß stattfindet, d.h. wenn seit dem Kalten Krieg zwei Milliarden oder mehr Menschen in diesen Weltmarkt eingetreten sind, dann geschieht dies zwar unter furchtbaren Bedingungen, aber zuvor waren sie nicht in ihm präsent und hatten überhaupt keine Chance. Was es für einen Kontinent wie Afrika gegenwärtig heißt, in diesem Prozeß der Globalisierung nicht eingeschlossen zu sein, kann man unschwer den Tageszeitungen entnehmen.
Der Ausschluß weiter Teile der Welt in einer Zeit, in der in den westlichen Ländern scheinbar die Gesellschaften in Ordnung waren und alles funktionierte, in der die Arbeitsplätze nicht prekär und die Arbeitsbiographien mehr oder weniger konstant waren, in der der Sozialstaat intakt war und die Beitragssätze flossen, steht heute in Widerspruch zur Öffnung dieser Märkte, zu einem Transfer der sozialen Sicherheit und zu einem Transfer von Arbeitsplätzen und damit auch Lebenschancen in andere Bereiche dieser Welt. Ich weiß, daß dies zu ökologischen Bedingungen stattfindet, die katastrophal sind, aber die Alternative ist dort zunächst nicht, ob sie unser Sozialsystem bekommen, sondern ob sie weiterhin außen vorgehalten werden. Die Linke müßte sich also die Frage stellen, wenn dieser Prozeß läuft, der unter dem Gesichtspunkt der Öffnung ein sehr wichtiger und richtiger ist, wie man dann in einem nächsten Schritt die sozialen und demokratischen Notwendigkeiten in diesen Prozeß implantieren. Das ist die entscheidende Frage, auf die man Antworten finden muß. Das wird nicht ohne Kampf gehen. Errungenschaften in diesem Bereich wurden nie ohne Kampf erreicht. Vieles an der gegenwärtigen Globalisierungsdiskussion und an ihrem Pessimismus erinnert mich daran, daß man sich nicht zutraut, diese Internationale, die sich notwendigerweise aus der Globalisierung ergeben müßte, zu realisieren, um nicht die neue Ausbeutung in den Schwellenländern zum Maßstab zu machen und gleichzeitig hier die soziale Deregulierung. Deswegen gerät man in eine vergebliche Abwehrhaltung.
Ich bin der Meinung, um es im Klartext zu sagen, daß der Kampf um die soziale und demokratische Regulierung stattfinden muß. Die soziale und demokratische Regulierung dieses Prozesses enthält natürlich die Frage nach den Instrumenten. Von welcher Ebene aus kann dieser Kampf von den reichen westlichen Ländern geführt werden? Daß wir allen in unseren Nationalstaaten sitzenbleiben und darauf setzen, eine Assoziation hinzubekommen, mehr oder weniger einen gemeinsamen Markt? Oder daß wir darauf setzen, eine politisch handlungsfähige Ebene zu verwirklichen? Und da finde ich vieles von den, was gegenwärtig im Zusammenhang mit Europa, mit dem Euro, in Frankreich und Großbritannien von der demokratischen Linken diskutiert wird, angesichts dieser Regulierungserfordernisse des Prozesses der Globalisierung unter sozialen und demokratischen Gesichtspunkten kurzsichtig, weil ich der festen Überzeugung bin, wenn wir nicht eine neue, eine europäische Handlungsebene bekommen, dann werden wir keine Chance haben, wirklich regulierend in diesen Prozeß einzugreifen. Dann werden wir in unseren Nationalökonomien und Nationalgesellschaften zum Objekt dieses Prozesses, aber kaum zu einem gestaltenden Subjekt werden können.
Vieles von dem, was angeführt wird, ist ja richtig, aber hat mit dem Prozeß der europäischen Integration wenig zu tun. Den Sieg des Neoliberalismus mußte Francois Mitterand schon 1982 anerkennen. 1980 bis 1982 herrschte die sozialistische Illusion in Frankreich. 1982 kam das Ende und eine Politik, die sich rechts von Helmut Schmidt ansiedelte. Das hatte nichts mit Globalisierung zu tun, sondern schlicht und einfach mit der Realität und der mangelnden Vorbereitung auf diese Realität, mit der Konsequenz, daß man umkippte. Der Sieg des Neoliberalismus hängt auch nicht mit der Frage nach Europa zusammen, sondern unmittelbar mit der historischen Entwicklung, die ich vorhin beschrieben habe. Die Dominanz der Ökonomie ist auch kein europäisches Problem in dem Sinne, daß Europa diese Dominanz hervorbringen würde. Dieser Prozeß hat sehr viel früher begonnen und muß auch davon unabhängig analysiert werden. Auch die Geisel der Massenarbeitslosigkeit in Europa ist nicht der Ausdruck des europäischen Einigungsprozesses und nicht einmal die Konsequenz von Maastricht. Die Massenarbeitslosigkeit hat sich bereits zuvor in dramatischer Weise in diese Richtung entwickelt. Das hängt mit der mangelnden Erneuerungsfähigkeit, mit dem Sieg des Neoliberalismus, mit einer falschen Deregulierungspolitik zusammen, die aber alle nicht das Ergebnis von Maastricht sind, obwohl sie daran festgemacht werden. Und ich verstehe eine Linke nicht, die meint, wenn wir den europäischen Nationalstaat verteidigen, daß wir dann eine Handlungsebene zur Regulierung dieses historischen Prozesses hätten, den wir als Globalisierung bezeichnen.
Aufgaben einer postsozialistischen Linken
Für mich ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Erstens der Globalisierungsprozeß ist ein objektiver historischer Prozeß. Das Zeitalter der Globalisierung wird nicht aufzuhalten sein, weil sie Ausdruck globaler Veränderungen in allen Wirtschaftssystemen und Ausdruck der Produktivkräfte ist. Aber er bedarf dringend der sozialen und demokratischen Regulierung. Insofern hat die Linke hier eine originäre historische Aufgabe. Ich werde kurz sagen, wie ich eine postsozialistische Linke in diesem Zusammenhang definiere: Sie muß allgemeinwohlorientiert und dem wirtschaftlichen Egoismus sowie der Verabsolutierung des wirtschaftlichen Egoismus entgegentreten, aber sie darf nicht den Fehler machen, den Spannungsbogen aufbrechen zu wollen. Das ist der Fehler des Neoliberalismus.
Eine postsozialistische Linke muß die Interessen der Gesellschaft, der noch nicht geborenen Generation, der Umwelt, von Minderheiten formulieren. Diese Allgemeinwohlorientierung muß sie im innergesellschaftlichen politischen Spannungsfeld gegenüber dem wirtschaftlichen Egoismus setzen. Sie darf dem Egoismus nicht hinterherlaufen, aber sie wird das nicht mehr mit der Totalität wie die altsozialistische Linke machen können, nämlich zu versprechen, daß wir dann, wenn wir die politische Macht haben, dieses Spannungsverhältnis aufbrechen und es den wirtschaftlichen Egoismus nicht mehr gibt, weil wir das Reich der Freiheit und des Überflusses schaffen. Das wird sich meines Erachtens auch unter den Gesichtspunkten der ökologischen Erkenntnisse, die uns in den 70er und 80er zugewachsen sind, aber auch angesichts der Probleme, die wir global haben, ewig als ein schöner Traum erweisen, aber nicht politisch machbar sein.
Eine solche postsozialistische Linke muß eine soziale und demokratische Regulierung des Globalisierungsprozesses versuchen und sie von vielen verschiedenen Ebenen angehen. Aber für uns heißt das zweitens, daß sich die Linke jetzt nicht vom europäischen Projekt verabschieden und euroskritisch werden sollte, sondern sie müßte die politische Integration als Ergebnis dieser nicht zureichenden monetaristischen Integration formulieren und nicht in die Verteidigung des Nationalstaates zurückfallen. Das ist für mich die elementare Konsequenz dessen, was man als Globalisierung versteht und was man als linke Gegenstrategie oder als Einflußnahme auf diesen Prozeß der Globalisierung begreifen kann.