Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Rede ist bedroht

Bild: H. Pellikka / CC BY 2.5

Kritik an der Entschließung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) "Kein Platz für Antisemitismus"

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An den
Präsidenten der
Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
Herrn Prof. Dr. Peter-André Alt
Freie Universität Berlin

Hamburg, d. 30. November 2019

Sehr geehrter Herr Kollege Alt,

ich habe mit äußerstem Befremden von der jüngsten Entschließung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) "Kein Platz für Antisemitismus" auf der Mitgliederversammlung vom 19. November 2019 Kenntnis bekommen. Ich halte sie aus mehreren Gründen für falsch und möchte Ihnen das gerne darlegen, da es sich um eine in unserer Gesellschaft so sensible und wichtige Angelegenheit handelt. Ich habe das schon an anderer Stelle getan, als sich die Bundesregierung ebenfalls zu dieser Definition bekannte.

Natürlich stimme ich der Erklärung vollkommen zu, dass wir insbesondere in den Hochschulen "allen Formen des Antisemitismus entschieden entgegenzutreten" haben, genauso wie jedem anderen Rassismus und der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit. Ich glaube nur nicht, dass die HRK mit dieser Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und Ihrer Erklärung auf dem richtigen Weg ist.

Sie meinen, die Definition sei "eine klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass" und sei "ein wichtiges Werkzeug zu seiner Bekämpfung". Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall. Der erste Satz ist überhaupt nicht klar: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann." Kann? Die "Wahrnehmung" muss sich also gar nicht als "Hass gegenüber Juden" ausdrücken. Antisemitismus ist also einfach "ein bestimmte Wahrnehmung", gleichgültig, ob sich in ihr Hass gegenüber Juden ausdrückt oder nicht. Doch welche "bestimmte Wahrnehmung" ist es dann?

Auch der zweite Satz der Definition gibt darüber keinen Aufschluss: "Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." Statt Schulen, Justiz und Polizei nun darüber aufzuklären, was Antisemitismus wirklich ist, ist sie vollkommen nichtssagend und gibt ihnen weitere Rätsel auf. Denn Antisemitismus kann sich auch "gegen nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum" wenden. Wie das? Damit kann man auch der verklemmten "Logik" der "Anti-Deutschen" folgen, die die Kritik am Finanzkapitalismus als antisemitisch einstufen, da der Jude historisch immer mit dem Finanzsystem identifiziert werde. Diese "Definition" ist alles andere als eine "klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass".

Ihre Erklärung bezieht sich sodann auf einen Satz, der in der Definition der IHRA nur als Erläuterung gedacht war und erst durch das Auswärtige Amt zum Bestandteil der Definition gemacht wurde, dass "auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein kann". Die Identifizierung des Staates Israel mit dem Judentum leugnet nicht nur die Realität, dass über 20 % des Staates nichtjüdisch sind, sondern auch die Tatsache, dass die "Angriffe", d.h. die Kritik, gar nicht dem Staat, sondern seiner Regierung gelten.

Der Satz des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, mit dem er den Beschluss der Bundesregierung begrüßte: "Antisemitismus im Gewand vermeintlicher Israelkritik gilt es ebenso zu bekämpfen wie die alten Vorurteile gegenüber Juden", zeigt deutlich, worum es geht: um die Illegalisierung der Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und ihre Tabuisierung in öffentlichen Auftritten und Veranstaltungen. Wer nur irgendwie die aktuellen Auseinandersetzungen um den Vorwurf des Antisemitismus mit offenen Augen verfolgt, weiß um die immer dreisteren Versuche, private oder öffentliche Institutionen zur Kündigung ihrer Säle für derartige Veranstaltungen zu bewegen. In wiederholten Malen musste das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Rede vor Gericht eingeklagt werden.

Mich wundert, sehr geehrter Herr Kollege Alt, dass sich ein Gremium, welches sich selbst der Wissenschaft, der Weltoffenheit und demokratischen Kultur, also doch auch der Kritik, verpflichtet fühlt, so umstandslos auf die schiefe Ebene der Politik hat ziehen lassen. Es kann nicht angehen, dass so wichtige Ziele wie die Sicherheit jüdischen Lebens und Forschens an den Hochschulen und die Bekämpfung des Antisemitismus mit derart wissenschaftlich unseriösen Formeln erfolgen soll. Ich halte deshalb auch die Absicht der HRK, diese Antisemitismusdefinition "an allen Hochschulstandorten" zu "etablieren" für falsch. Abgesehen davon, dass die HRK dies wohl auch rechtlich nicht kann, halte ich selbst eine Empfehlung für ein höchst bedenkliches Mittel der Politisierung der Hochschulen. So wichtig die "Forschung zu Antisemitismus, seiner Genese und seiner Wirkungsweise" sowie "entsprechende Angebote in Studium und Lehre", die die HRK zu Recht fordert, auch sind, mit dieser Definition muten sie den Hochschulen eine vollkommen untaugliche Grundlage für ihre Aufgaben zu.

Als Hochschullehrer des öffentlichen Rechts ist Antisemitismusforschung nicht mein Feld, aber sehr wohl sind es Fragen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie der Seriosität und Verantwortung von Wissenschaft generell. Ich sehe sie aktuell für äußerst gefährdet. Deshalb schreibe ich Ihnen. Gerade die jetzt von der HRK adaptierte Antisemitismusdefinition spielt bei den immer unerträglicher werdenden Verboten und Weigerungen, öffentliche, auch universitäre, Räume für kritische Veranstaltungen zum Palästinakonflikt bereit zu stellen, eine vorgeschobene Rolle.

Die Erklärung der HRK hat bereits eine breite Öffentlichkeit erreicht. Auch ich werde diesen Brief veröffentlichen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir eine Erwiderung auf meine Kritik senden würden.

Mit freundlichen Grüßen

Norman Paech

Mit "Sprachregelung für unsere Unis - Einspruch" auf Telepolis hat der Analytische Philosoph Georg Meggle zuerst auf eine Grenzüberschreitung in der HRK-Entschließung "Kein Platz für Antisemitismus" vom 19.11.2019 aufmerksam gemacht. Diesem EINSPRUCH haben sich bereits weitere Universitätsprofessoren angeschlossen. Weitere Einsprüche werden mit Sicherheit folgen.