"Golda": Wie das neue Historien-Drama den Krieg gegen Israel aktuell macht
Biopic über Golda Meir und den Jom-Kippur-Krieg vor 50 Jahren zeigt beunruhigende Parallelen zur Gegenwart, mit Schilderungen arabischer Angriffe auf Israel.
"Better to be safe than sorry." Golda Meir, in diesem Film.
Im Zentrum steht ein Angriff. Er macht diesen Film beklemmend aktuell: Im Oktober 1973 begann – ein gutes Jahr nach dem Terrormassaker von der Münchener Olympiade 1972 und fast auf den Tag genau 50 Jahre vor dem 7. Oktober 2023 – ebenfalls eine Attacke aus heiterem Himmel. Ein massiver arabischer Doppelschlag, als Ägypten und Syrien einen Angriffskrieg eröffneten, und koordiniert in Israels Süden wie Norden einmarschierten.
Dieser "Jom-Kippur-Krieg" dauerte knapp drei Wochen und endete mit einem israelischen Sieg. Aber dieser Sieg war teuer erkauft: Mit hohen Verlusten an Menschen und Material, aber noch mehr, weil es primär den Ägyptern an den ersten Tagen ihres Blitzkriegs gelang, an Israels Nimbus der Unbesiegbarkeit zu rütteln.
Strategie- und Konfliktmanagement
Regisseur Guy Nattiv erzählt von diesem Krieg im Nahen Osten, der vor den Angriffen des 7. Oktober 2023 der für Israel am wenigsten erwartete und gefährlichste war. Sein Film schildert die auf den Kriegsbeginn folgenden Tage fast minutiös aus Sicht von Golda Meir, die im Film zu sehen ist, wie sie auf mehreren Sitzungen hinter verschlossenen Türen mit den Chefs von Militär und Geheimdienst die richtigen Strategien bespricht, um diesen Überraschungsangriff zu stoppen; die sich zwischendurch beim Besuch des militärischen Hauptquartiers versucht ein Bild von der Lage zu verschaffen. Sie stand dabei nie allein, aber letztlich hing es von ihr ab, den politisch-militärischen Kurs festzulegen und zu verantworten.
Golda – Israels eiserne Lady (11 Bilder)
Die Zuschauer lernen auch ihr engeres Umfeld kennen: ihre Assistentin Lou Kaddar (Camille Cottin), IDF-Stabschef David 'Dado' Elazar (Lior Ashkenazi), dessen Büroleiter (den späteren Bildungsminister und heutigen Yad Vashem-Leiter) Avner Shalev (Daniel Ben Zenou), Mossad-Chef Eli Zeira (Dvir Benedek), Zvi Zamir (Rotem Keinan), der Generaldirektor des Mossad, den legendären Verteidigungsminister Moshe Dayan (Rami Heuberger), Held des Sechs-Tage-Kriegs von 1967, der aber mitverantwortlich dafür war, dass Israel trotz Geheimdienstwarnungen von den Angriffen zunächst überrumpelt werden konnte, und an den ersten Tagen einen Nervenzusammenbruch erlitt, und schließlich den wilden, mutigen General (und zukünftigen Premierminister) Ariel Sharon (Ohad Knoller), dem Meir im Film voraussagt: "They’ll make you prime minister."
Diese verschiedenen Strategie- und Konfliktmanagement-Sitzungen sind faszinierend anzusehen. Hier können wir erkennen, wie ein kleines Land unter enormen Hindernissen, die ihm von seinen Verbündeten beim Führen eines Krieges auferlegt wurden, funktioniert. Diese erhellende und aufschlussreiche Betrachtung ist auch für die Gegenwart gültig.
Die "Löwin" von Tel Aviv
Golda Meir (1898–1978) war zwischen 1969 und 1974 eine der ersten Frauen der Welt, die in demokratischen Wahlen – nicht als Thronerbin – Regierungschefin wurden. Ben Gurion meinte es als Kompliment, als er sie "den einzigen Mann in meinem Kabinett" nannte, andere nannten sie eine "Löwin" und tatsächlich auch, Jahre vor Margaret Thatcher, eine "Eiserne Lady".
Der Film geht los mit einer Zigarette. Die ständige Zigarette in der Hand war eines der Markenzeichen der israelischen Ministerpräsidentin, die aus einer Zeit stammte, als den Menschen noch andere Dinge wichtiger waren als die eigene Gesundheit. In Israel, wo man seit Jahrzehnten täglich mit arabischem Terror und Angriffen der Nachbarländer rechnen muss, sowieso.
Den Rahmen des Films bildet die Untersuchung der "Agranat"-Kommission, von der sich die Ministerpräsidentin und ihre Regierung nach den Ereignissen rechtfertigen musste, bevor man ihr zugestand, alles richtig gemacht zu haben.
Filmisch hat all dies naturgemäß seine Grenzen: viele Gespräche in geschlossenen Räumen, über militärische Details, über Bündnisse, dazu gelegentliche Momente der Ruhe. Aber keine Action, keine Katharsis, kein "Drama" im angloamerikanischen Sinn.
Von der Ukraine über die USA nach Israel
Dies ist ein ruhiger, nachdenklicher und oft düsterer Film. 1982 hatte Alan Gibson in dem Film "A Woman Called Golda" mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle das komplette Leben Meirs nacherzählt. Darin konnte man erfahren, wie die noch im russischen Zarenreich in der Ukraine geborene Meir als Kind Opfer von ukrainischen Pogromen wurde, bevor ihre Familie, als sie acht Jahre alt war, nach Milwaukee auswanderte.
Mit Anfang 20 zog sie mit ihrem Mann in einen Kibbuz im britischen Mandatsgebiet Palästina. Als sie 1969 die vierte Premierministerin Israels wurde, war sie bereits 71 Jahre alt und ähnelte eher einer alten europäischen Großmutter, die selbst gebackenen Kuchen in die Kabinettssitzungen mitbrachte, als einer Machtpolitikerin – doch wie manche Großmütter war sie genau das. Ihr Verstand war machtpolitisch und ihr Bewusstsein von der Jugend in der amerikanischen Hochmoderne geprägt.
Nattiv verweigert sich solchen möglichen psychologischen Komponenten und beschränkt sich auf den Horizont der Handlungen des Jahres 1973. Diese umfassen militärstrategische Dialoge und Entscheidungen, Lagebesprechungen, Öffentlichkeitsarbeit wie Fernsehansprachen, sowie diplomatische Gespräche, hauptsächlich mit US-Außenminister Henry Kissinger.
Vor allem darin geht es um Friedensverhandlungen als Voraussetzung einer Konfliktlösung. Auch dies ist ein hochaktuelles Thema. Die Charaktere entwickeln sich hingegen kaum – was kein Wunder ist, weil es um einen Handlungszeitraum geht, die kaum drei Wochen umfasst.
Autorität in der Männerwelt
Der Regisseur folgt dabei der Formel, die bereits in dem hervorragenden "Invisible Enemy" (2015) verwendet wurde, in dem eine Chefin von einem Kommandoraum aus militärisches Personal anweist, bestimmte Ziele aus der Ferne anzugreifen. Es kann kein reiner Zufall sein, dass Helen Mirren in beiden Filmen die Hauptrolle spielt.
Mirren erreicht es, Meirs schillernde Persönlichkeit mit einer gewissen Glaubwürdigkeit zu versehen, indem sie sie als charaktervolle, immerfort Zigaretten durch die Luft schwingende Frau spielt, die, ohne im klassischen Sinn emanzipiert zu sein, nie ernsthafte Probleme hat, um in einem von Männern dominierten Raum ihre Autorität deutlich zu machen.
Mirren ist mithilfe der im Frühjahr oscarnominierten Maske der echten Golda Meir schon tatsächlich aus dem Gesicht geschnitten. Ihre eigentliche Schauspielkunst liegt hier in Gang und Gesten und Bewegungen und darin unter der zentimeterdicken Maske noch Nuancen erkennbar zu machen.
Neben Mirrens Darstellung tritt außerdem die sehr präzise, authentische Wiedergabe der damaligen Zeit, die durch Archivmaterial ergänzt wird, das der Darstellung des historischen Kontextes einen dokumentarischen Ton verleiht, der kurz vor dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag endet, der eine Folge des Yom-Kippur-Kriegs war, und wiederum später der Auslöser für die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat sein sollte.
Mirrens Porträt von Golda Meir enthält eine gnadenlose Härte, die man sonst nur von Männerfiguren des Kinos kennt, etwa wenn sie (Kino-Klischee-) Sätze formuliert wie: "Teach our enemies a lesson they’ll never forget."
Aber ihre Golda ist sich immer auch jener größeren geopolitischen Kräfte bewusst, die im Nahen Osten immer auch am Werk sind. Denn in gewisser Weise war "Jom Kippur" nur ein Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West.
Im Hintergrund des Films lauert Henry Kissinger, immer bereit ins Bild zu springen, Ausdruck zäher US-amerikanischer Loyalität wie gelegentlicher Härte im Umgang mit dem Verbündeten. Liev Schreiber spielt den US-Außenminister in einem Auftritt, der Kissingers knarzige geopolitische Coolness einfängt, aber auch mit einem Hauch von Peter Sellers.
Kissingers kühl-realistische Pendeldiplomatie
Zu den besten Momenten des Films gehören diese Gespräche mit Kissinger. Als der schließlich nach Israel kommt, um sich mit Meir in ihrem Zuhause zu treffen und ein Waffenstillstandsabkommen zu besiegeln, stehen sich die beiden gegenüber wie alte Freunde, vielleicht Geliebte, die ihre zärtlichen Beziehungen neu definieren.
Meir bittet und beschwört ihn geschickt, dann drängt sie ihn, etwas Loyalität zu zeigen und US-Präsident Nixon zu bewegen, sie zu unterstützen. Kissinger antwortet diplomatisch: "I am first an American, second a secretary of state, third a Jew." Und Meir antwortet: "You know, in this country, we read from right to left." Das ist ein guter Dialog.
Meir sagt über Kissinger, was auch für die heutigen US-Außenpolitiker und ihr Verhältnis zu Israel gilt: "Er will, dass wir gewinnen, aber mit einer blutigen Nase."
Kissingers kühl-realistische Pendeldiplomatie beendete nicht nur den Krieg, sondern führte auch zu der hoffnungsvollsten Zeit im Nahen Osten, als nämlich der Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten einige Zeit lang eine grundsätzliche Befriedung der Situation möglich erscheinen ließ.