Griechenland: Neuwahlen nach monatelanger Regierungskrise

Mitten in der Wirtschaftskrise löst Karamanlis das Parlament auf

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Der neoliberale griechische Premierminister Kostas Karamanlis hat am Mittwochabend die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen innerhalb von 30 Tagen angekündigt. Somit werden die Griechen aller Voraussicht nach am 4. Oktober zu den Urnen gerufen. Eventuell käme auch der 27. September als Wahltermin in Betracht, denn die Wahlen müssen nach einer Parlamentsauflösung gemäß Verfassung innerhalb von 21 bis 30 Tagen stattfinden. In Hellas herrscht Wahlpflicht,

Der Premier berief sich in einer eigens dazu anberaumten Fernsehansprache auf die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und die fehlende Kooperationsbereitschaft der Opposition. Besonders die ständige Forderung des sozialistischen Oppositionsführers Georgios Papandreou von der PA.SO.K. nach Neuwahlen stelle eine Bedrohung für die griechische Wirtschaft dar. Papandreou, Vorsitzender der sozialistischen Internationalen, hatte bereits vor Monaten angekündigt, dass seine Partei spätestens anlässlich der im Frühjahr 2010 fälligen Präsidentschaftswahlen eine Parlamentsauflösung anstreben würde. Nach griechischer Verfassung ist für die Wahl des Präsidenten eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten erforderlich. Die regierende Nea Dimokratia verfügt aber derzeit nur über 151 von 300 Mandaten.

Pleiten, Pech und Pannen

Karamanlis Regierungsteam war nicht erst seit den verheerenden Waldbränden vor zwei Wochen unter Druck. Vor allem dem Innenministerium wurden angesichts der früheren Brandkatastrophe von 2007 erneut schwere Versäumnisse bei der Katastrophenschutzplanung vorgeworfen. Skandalserien seiner Ministerriege boten seit Jahren eine Angriffsfläche für die Opposition. Durch die Finanzkrise und vor allem durch das strenge Defizitverfahren der Europäischen Union sind die Möglichkeiten der Regierung, mit Finanzspritzen und Steuergeschenken das Klima zu verbessern, beschränkt. Stattdessen haben die notwendigen Sparmaßnahmen die Popularität des ursprünglich beliebten Karamanlis abstürzen lassen.

Vor allem nach dem erzwungenen Rückzug seines Presseministers und Regierungssprechers Thodoros Roussopoulos hatte Karamanlis Probleme mit den Medien.

Der gelernte Journalist Roussopoulos hatte es mit geschickten Imagekampagnen geschafft, den Ministerpräsidenten als eine von allen Skandalen unangetastete Führungspersönlichkeit zu präsentieren. Mit dieser Taktik hatte der ursprünglich aus dem linken Lager stammende Quereinsteiger Roussopoulos innerhalb der Nea Dimokratia allerdings auch innerparteiliche Spannungen ausgelöst.

Innerparteiliche Flügelkämpfe

Diese Spannungen manifestieren sich in der Gruppenbildung um potentielle Diadochen des offensichtlich gescheiterten Karamanlis. Gegen den eigenen Regierungschef arbeitete zuletzt die Gruppe um Bau- und Umweltminister Georgios Souflias. Souflias hatte trotz verheerender Umfragergebnisse in einem Interview am vergangenen Wochenende indirekt die Option der Neuwahlen als "das Beste für das Land" bezeichnet. Außer Souflias schielen vor allem die Außenministerin Dora Bakojianni und der Gesundheitsminister Dimitris Avramopoulos nach dem Parteivorsitz. Bakojianni ist Tochter des greisen Ex-Premiers Konstantinos Mitsotakis, der als Ehrenvorsitzender der Nea Dimokratia immer noch in die Politik eingreift.

Der gewitzte Taktiker Karamanlis hatte sich in den letzten Tagen von der Öffentlichkeit zurückgezogen, um in aller Stille über mögliche Auswege aus der Krise nachzudenken. Dabei reichten die von eifrigen Abgeordneten an die Presse kolportierten Vorschläge von einer Regierungsumbildung bis hin zu den vorgezogenen Neuwahlen. Für eine Regierungsumbildung fehlen der Nea Dimokratia derzeit im Parlament die "unbelasteten Alternativen". Außerparlamentarische Minister hätten die innerparteilichen Spannungen nur weiter verschärft. Die hauchdünne Parlamentsmehrheit machte den Premier von jeder einzelnen Abgeordnetenstimme abhängig. Ein "übergangener" Parlamentarier könnte so schnell zum Königsmörder werden.

Rette sich, wer kann

Innerhalb der Parlamentsfraktion der Regierungspartei herrscht Panik aufgrund der Wahlen. In Prognosen liegt die Partei bis zu 7% hinter der PA.SO.K. Dies würde sich gemäß dem griechischen Wahlrecht in einen Verlust von bis zu 70 Abgeordnetenmandaten manifestieren.

In Hellas wird, da die beiden großen Parteien keine Koalitionsregierungen wünschen, die stimmenstärkste Partei mit Bonussitzen belohnt. Die zweite Partei verliert gemessen an ihrem Wahlergebnis Parlamentssitze und die kleineren Parteien erhalten ebenfalls zusätzliche Sitze.

Für den Fall, dass Karamanlis trotz widriger Umstände eine absolute Parlamentsmehrheit der PA.SO.K. verhindern kann, droht ihm innerparteilich kaum Ungemach. Die Partei wäre zum Zusammenhalt gezwungen. Er könnte so zumindest den Parteivorsitz der von seinem Onkel Konstantinos Karamanlis am 4. Oktober 1974 gegründeten Partei bewahren.

Augenscheinlich ist dies die Absicht des Premierministers. Denn ohne absoluten Wahlsieger müssten die Hellenen erneut zu den Wahlurnen gerufen werden. Genug Zeit für Karamanlis, um seine innerparteilichen Gegner zu isolieren.

Die Taktik des Oppositionsführers

Oppositionsführer Georgios Papandreou hat aus zwei verlorenen Parlamentswahlen gelernt (2004 und 2007). Nach den 2007 verlorenen Wahlen konnte der Sohn des PA.SO.K. -Gründers Andreas Papandreou nur mit Mühe seinen Parteivorsitz retten. Seit dem kopiert er die vom damals aufstrebenden Karamanlis ab der Jahrtausendwende erprobte Taktik der "reifen Frucht". Papandreou reagiert dabei mit scharfer Kritik auf alle Fehler der Regierung. Eine programmatische Diskussion um politische Alternativen wird bei dieser Kampfesweise nach Möglichkeit vermieden.

Sollte die PA.SO.K. beim Urnengang die absolute Mehrheit verfehlen, so würde sie als voraussichtlich stärkste Kraft bei einer folgenden Wahl einen weiteren Parlamentssitzbonus von zehn Abgeordneten erhalten. Dann nämlich tritt eine weitere Wahlrechtsreform in Kraft. Somit wären ungefähr 35 % der Stimmen, die derzeitige Stammwählerschaft, für eine Alleinregierung ausreichend.

Die Rolle der kleineren Parteien

Die kleineren Oppositionsparteien spielen hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung höchstwahrscheinlich keine Rolle. Allerdings hängt von ihrem Abschneiden die Parlamentssitzverteilung ab. Je mehr Kleinparteien die 3% Sperrklausel überschreiten, umso weniger Bonussitze erhält die stärkste Partei. Sollten nur vier Parteien ins Parlament am Athener Syntagmaplatz einziehen, dann könnten nach dem geltenden Wahlrecht auch 36% für eine absolute Mehrheit ausreichen.

Bei den Europawahlen 2009 konnten insgesamt sechs Parteien Abgeordnete entsenden. Außer der Nea Dimokratia und der PA.SO.K. waren dies die ideologisch kaum einzuordnende LAOS, die Kommunisten, das Linksbündnis SYRIZA und die griechischen Grünen-Ökologen.

Aktuellen Umfragen zufolge muss das innerparteilich zerrüttete Linksbündnis um den Parlamentseinzug bangen. Nach einem zwischenzeitlichten Umfragehoch mit zweistelligen Prozentwerten im vergangenen Jahr, wurde SYRIZA von den Wählern mit 4,15% abgewatscht. Die Parteispitze ist nun in mehrere Lager geteilt.

Den Grünen droht nach dem Achtungserfolg bei den Europawahlen erneut das politische Nischendasein. Die oft als "letzte Stalinisten" bezeichneten Kommunisten haben eine sichere Stammwählerschaft von 8-9%.

Parteichef Georgios Karatzaferis könnte, falls sich die Umfragen bewahrheiten, mit seinem Bündnis bis zu 9% erreichen. LAOS ist die einzige Partei, die sich selbst als möglicher Koalitionspartner anbietet. Allerdings haben sich alle weiteren Parlamentsfraktionen bisher gegen eine Zusammenarbeit gesträubt. Karatzaferis war im Jahr 2000 von Karamanlis aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen worden, nachdem er öffentlich kompromittierende Angriffe auf das Privatleben des damaligen Oppositionsführers und jetzigen Premiers gemacht hatte.

Mitten in der Finanzkrise steht das Land mit einem schwer angeschlagenen Staatshaushalt nun vor einem politischen Machtvakuum.