Grober Unfug in Paragraphenform
Schilys Luftsicherheitsgesetz produziert viel Ermittlungsmüll
Minister Schily will sich kurz vor seinem Ruhestand noch ein Denkmal setzen und ein weiteres Paket sogenannter „Sicherheitsgesetze“ durch den Bundestag jagen. Dabei sind die bisherigen schon fragwürdig und unsinnig genug. Ein Musterbeispiel: das Anfang diesen Jahres verabschiedete sogenannte „Luftsicherheitsgesetz“.
Wer heute eine Reise tut – der kann auch was erleben. Seit Schily mit tatkräftiger Hilfe seines Ministerkollegen Struck den Luftraum über Deutschland um eine Gefahr bereichert hat, kann ein kurzer Vergnügungsflug mit einer Sportmaschine zum bleibenden Erlebnis werden. Dann nämlich, wenn der Pilot zum Beispiel vom Sportflugplatz Egelsbach bei Darmstadt startet und mal eben eine Abkürzung über den Schutzbereich des Rhein-Main-Flughafens oder das Frankfurter Bankenviertel nimmt. Solch eine Abkürzung könnte für den Piloten teuer werden, er wird vom Flughafen-Tower angefunkt und aufgefordert, sich zu identifizieren. Doch weil sie wissen, was dann folgt – ein teures „Fliegerknöllchen“ – denken die meisten nicht dran, sich zu offenbaren. Stattdessen geben sie Gas und verlassen schnellstens die verbotene Zone. Da Kleinflugzeuge anders als ihre großen Verkehrsmaschinen nicht über eine sogenannte „Passivkennung“ verfügen, besteht für sie auch kaum ein Risiko, erwischt und bestraft zu werden.
So war es bisher. Doch seit dem neuen Gesetz kann es eng werden für den Flugsünder, wenn drei Faktoren zusammenkommen, die eine Einstufung des verbotenen Fluges als „alarmwürdig“ erfolgt. Dazu gehören: erstens das Luftfahrzeug fliegt dort, wo es nicht fliegen darf, zweitens das Luftfahrzeug antwortet nicht und drittens das Luftfahrzeug ist nicht identifizierbar.
Abfangjäger gegen Sportflieger
Wenn nun im Frankfurter Tower ein von Schily verwirrter Verantwortlicher Dienst schiebt, drückt er den roten Knopf und innerhalb weniger Minuten sind Abfangjäger der in Wittmund und Neuburg/Donau stationierten Alarmrotten in der Luft, willens und in der Lage, die Maschine und den Flugsünder binnen Sekunden zu zerlegen. Die routinierten Flugsicherheitsverantwortlichen in Frankfurt vermieden bisher jede unnötige Alarmmeldungen – wissend, dass harmlose Falschflieger ihre Radarkreise stören.
Die Lizenz zum Töten in § 14 des Luftsicherheitsgesetzes ist nicht nur verfassungsrechtlich zweifelhaft, sondern auch von der praktischen Seite fraglich. Was ist, wenn ein Jumbo kurz vor der Landung seinen Kurs ändert und statt die Landebahn anzusteuern, Kurs nimmt auf das Flughafengebäude oder die benachbarte chemische Industrie? Da hilft keine Alarmrotte aus Norddeutschland oder Bayern. Das wissen auch die Verantwortlichen. Und selbst wenn sie rechtzeitig im Frankfurter Luftraum wäre – ein abgeschossener Jumbo über dem Rhein-Main-Airport oder der Frankfurter Chemie-Industrie hätte unabsehbare Folgen. Doch von solch praktisch-nüchternen Erwägungen lassen sich Schily und Struck nicht ihre Gesetze verderben. Denn, so war im Bundestag zu erfahren, mindestens viermal wöchentlich drückt jemand – warum auch immer – den roten Knopf und setzt Strucks/Schilys Maschinerie in Bewegung.
Vielleicht wird das Luftsicherheitsgesetz ohnehin bald geändert, denn bekanntlich klagen liberale Anwälte wie der ehemalige NRW-Innenminister Dr. Burkhard Hirsch und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard R. Baum gegen dieses Gesetz.
Nach offiziellen Angaben des Verteidigungsministeriums steigt lediglich zwanzigmal pro Jahr die Alarmrotte in die Lüfte. Und sei es, um wie an Pfingsten einem durch Stromausfall in Not geratenen polnischen Kleinflieger bei der Landung behilflich zu sein. Dagegen haben die auch Kläger Hirsch und Baum sicher nichts einzuwenden – aber für solche Einsätze bedarf es auch keines neuen Luftsicherheitsgesetzes.
Teure Ermittlungen für den Papierkorb
Das Luftsicherheitsgesetz birgt über den Abschussparagraphen 14 noch andere Fallstricke – wenn auch nicht mit solch unabsehbaren möglichen Folgen. In § 11 ist geregelt, was der Fluggast mit an Bord nehmen darf. Während in Abs. 1 Ziffer 1-3 die Gegenstände definiert sind, die wohl von jedem Fluggast als "gefährlich" akzeptiert werden und kaum mitgeführt werden dürften (Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen sowie Sprengstoffen, Munition, Zündkapseln), enthält die Ziffer 4 eine erstaunliche Definition
4. sonstige in der Anlage der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) genannten Gegenständen
Was nun, wenn der Fluggast gerade nicht alle EU-Verordnungen parat und vor dem Kofferpacken auch gelesen hat? Denn was darin steht, erschließt sich nicht unmittelbar. Der Gesetzgeber hat somit diese "Anlage" zu einem Katalog für strafrechtliche Tatbestandsmerkmale gemacht, ohne dem Bürger diesen Katalog zugänglich zu machen. Ein Umstand, der auch manchem Polizeibeamten zu denken gibt.
Ein Blick in diese Verordnung erzeugt weiteres Staunen: Denn zu den gefährlichen Gegenständen gehören auch solche, die kaum ein Reisender als solche einstufen würde, weil es nicht Waffen sind, sondern Gegenstände des täglichen Bedarfs, die man auch guten Gewissens durchaus im Handgepäck mitführt, wie: Benzin-Feuerzeug, Nagelfeile über 6 cm Klingenlänge, Multifunktionswerkzeuge (Leatherman-Tool, Gerber…), handelsübliche Rasiermesser oder Brieföffner über 6 cm.
Aber es kommt noch besser. Wie in fast jeder EU-Verordnung finden sich auch in dieser recht seltsame Formulierungen. So fallen unter das Verbot auch
Gegenstände aller Art, bei denen der hinreichende Verdacht besteht, dass sie zur Vortäuschung einer tödlichen Waffe benutzt werden könnten; dazu gehören unter anderem Sprengkörpern ähnliche Gegenstände oder sonstige Gegenstände mit waffenartigem oder gefährlichem Aussehen, Gegenstände aller Art, bei denen der hinreichende Verdacht besteht, dass sie zur Vortäuschung einer tödlichen Waffe benutzt werden könnten; dazu gehören unter anderem Sprengkörpern ähnliche Gegenstände oder sonstige Gegenstände mit waffenartigem oder gefährlichem Aussehen
Fällt darunter die Wasserpistole des Sohnes, die sich aus irgendeinem Grunde seit dem letzten Familienurlaub noch im Handgepäck befand? Dem Gesetzestext zufolge muss diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantwortet werde.
Vom öffentlichen Teil des Flughafens gelangt der Reisende nach einer ersten, – meistens von unterbezahltem privaten Sicherheitspersonal nicht besonders sorgfältig durchgeführten – Kontrolle in den Sicherheitsbereich. Hier haben nur berechtigte Personen Zugang – Flughafen-Personal, oder Reisende mit Flugschein.
Wer mit einem der verbotenen Gegenstände in diesen Bereich gelangt, macht sich dem Flugsicherheitsgesetz zufolge bereits strafbar. Wenn er nun vor Besteigen seiner Maschine nochmals kontrolliert wird – wie bei Reisen in die USA, Großbritannien oder Israel durchaus üblich –, so hat seine Reise vorläufig beendet, wenn er mit seiner Wasserpistole oder dem Rasiermesser erwischt wird. Aus dem New York Urlauber wird ein Straftäter. Die Polizei muss ermitteln, Personalien werden aufgenommen, ein Verfahren wird eingeleitet und später an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Allein in Frankfurt am Main gab es seit Januar dieses Jahres rund 300 solcher Verfahren. Vor Inkrafttreten des Luftsicherheitsgesetzes konnten die Fluggäste diese Gegenstände "straffrei entsorgen" jetzt geraten sie in die Gesetzesmühle. Doch nach Ansicht der zuständigen Staatsanwälte hat nur ein verschwindend geringer Anteil dieser Verfahren wirklich Substanz.
So wurde im ganzen Monat März nur in einem Fall am Flughafen Frankfurt bei einer zweiten Kontrolle eine Waffe entdeckt. Die übrigen Verfahren erweisen sich als nach Ansicht der Staatsanwälte als substanzlos. Oder anders formuliert, als ebenso zeitraubende wie überflüssige Arbeit für Polizei und Justiz. Deshalb wurden die meisten Verfahren in Frankfurt auch in Köln von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Den „Tatverdächtigten“ wird „Verbotsirrtum“ unterstellt Denn sie durften ja mit dem – bei der zweiten Kontrolle als „gefährlich“ eingestuften – Gegenstand die erste Kontrolle unbeanstandet passieren und so in den Sicherheitsbereich gelangen, in dem das neue Gesetz erst greift.
Dennoch bleiben Spuren, denn Polizeicomputer vergessen nicht so schnell. Wer einmal „auffiel“ bleibt gespeichert – „mit Kriminalakte und Polas-Fallsatz, selbst wenn das Verfahren eingestellt wird“, wie ein Beamter gegenüber Telepolis bestätigte.
Völlig absurd wirkt sich das neue Gesetz bei manchen Transitreisenden aus. So kann man in den USA beispielsweise mit einem „Zippo-Feuerzeug“ bewaffnet weiterhin den Flieger besteigen. Wer mit solch einem Teil von Frankfurt Airport aus seinen Weiterflug nach Israel antreten will, bekommt ein Problem. Er wird im Transitbereich zum Straftäter. Alleine in Frankfurt Airport tappen Angaben von Sicherheitsbeamten zufolge monatlich ca. 60-100 Personen in diese Strafrechtsfalle.
Fluglinien informieren meist unzureichend
Der Informationszugang bei den einzelnen Fluglinien ist recht unterschiedlich. Über die Folgen des neuen Gesetzes werden die Passiere nicht oder nur unzureichend aufgeklärt. Bei der Lufthansa ist es ein vergleichsweise langer Weg, um Klarheit darüber zu erhalten, was man als Handgepäck mitnehmen darf oder nicht. Der Weg zum Warnhinweis führt auf der Lufthansa-Seite über „Info und Service“, „Reisevorbereitung“, “Ihr Gepäck“ schließlich zu „Gefährliche Gegenstände“. Doch wer schaut dort nach, wenn er nach eigenem Ermessen gar keine Handgranaten, Gewehre und Macheten mitnehmen will, sondern nur seine Nagelschere oder hochprozentigen Alkohol?
Doch die Lufthansaliste zeigt nur einen Auszug der tatsächlichen Verbotsliste. So erfahren Jugendliche beispielsweise nicht, dass sie ihr Skateboard oder Schlittschuhe nicht als Handgepäck mitnehmen können, weil es ebenfalls auf der EU-Liste aufgeführt wird. LTU-Kunden müssen sich unter dem Stichwort „Gepäck verbotenes“ die entsprechenden Informationen suchen.
Bei Ryanair ist der Zugang zur Verbotsliste vorbildlich einfach unter dem Stichwort Gepäck abrufbar. Auf der Seite des Luftfahrtbundesamtes findet man ebenfalls schnell die „Liste in Passagierflugzeugen verbotener Gegenstände“.
Um Klarheit über die Häufigkeit der Alarmierung der Alarmrotte zu erhalten und mehr über unsinnige Ermittlungen in Sachen „Handgepäck zu erfahren, hat die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau eine Bundestagsanfrage angekündigt.