Große Koalition in Österreich

Der SPÖ schlägt auch Kritik aus den eigenen Reihen entgegen, der designierte Bundeskanzler Gusenbauer gilt als Verlierer der Verhandlungen

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Viel wurde über ein mögliches Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokratischer Partei Österreichs (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) spekuliert. Doch nun ist sie fix: Die große Koalition wurde gestern mit Handschlag besiegelt. Über die Sachpolitik ist man sich im Großen und Ganzen einig, die Ministerien sind aufgeteilt, einzig die Personen der neuen Regierung stehen noch nicht fest – den Bundeskanzler ausgenommen. Der heißt ab sofort Alfred Gusenbauer. Noch vor offiziellem Amtsantritt hagelt auf ihn jedoch eine heftige Welle der Kritik nieder.

Wahlsiege hat Neo-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer schon einige zu verbuchen, seit er die Führung der SPÖ übernommen hat – Stimmengewinne in den Bundesländern, SPÖ-Landeshauptleute in ÖVP-Hochburgen wie der Steiermark, ein Bundespräsident, der von der SPÖ gestellt wird, und zuletzt: die überraschende Stimmenmehrheit bei den Nationalratswahlen am 1. Oktober, womit niemand gerechnet hat, nicht einmal Parteifunktionäre selbst. Hart müssen Alfred Gusenbauer daher die ersten Reaktionen auf den Ausgang der Koalitionsverhandlungen getroffen haben.

Studenten protestieren

Gestern Nachmittag hat es auf der Wiener Ringstraße die erste Demonstration gegeben. Während des Wahlkampfs hat die SPÖ versprochen, die Studiengebühren in der Höhe von 360 Euro pro Semester abzuschaffen. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst.

Das war aber nur einer der Gründe, warum die Studenten auf die Straße gingen. Ein anderer und nachvollziehbarer Grund: Anstatt 360 Euro Studiengebühr zu zahlen, haben Studenten in Zukunft die „Möglichkeit“, diese Summe in Form von Sozialarbeit abzugelten: 60 Stunden pro Semester werden veranschlagt – also 2,5 Stunden pro Woche. In Nachhilfeschulen, Altersheimen, Hospizen oder anderen sozialen Einrichtungen. Abgesehen davon, dass ein Stundenlohn von sechs Euro lächerlich ist, fragt sich auch, wie qualifiziert Studierende für anspruchsvolle Sozialarbeitertätigkeiten in Hospizen sind. Was den Studenteneinsatz in sozialen Einrichtungen betrifft, in denen normaler Weise nur ausgebildete Sozialpädagogen arbeiten, hat sich auch der österreichische Caritas-Direktor Michael Landau fassungslos und kritisch zu Wort gemeldet.

Kritik aus den eigenen Reihen

Kritisch äußern sich natürlich auch die Oppositionsparteien. Womit Gusenbauer aber wahrscheinlich am wenigsten gerechnet hat, ist die Tatsache, dass ihm selbst aus den eigenen Reihen ein rauer Wind ins Gesicht bläst. Altgediente SPÖ-Füchse wie Hannes Androsch gehen mit dem Verhandlungsausgang scharf zu Gericht. Damit würde die Seele der Partei verkauft werden, hat er gestern in einem Fernsehinterview gemeint.

Was von Leuten wie ihm weit mehr für Kritik sorgt als das Nichteinhalten von Wahlversprechen, ist die Aufteilung der Ministerien: Zentrale Ressorts wie das Finanz-, Innen- oder Außenministerium werden auch in Zukunft in den Händen der ÖVP bleiben. Das ist für einen Mann wie Androsch bitter. Erstens war er SPÖ-Finanzminister und sieht dieses Ministerium natürlich als wichtigstes an. Und zweitens saß er in einer Zeit in der Regierung, als die SPÖ eine absolute Mehrheit nach der anderen feierte. Dass eine Kanzlerpartei sogenannte Schlüsselressorts an den schwächeren Koalitionspartner abgibt, hat es in Österreich noch nie gegeben und wird Gusenbauer angekreidet.

Dass ÖVP-Frontmann Schüssel das schon im Jahr 2000 egal war, verbessert die Lage Gusenbauers nicht. Im Gegenteil. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP scheiterten damals an der Besetzung des Finanzministeriums. Da Schüssel 2000 einen unabhängigen Experten als Finanzminister forderte und der damalige SPÖ-Chef (und Kanzlerpartei-Vorsitzende) Viktor Klima nicht nachgeben wollte, kam es zu Neuwahlen und jener ÖVP-FPÖ-Regierung, die die letzten sechs Jahre in Österreich zu verantworten hat.

Auch diesmal blieb Wolfgang Schüssel hartnäckig und hat das Finanzministerium von Anfang an für sich beansprucht. Mit Erfolg. Alfred Gusenbauer musste in den Augen seiner Kritiker daher jetzt klein beigeben. Er wird in manchen Medien sogar als Verlierer der Koalitionsverhandlungen angeprangert und wird sich bestimmt eine Zeitlang nachsagen lassen müssen, nur ein Ziel verfolgt zu haben: Bundeskanzler zu werden. Noch oft wird daher wohl die Geschichte erzählt werden, wie er schon als Junge davon geträumt hat, Kanzler zu werden. Und es geschafft hat – als zehnter Bundeskanzler der zweiten Republik. Im Jahr 2006.

Die Vizekanzler-Frage

Heute werden Wolfgang Schüssel und Alfred Gusenbauer jedenfalls ihr 180 Seiten umfassendes Regierungsprogramm von den Parteivorständen absegnen lassen und dann vor allem die Frage diskutieren, wer Finanzminister und Vizekanzler werden wird.

Obwohl Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel offiziell noch nicht abgedankt hat, wird er sich aus der österreichischen Regierungspolitik zurückziehen. Zu klären ist seine Nachfolge und dafür gibt es zwei Kandidaten. Einen, gegen den die SPÖ nichts einzuwenden hätte – ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer. Und dann den Wunschkandidaten Schüssels: Karl-Heinz Grasser. Er ist seit dem Jahr 2000 Finanzminister, wurde von Jörg Haider an Bord geholt, ist sozusagen seine Entdeckung, hat sich 2002 aber mit ihm und dessen Partei in Knittelfeld zerworfen, ist aus der FPÖ ausgetreten und arbeitet seitdem als U-Boot und „Adoptivsohn“ Schüssels in der ÖVP mit. Offiziell gilt Karl-Heinz Grasser als parteiunabhängig.

Grasser als Vizekanzler und Finanzminister wäre für die SPÖ aus mehreren Gründen ein Affront. Allem voran steht, dass Gusenbauer des öfteren betonte, mit einem Finanzminister zusammen arbeiten zu wollen, dem er vertrauen kann und Grasser für ihn daher nicht in Frage kommt. Nach Aussagen eines engen SPÖ-Mitarbeiters wird Grasser auch ausscheiden – Klarheit darüber wird es allerdings erst im Laufe des heutigen Tages geben. Und Reaktionen auch. Die personelle Besetzung der anderen Ministerien verläuft auffallend unspektakulär. Einige Minister werden bleiben, einige werden neu dazu kommen – und neue Ministerien gibt es auch. So wird etwa wieder ein Frauenministerium eingeführt. Das scheint jedoch niemanden zu interessieren.

Abwarten, Tee trinken

Auch bei den Sachthemen mussten Alfred Gusenbauer und die SPÖ Zugeständnisse an die ÖVP machen, die jetzt eine schiefe Optik ergeben: Neben der Nicht-Abschaffung der Studiengebühren betrifft das vor allem den Kauf der umstrittenen Eurofighter – von der SPÖ kam da während des Wahlkampfs ein klares Nein. Jetzt werden doch welche angeschafft, nur weniger angeblich. Bis weiter darüber debattiert wird, will man allerdings die Prüfungsergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses abwarten.

Auf der anderen Seite konnte die SPÖ aber auch viele Punkte durchsetzen. Einer der erfreulichsten: die monatliche Grundsicherung. Statt der geplanten 800 Euro sind es zwar nur 726 Euro geworden, das sind jedoch durchaus positive Neuerungen und der SPÖ zuzuschreiben.

Da Alfred Gusenbauer seinen Wahlkampf von Anfang an mit Themen aus den Bereichen Bildung und Soziales bestritten hat und die SPÖ unter anderem auch diese Ministerressorts inne haben wird, könnte man ja auch einfach gespannt abwarten – warum soll ein Unterrichts-, Bildungs- und Kulturministerium weniger wert sein als ein Finanz- oder Innenministerium? Umdenken ist gefragt – und ein Wechsel an der Spitze, der ja glücklicher Weise stattgefunden hat.