Griechenland: Survivor statt Nachrichtensendungen

Karneval in in Chalkida. Bild: W. Aswestopoulos

Ein Kommentar zu den Euro-Verhandlungen zwischen den Kreditgebern und der Tsipras-Regierung

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Vor zwei Jahren befand sich Griechenland in einer ähnlichen Situation wie heute. Damals hatte die frisch angetretene, erste Regierung von Alexis Tsipras den Kreditgebern widersprochen. Seinerzeit fand die griechische Krise inmitten einer Medienhatz statt. Damals gab es zumindest für die Hotels in Athen ein Geschäft. Sie waren mit Journalisten ausgebucht.

Kein Sack Reis konnte in Athen umfallen, ohne dass darüber berichtet wurde. Eine Reporterin eines deutschen Fernsehsenders fand sich frisch zum "Reinen Montag", der Kathara Deftera, auf dem Syntagma-Platz ein und wunderte sich: "Wieso feiern die hier das Ende des Karnevals, wieso feiern die überhaupt? Sie sind doch pleite!"

Karneval in Chalkida. Bild: W. Aswestopoulos

Zwei Jahre später hätte die gleiche Reporterin knapp neunzig Kilometer von Athen entfernt, in Chalkida, beobachten können, wieso Karnevalsfeiern auch Geld bringen können. Die dortige Stadtverwaltung hatte zum zweiten Mal den "Karneval auf dem Meer" organisiert und zum Höhepunkt der drei Wochen anhaltenden Feiern mehr als 30.000 Besucher in der Stadt versammelt. Während der Winterzeit geschlossene Hotels wurden geöffnet. Touristen, hauptsächlich aus dem Inland, hatten etwas gefunden, was zumindest für einige Tage eine Ablenkung vom tristen Alltag erlaubte.

Ähnlich war es, das hätte die Reporterin wissen müssen, im Nachkriegsdeutschland von 1946 bis Anfang der Fünfziger. Deprimierende Umstände der Realität verleiten Menschen dazu, Feiern wie den Karneval einfacher zu nutzen. Für Chalkida ist das zum zweiten Mal organisierte Karnevalsfest eine Gelegenheit, für die nächsten Jahre auch ausländische Touristen anzulocken.

Ganz anders stellt sich die Lage in Athen dar. Heuer ist lediglich das Hilton Hotel voll - mit Polizisten, die vor und hinter den Türen über das leibliche Wohl der Vertreter der Kreditgeber wachen. Diese sind für eine Woche nach Athen zurückgekehrt. Journalisten oder gar Touristen sind im gerade erst wieder frühlingshafte Temperaturen erlebenden Athen selten.

Internationale Medien zeigen kaum Interesse für die ewigen Verhandlungen und die wiederholte Androhung des Grexits. Einheimische sehen im Fernsehen immer weniger Nachrichtensendungen. Stattdessen erzielt "Survivor", eine dem Dschungelcamp ähnliche Sendung im griechischen Fernsehen, Einschaltquoten von 71 Prozent.

Karneval in Chalkida. Bild: W. Aswestopoulos

Rote und gelbe Karten für die Gegenmaßnahmen

Auf der Tagesordnung der Politik stehen "Verhandlungen zu den Maßnahmen zur Realisierung der Ziele des dritten Kreditvertrags". Letzterer, im Land lediglich Memorandum genannt, verpflichtet die griechische Regierung in den kommenden Jahren einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent der Bruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften.

Mit den im Kreditvertrag festgeschriebenen Maßnahmen erscheint dies eher unmöglich. Daher hatte der Internationale Währungsfonds bislang entweder auf einen niedrigeren Primärüberschuss oder aber auf weitere "Sparmaßnahmen" bestanden. Die europäischen Kreditgeber wollten nicht ohne den IWF weitermachen. Schließlich gab es Ende Februar den Kompromiss, dass der IWF an Bord kommt, wenn Griechenland die weiteren Sparmaßnahmen in Höhe von zwei Prozent des BIPs ergreift. Worin diese bestehen ist seit Monaten bekannt, die Renten sollen erneut gekürzt werden, die "steuerliche Basis" soll erweitert werden, was in verständlicher Sprache nichts weiter als neue Steuern bedeutet.

Dagegen jedoch wehrt sich die Regierung Tsipras - oder sie gibt es zumindest vor, das zu tun. In der Realität erscheinen diese Verhandlungen dann so. Am ersten Tag "streiten" sich Kreditgeber und griechische Regierungsvertreter um Arbeitsrecht und Steuern. Die Verhandlungen werden ergebnislos abgebrochen und vertagt. Am nächsten Tag geht es dann um Fragen der Justiz und der öffentlichen Verwaltung. Erneut wird abgebrochen.

Tsipras verspricht, dass es für jede Sparmaßnahme eine Gegenmaßnahme im gleichen Umfang geben würde. Sein Finanzminister Euklid Tsakalotos widerspricht öffentlich. Die im Volksmund immer noch Troika, von regierungsamtlicher Seite aber "Institutionen" genannten Kreditgeber haben den Gegenmaßnahmen "rote und gelbe Karten" erteilt - heißt es aus den "wohl informierten Kreisen".

Konsequenzen? Gibt es nicht. Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, der zu seiner Zeit als Minister der Regierung Samaras die heute von den Kreditgebern geforderten Maßnahmen selbst als notwendige Maßnahmen verteidigte, will nun keiner der Maßnahmen im Parlament seinen Segen erteilen. Er wirbt mit seinem Widerspruch um Wählerstimmen. Gleiches tun die SYRIZA-Abgeordneten, die im Fernsehen in Talk-Shows beschwören, dass sie keiner weiteren Rentenkürzung zustimmen würden.

Das Problem ist, dass den Griechen dieses Theater nicht mehr gefällt, die Politiker aber noch nicht begriffen haben, dass die Masken längst gefallen sind. In den Kaffeehäusern, aber auch in Gesprächen der Journalisten untereinander stellen die "unterbrochenen", aber nie wieder aufgenommenen Verhandlungen über einzelne Punkte nichts anderes dar als ein Indiz dafür, dass die Maßnahmen längst beschlossen sind. Es geht der Regierung einzig und allein darum, das Gesicht zu wahren und Zeit zu gewinnen. Die neoliberale Nea Dimokratia in der Opposition kann sich dagegen zurücklehnen, sie muss die von ihr begrüßten Maßnahmen politisch nicht vertreten.

"Kaufen Sie jetzt in Griechenland ein - nie war es billiger"

Inmitten dieses surrealen Ambientes gibt es kaum etwas, was dem aufmerksamen Beobachter nicht geboten wird. Der Vizevorsitzende der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, eilt ins Ausland, um dort öffentlich für Investoren zu werben, wie er sagt. "Kaufen Sie jetzt in Griechenland ein - nie war es billiger", tönt er ebenso, wie er allabendlich im Privatfernsehen im Zweitjob als Verkäufer seines als Teleshop betriebenen Buchverlags auftritt.

Dass Georgiadis im gleichen Atemzug beklagt, Griechenland leide unter einem "kommunistischen Regime", erscheint ihm selbst nicht kontraindiziert. Indes wird kaum ein kapitalträchtiger Investor in ein "kommunistisches Land" - was Griechenland keineswegs ist - investieren.

Ist es unter solchen Umständen verwunderlich, dass die Griechen aktuell lieber jede Gelegenheit zum Feiern oder zum Galgenhumor nutzen? Aus innergriechischer Sicht kaum. Jedoch stellt sich die Frage, was in Griechenland passieren wird, wenn für die Politik der "Reine Montag" - also das Pendant zum katholischen Aschermittwoch - eintritt und die Politiker selbst einsehen, dass ihre Masken gefallen sind.