Griechenland: Lauschangriff auf die Opposition?
Das plötzliche scharfe Vorgehen gegen die rechte "Goldene Morgenröte" könnte zum Bumerang werden, erstmals wurde mit der Verurteilung eines Politikers das Amnestiegesetz ausgehebelt
Griechenlands politisches Leben wird zur Abwechslung statt nur vom üblichen Sparkurs von drei weiteren Themen bestimmt. Als medialer Dauerbrenner entwickelt sich die Affäre um die Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi). Dazu gesellt sich die Verurteilung der früheren Nummer zwei der PASOK, Akis Tsochatzopoulos, und eine seltsame Abhöraffäre. All dies überdeckt die trotz guter Tourismussaison erneut auf 27,6 Prozent gestiegene Arbeitslosigkeit. Für das nächste Jahr könnte es beim Tourismus böse Überraschungen geben, denn zahlreiche Flughäfen sollen dem Rotstift zum Opfer fallen. Als Kollateralschaden kann verbucht werden, dass dann für einige touristische Ziele nur per Schiff und somit mit einer bis zu zwanzig Stunden längeren Anreise und der entsprechend langen Abreise erreicht werden können. Vielleicht fallen einige Sparfüchse dann wieder aus allen Wolken.
Gegenwärtig geben üben sich die Journalisten der wichtigsten griechischen Medien darin, ihren Lesern zu vermitteln, dass sie aus den Wolken gefallen seien. Seit der Festnahme von Parlamentariern der Goldenen Morgenröte (Chrysi Avgi als verbrecherische Organisation eingestuft!) hat jede Tageszeitung eine Schlagzeile über eine weitere Festnahme von Mitgliedern der Partei.
Es wird "aufgedeckt", dass die Partei bei Chaidari, südlich der Athener Innenstadt und direkt neben einem von Schützenvereinen, aber auch der Polizei genutztem offiziellen Schießstand, eine eigene Ausbildungsstätte für den Einsatz von Schusswaffen betrieb. Plötzlich sind alle Augen- und Ohrenzeugen sehr redselig. Recht skurril sollen die Sturmbataillone für den Nahkampf geschult worden sein. An Ziegen wurde der gezielte tödliche Messerstich in den Hals trainiert, behaupten zumindest unter Zeugenschutz stehende Aussteiger.
Zu Recht sieht aber Tony Barber von der Financial Times in der Art und Weise, mit der der griechische Staat sich gegenüber der nationalsozialistischen Gefahr verhält, ein Schlüsselproblem der Finanzkrise. Der radikale Aktionismus könnte sich, wenn die Vorwürfe nicht gerichtsfest bestätigt werden können, zum Bumerang entwickeln. In Umfragen sinkt die Zustimmung zu der rechtsradikalen Partei zwar ab, jedoch liegt sie immer noch über dem Wahlergebnis von 2012 und ist damit immer noch Griechenlands drittstärkste Partei.
Wo vorher seitens der Justiz schlicht die Maxime "Auf dem rechten Auge blind" praktiziert wurde, wird nun das gesamte Arsenal des Strafgesetzbuchs zu Hilfe genommen. Bürgerschutzminister Nikos Dendias wechselt reihenweise Polizeioffiziere aus. Plötzlich bemerkt der Minister, dass die Strafverfolgung gegen rassistische Gewaltexzesse zu langsam vorangeschritten war.
Dendias hat in seinem ersten Antrag den Areopag, das oberste griechische Gericht, ersucht, die Partei als verbrecherische Organisation einzustufen. Das brachte bislang Parteichef Nikos Michaloliakos, seinen mutmaßlichen Vize Christos Pappas und den wuchtigen Parlamentarier Ioannis Lagos in U-Haft. Parteisprecher Ilias Kasidiaris, der mutmaßliche Chefeinkleider der Schlägertruppen, der Abgeordnete Ilias Panagiotaros und der Parlamentarier Ioannis Lagos blieben mit strengen Auflagen auf freiem Fuß. Da half es bisher auch nicht, dass Kataloge mit den Preisen, welche die Partei für Schlägerdienste erhoben haben soll, kursieren.
Bei den drei auf freiem Fuß befindlichen Verdächtigen griff die parlamentarische Immunität, weil sie nicht direkt mit einem Kapitalverbrechen in Verbindung gebracht werden konnten. Man hatte offenbar vergessen, diese Vorwürfe in die Anklageschrift zu packen. Ebenso wurde in einer Abschrift der Anklage der per Kugelschreiber eingetragene Klarname eines unter Zeugenschutz stehenden Aussteigers geschrieben. Die entsprechenden Kopien gelangten auch zu den Anwälten der Verdächtigen und in zahlreiche Pressebüros. Mit sichtlicher Freude kommentiert Parteisprecher Ilias Kasidiaris diesen Lapsus. Er erwähnt den Namen des Zeugen bei vielen Gelegenheiten und bittet seine Parteianhänger darum, dass diese sich merken sollen, wer was ausgesagt habe.
Weil ein Parteiverbot nicht vorgesehen ist, muss Chrysi Avgi als kriminelle Organisation verfolgt werden
Zu einem weiteren Fiasko scheint sich der Versuch der Regierung zu entwickeln, der Goldenen Morgenröte den Boden, sprich die Parteienfinanzierung zu entziehen. Ein direktes Parteienverbot ist in der gültigen Verfassung nicht vorgesehen. Der Umweg über die mafiöse Organisation setzt voraus, dass den Parteimitgliedern und Funktionären wenigstens eine Straftat oder zumindest die Mitwisserschaft nachgewiesen werden muss.
Folglich versuchte man es nun mit der Parteiideologie. Diese sei extrem Verfassungsfeindlich und wegen der militaristischen Parteistruktur ein mittelbarer Versuch zum Hochverrat, hieß es Anfang der Woche. Es gab Streit mit SYRIZA. Aufgeschreckt durch weitere Äußerungen seitens der Berater des Premiers Samaras, studierte die Linke das Gesetzeswerk und entdeckte, dass es auch auf andere Parteien übertragbar wäre. Schließlich vertritt die kommunistische Plattform von SYRIZA auch Thesen, die sich gegen das kapitalistisch, bürgerliche Wirtschaften richten. Zudem waren linke, kommunistische Ideologien seit den Fünfzigern bis 1974 als landesverräterisch eingestuft.
In der nun gültigen Version des Gesetzesvorschlags sind die Bildung einer kriminellen Organisation sowie Terrorismus als Gründe für das Versagen der Parteienfinanzierung aber auch für die Auszahlung von Abgeordnetendiäten vorgesehen. Für Juristen interessant sein könnte die Umkehr der Beweislast. Denn aufgehoben wird der Zahlungsstopp erst mit einem eindeutigen, letztinstanzlichen Freispruch. Bis dahin können im griechischen Justizalltag Jahrzehnte ins Land gehen.
Zum Festsetzen der Abgeordneten wählt die Regierung eine andere Methode. In ihrem Ringen, die Partei, wie Premier Antonis Samaras sagt, "zu zerquetschen", müssen täglich medienwirksame Verhaftungen präsentiert werden.. Jeden Tag wird die Aufhebung der Immunität von weiteren Abgeordneten der Goldenen Morgenröte verlangt. Am Donnerstag beschloss eine Parlamentskommission die Aufhebung von sechs Immunitäten. Es betraf Ilias Kasidiaris, Ilias Panagiotaros, Giorgios Germenis, Stathis Mpoukouras und Panagiotis Iliopoulos, sowie die einzige weibliche Vertreterin der Partei im Parlament. Eleni Zaroulia ist nicht nur die Gattin des Parteivorsitzenden, sie vertritt Griechenland auch im EU-Ausschuss für Gleichstellung und gegen Rassismus. Ihr zur Last gelegt wird, dass sie ihrem Gatten eine Pistolenpatrone in die ans Gefängnis geschickte Unterwäsche beilegte.
Strittiges Amnestiegesetz zum ersten Mal ausgehebelt
In einem anderen Fall konnte die viel gescholtene griechische Justiz jedoch das bislang als unmöglich Angesehene realisieren. Per Verfassung hatte der amtierende Vizepremier Evangelos Venizelos von der PASOK gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler der Nea Dimokratia, Prokopis Pavlopoulos, festschreiben lassen, dass Minister für Vergehen im Amt nur für die Dauer der auf die Straftat folgenden zwei Sitzungsperioden des Parlaments belangt werden können. In der Praxis bedeutete dies, dass beim üblichen Aufklärungstempo der Skandale eine Strafverfolgung unmöglich war.
Die Strafverfolger ersannen jedoch einen Trick. Sie konzentrierten sich nicht auf die üblichen Straftaten der korruptionsfreudigen Minister, sondern auf die Nutzung der illegalen Früchte. Denn Geld, das nicht auf rechtmäßigem Weg erlangt wurde, ist Schwarzgeld. Wer es ausgibt, anlegt oder mit Zinsen spart, der begeht Geldwäsche.
Als erster bekam dies Akis Tsochatzopoulos zu spüren. Seit Anfang der 1980er Jahre bis 2004 war er die unbestrittene Nummer zwei der PASOK. Mehrmals diente er den Sozialisten als Minister, für einige Wochen war er als Vizepremier faktisch Regierungschef, weil der damalige Premier Andreas Papandreou mehrmals krankheitsbedingt auf der Intensivstation lag.
Der "schöne Akis" hatte sich als Verteidigungsminister seine Unterschrift unter Rüstungskäufe teuer bezahlen lassen. Obwohl diese Käufe in der Regel auch vom Premier und vom Außenminister unterschrieben werden müssen, konzentrierte sich die Strafverfolgung auf den in Ungnade gefallenen Volkstribun. Ex-Premier Costas Simitis und Giorgos Papandreou blieben daher unbehelligt.
55 Millionen Euro Schmiergelder konnte das Gericht dem angeklagten Politiker nachweisenY. Für "Akis" ergibt dies zwanzig Jahre Zuchthaus. Ebenso in den Knast müssen sein Amtsleiter, sein Vetter, seine Steuerberaterin und zahlreiche andere Personen. Mit drakonischen Strafen belegt wurden Tsochatzopoulos Tochter und die zweite Ehefrau Vicky Stamati, die zehn bzw. zwölf Jahre hinter Gitter müssen. Stamati, deren Bruder ebenfalls sechs Jahre erhielt, brach nach dem Urteil zusammen und befindet sich nun in einer psychiatrischen Klinik. Den Angehörigen wird zur Last gelegt, dass sie entweder Mitwisser seien oder aber zumindest eine illegale Quelle des unerschöpflichen Reichtums hätten vermuten müssen.
Mit dem gleichen Vorwurf erhielt Tsochatzopoulos erste Ehefrau, Aretis Mutter Gudrun Moldenhauer, sechs Jahre Zuchthaus. Sie hatte sich ihre Zustimmung zur Scheidung mit 500.000 Euro bezahlen lassen.
Wer hört denn da mit?
Mit einer Indiskretion hat die Sonntagszeitung Real News ein weiteres Kapitel griechischer Rechtsgeschichte aufgeschlagen. Die Zeitung berichtete, dass SYRIZA-Chef Alexis Tsipras seine Präsidiumskollegen gebeten habe, am Telefon nur noch vorsichtig zu reden, weil offensichtlich die Regierung den Inhalt zahlreicher Gespräche bereits im Vorfeld kannte. Beweisen lassen sich solche Vorwürfe in der Regel nicht.
Bürgerschutzminister Nikos Dendias und Regierungssprecher Simos Kedikoglou wiesen den Vorwurf scharf zurück und drohten mit Verleumdungsklagen. Beide forderten ein Dementi von SYRIZA. Für die Partei sprach Panagiotis Lafazanis, "Während der Präsidiumssitzung wurde nicht über telefonische Abhöraktionen gesprochen. Weder der Parteivorsitzende, noch jemand anders hat etwas dazu gesagt." Süffisant und mit viel sagendem Gesichtsausdruck fügte er jedoch hinzu, "Wenn nun unsere Telefone überwacht werden, dann kann ich es nicht wissen. Das ist ein anderes Thema."
Unterstützung erhält die Abhörtheorie ausgerechnet Kreisen der Regierungskoalition. Apostolos Kaklamanis, der Grande Seigneur der PASOK, bestätigte eindeutig die systematische Überwachung von Oppositionspolitikern durch den jeweiligen Geheimdienst. Dies entspräche seiner Erfahrung, meinte er. Seitens der Nea Dimokratia bezweifelte der frühere Parteisprecher Aris Spiliotopoulos mehr oder weniger offen die Aussagen seines Nachfolgers Kedikoglou. Spiliotopoulos verlangt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Machenschaften der griechischen Schlapphüte aufklären soll.
Ins gleiche Horn bläst der Parteichef der rechtskonservativen LAOS, Giorgos Karatzaferis. Aufgrund der Kampagne gegen die Goldene Morgenröte befindet sich seine aus dem Parlament geflogene Partei im Aufwind. Karatzaferis bestätigt die seitens SYRIZA lediglich implizierten Vorwürfe. Er ist sicher, dass Oppositionsparteien durch den Geheimdienst systematisch überwacht werden. Schließlich wurde bekannt, dass die Goldene Morgenröte in Piräus bereits vor dem Mord am Rapper Pavlos Fysas systematisch abgehört wurde.