Grüne bringen U-Ausschuss zum "Riesendesaster" Afghanistan ins Spiel
Beschlossen wurde der Bundeswehr-Einsatz unter einer "rot-grünen" Regierung. Allerdings räumte die ehemalige Friedens- und Ökopartei später Fehleinschätzungen ein
Die Grünen wollen möglicherweise im Bundestag einen Untersuchungsausschuss zum Afghanistan-Einsatz und den Umständen seiner Beendigung beantragen. "Es wäre absolut notwendig, dieses Riesendesaster und die unglaublich große Zahl von Fehlern aufzuarbeiten", sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Seine Partei wolle aber zunächst die für Mittwoch geplante Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abwarten.
Nouripour beklagte, dass Außenminister Heiko Maas (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in den Sondersitzungen der Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung zentrale Fragen nicht beantwortet hätten. Da ein Untersuchungsausschuss innerhalb der laufenden Legislaturperiode seine Arbeit abschließen müsste, würde ein solcher Antrag aktuell keinen Sinn machen. "Wäre das Ende der Legislaturperiode nicht schon in neun Wochen, hätten wir nach den nichtssagenden Auftritten von Maas und Kramp-Karrenbauer den Antrag schon gestellt", sagte Nouripour.
Die Legislaturperiode endet spätestens am 26. Oktober, da der neue Bundestag bis dann zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen muss - einen Monat nach der Wahl am 26. September. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses reichen die Stimmen von 25 Prozent aller Abgeordneten aus. Eine Zustimmung der Regierungsfraktionen wäre also nicht unbedingt notwendig, sie würden aber dann trotzdem die Mehrheit in einem solchen Ausschuss stellen und könnten im Extremfall die wichtigsten Beweisanträge blockieren. Bei Zeugenbefragungen hängt die Fragezeit von der Fraktionsstärke ab.
Im Fall des knapp 20-jährigen Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr haben allerdings alle Bundestagsparteien außer der Linkspartei und der AfD schon einmal mitregiert. Deshalb stellt sich die Frage, wie der Untersuchungszeitraum definiert werden soll.
Geschichte und Framing
Beschlossen worden war die deutsche Beteiligung am "Antiterrorkrieg" der Nato unter einer "rot-grünen" Bundesregierung. Die Akzeptanz für militärische "Lösungen" war in diesem Fall bei den Grünen auch wegen der brutalen Unterdrückung der Frauen durch die radikalislamischen Taliban zustande gekommen. "In der Grundhaltung kritischer Solidarität empfehlen wir die Zustimmung zum militärischen Beitrag der Bundesrepublik im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Wir respektieren diejenigen, die zu einem anderen Ergebnis kommen", hatte die damalige Grünen-Chefin Claudia Roth im November 2001 erklärt.
Der damalige grüne Außenminister Joseph Fischer erklärte am 22. Dezember 2001 zur Beteiligung der Bundeswehr an der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan: "Krieg trifft Unschuldige. Das ist keine Frage. Aber das Beispiel Afghanistan zeigt: Nur mithilfe militärischer Gewalt konnte verhindert werden, dass auch in Zukunft Unschuldige unendlich leiden müssen."
Im Juli 2010 zeigte sich Claudia Roth in einem Interview mit der taz mehr als ernüchtert und räumte ein, sie hätten damals "andere Vorstellungen" von der möglichen Entwicklung in Afghanistan gehabt:
Wir wollten natürlich vor allem auch die Stellung der Frauen verändern, für Demokratie und Menschenrechte sorgen. Und plötzlich merkten wir: Solange wir mit den Stammesältesten nicht reden, kommen wir überhaupt nicht weiter. Wir können unsere Standards nicht so ohne Weiteres eins zu eins auf andere Länder übertragen, ohne etwas davon preis zu geben. Das war eine bittere Erkenntnis.
Claudia Roth, Juli 2010
Das war ein knappes Jahr nach dem dramatischen Wendepunkt, der nach Einschätzung von Landeskundigen die Präsenz deutscher Soldaten für große Bevölkerungsteile in Afghanistan delegitimiert hat. Der damalige Bundeswehr-Oberst Georg Klein hatte im September 2009 den Luftangriff auf im Schlamm feststeckende Tanklaster bei Kunduz befohlen, dem etwa 100 Menschen zum Opfer gefallen waren.
Seither warfen die Grünen den von der Union geführten Bundesregierungen häufig "Konzeptlosigkeit" bezüglich Afghanistan vor und kritisierten zum Teil eine fehlende "Abzugsperspektive", sprachen sich aber auch gegen einen sofortigen oder schnellstmöglichen Truppenabzug, wie ihn die Fraktion Die Linke gefordert hatte, aus.