Griechenland: Die europäische Hängepartie geht weiter

Seite 3: Schuldenpolitik als Instrument der Machterhaltung

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Fragt man, warum sie das tun, so wird deutlich: Sie reizen immer wieder aufs Neue ihren Spielraum aus, um noch mehr Kredite aufzunehmen und den Staat weiter zu verschulden, weil sie nur noch so ihre politische Macht erhalten können. Die Staatsverschuldung ist für die demokratischen Politiker nun einmal das bewährteste Instrument des Machterhalts.

Der Handlungsspielraum wird für die Politiker mit wachsender Verschuldung zwar immer kleiner, aber noch ist er nicht gänzlich ausgeschöpft. So lange er das noch nicht ist, wird weitergewurstelt wie bisher. Und in dieser Konstellation kann nur noch gewurstelt werden. Die Möglichkeiten großer Entwürfe sind längst verspielt. Was bleibt, ist kleinkariertes Herumdoktern an kosmetischen Details.

Man kann darüber schimpfen, wie vertrags- und wortbrüchig Politiker sind, und darüber, dass man ihren Versprechungen nicht glauben und ihnen ganz allgemein nicht über den Weg trauen darf. Das ist im Fall des Euro auch durchaus gerechtfertigt. Aber der europaweite Bruch aller gerade erst getroffenen Regelungen zeigt auch, wie stark die destruktiven Kräfte wirken, die Politiker in repräsentativen Demokratien veranlassen, die Finanzen ihres Staates immer wieder und gegen jede Vernunft zu ruinieren.

Die wirtschaftlichen Bedenken der Ökonomen gegen die überstürzte Einführung des Euro wischten die Politiker rasch beiseite. Wer sich die öffentlichen Reden von damals genauer anschaut, erkennt, dass Politiker und Ökonomen in der Sache eklatant aneinander vorbeiredeten: Die Ökonomen kritisierten die Währungsunion ohne eine gemeinsame oder wenigstens eine koordinierte Wirtschafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialpolitik. Die Politiker schwärmten mit bombastischer Pathetik von einem großen Schritt in Richtung auf ein gemeinsames Europa in Frieden und Freiheit.

Das Problem war allerdings: Die Einführung des Euro ist ein Akt der Währungspolitik, also der Wirtschaftspolitik. Doch die Politiker jubilierten, dass es in Europa keine Schlagbäume mehr gibt, der 2. Weltkrieg vorbei ist und sich daran eine lange Ära des Friedens angeschlossen hat. Sie tunkten den währungspolitischen Vorgang in einen Bottich mit larmoyant-emotionaler Soße. Und damit schätzten sie völlig falsch ein, was da geschah.

Währungssysteme sind technische Einrichtungen, die helfen sollen, die wirtschaftliche Entwicklung und den gegenseitigen Austausch zu erleichtern. Nicht mehr und nicht weniger. Sie sind kein Instrument der Friedensstiftung, und an ihnen entscheidet sich weder das Schicksal der Menschheit noch das Europas. Der Frieden in Europa hängt objektiv nicht von seiner Währungsordnung ab.

Denn sie wollen gar nicht wissen, was sie tun

Man kann das auch so sehen: Die Politiker schwelgten und schwelgen noch heute in einer ziemlich einfältigen Schwärmerei von einem friedfertig-freiheitlichen Europa ohne Waffen und ohne Schlagbäume, während sie eine Währungsunion begründeten.

Sie wussten offensichtlich nicht, was sie taten. Genauer: Sie wollten es nicht wissen. Sie sahen sich selbst als historische Protagonisten eines in Frieden und Freiheit vereinten Europas, während sie sich anschickten, seine Währung und seine Finanzen zu ruinieren und große Teile seiner Jugend in die Arbeitslosigkeit zu schicken…

Doch die Völker Europas scheinen der Friedensrhetorik nicht auf den Leim gehen zu wollen. Denn seit der Einführung des Euro breitet sich Unfrieden in Europa aus - und zwar wegen des Euro.

Hemmungslos schlagen sich die europäischen Völker wieder alte Zerrbilder um die Ohren, die man lange nicht gehört hat. Die Deutschen sind wieder die Nazis, während Südländer faule Säcke und Betrüger genannt werden. In der Presse der EU-Staaten fehlt kein Klischee, im Internet erst recht nicht und im Fernsehen auch nicht. Manche Sätze, die da in jüngster Zeit gesprochen oder geschrieben wurden, erinnern an die Jahre vor und zwischen den Weltkriegen.

Der raue Ton ist eine Niederlage für den europäischen Friedensprozess. Die europäische Einigung scheitert auf genau dem Feld, das immer ihr Hauptanliegen war: der Aussöhnung von Völkern, die einander in einer sehr langen gemeinsamen Geschichte mit Argwohn und Feindseligkeit begegneten.

In der europäischen Politik hat sich eine unwirkliche Form des orwellschen Newspeak als offizielle Sprachregelung etabliert. Während die politische Klasse gebetsmühlenartig davon schwärmt, Frieden und Freiheit in Europa hänge vom Wohlergehen des Euro ab, herrscht zwischen den Staaten und den Völkern so viel Unfrieden und mitunter gar Hass wie kaum je zuvor.

Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass mehr als zehn Jahre nach Einführung des Euro zwischen den Ländern der Eurozone eine eher unfriedliche, ja feindselige Atmosphäre herrscht. Längst begrabene nationale Vorurteile und Klischees leben wieder auf - und je primitiver sie daherkommen, desto beliebter sind sie.

Diese eskalierenden politischen Auseinandersetzungen, deren Frontverläufe quer durch politische Gruppierungen und internationale Allianzen verlaufen, resultieren gerade aus dem Unvermögen der Politik, die Systemkrise zu überwinden. Und je feindseliger die Stimmung zwischen den Nationen und inzwischen auch den Völkern wird, desto verbockter beharren die politischen Repräsentanten auf der Behauptung, der Euro sei der Garant des Friedens und der Freiheit in Europa.

Wer das hört, fragt sich verwundert, ob die Politiker und die Völker auf ein- und demselben Kontinent leben oder ob die einen gar von einem ganz fernen Planeten entlaufen sind. Auf jeden Fall ist ihre Wahrnehmung nachhaltig gestört. Die wirkliche Wirklichkeit ähnelt in keiner Weise dem, was die Politiker als politische Wahrheit proklamieren.

Auf dem Höhepunkt der Eurokrise ist die allgemeine Stimmung der Bevölkerung in eine tiefe Europaskepsis umgeschlagen, die es vorher nicht gab. In allen EU-Staaten hat die Euroskepsis in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Tatsächlich bewerten viele Menschen den Einigungsprozess grundsätzlich neu. Die Zeiten der andauernden Europaeuphorie sind vorüber.