HDP: Beim Anschlag in Izmir sollten rund 40 Menschen sterben

"Deniz Poyraz ist unsterblich": Trauerdemonstration nach dem Anschlag in Izmir. Foto: ANF

Eine Vorstandssitzung der türkisch-kurdischen Linkspartei wurde kurz vor dem Angriff abgesagt. Motiv des Täters war Hass auf vermeintliche PKK-Mitglieder

Nach dem bewaffneten Angriff auf das HDP-Büro in Izmir, bei dem am Donnerstag die 38-jährige Deniz Poyraz getötet wurde, hat der Vorsitzende der türkisch-kurdischen Linkspartei betont, dass zu diesem Zeitpunkt eigentlich eine Vorstandssitzung mit 40 Personen stattfinden sollte, die kurzfristig abgesagt worden sei. "Es sollte ein Massaker stattfinden", erklärte HDP-Chef Mithat Sancar laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF. Das habe auch eine anschließende Tatortbegehung von HDP-Mitgliedern gezeigt. Es seien nicht nur ein bis zwei gezielte Schüsse abgegeben worden, die Schäden in den Räumlichkeiten deuteten auf einen Dauerbeschuss hin, mit dem alle Anwesenden getötet werden sollten.

Die HDP-Aktivistin sei von insgesamt sechs Kugeln aus der Waffe eines türkischen Faschisten getroffen worden, hieß es am Freitag. Das gehe aus dem Tatortbefundbericht der Polizei hervor, den die Nachrichtenagentur Mezopotamya habe einsehen können. Demnach hatte der 27 Jahre alte Onur Gencer eine verschlossene Tür durch Schüsse geöffnet und anschließend mehrere Büroräume verwüstet. Alle Fensterscheiben seien zerbrochen. Einen weiteren Schuss habe er auf ein Bild der inhaftierten kurdischen Politikerin Sebahat Tuncel abgegeben - ein Indiz für starken Frust über die Abwesenheit weiterer möglicher Opfer.

Die HDP hatte schon in der ersten kurzen Stellungnahme via Twitter am Donnerstag betont, dass ihr Parteibüro in Izmir rund um die Uhr von der Polizei überwacht worden sei.

Aus der polizeilichen Vernehmung des Täters zitierte am Donnerstag das türkische Format der Deutschen Welle, er habe "schon seit seiner Kindheit geplant, PKK-Mitglieder zu töten". Die Demokratische Partei der Völker (HDP) ist zwar eine andere Partei im Gegensatz zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bisher auch in der Türkei nicht verboten - im überwiegend von Kurdinnen und Kurden bewohnten Südosten des Landes erzielt die HDP sogar Mehrheiten bei Wahlen. Allerdings werfen ihr die islamisch-konservative Regierungspartei AKP und Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie die türkischen Strafverfolgungsbehörden und regierungsnahe Medien immer wieder "Terrorpropaganda" für den bewaffneten Befreiungskampf der PKK vor. Zahlreiche HDP-Mitglieder - auch solche, die zuvor in Parlamente gewählt wurden - sind deshalb bereits inhaftiert.

Foto der Ermordeten bei WhatsApp geteilt

Während gegen die HDP ein Verbotsverfahren läuft, erhebt sie Vorwürfe von staatlicher Hetze bis hin zum Auftragsmord: "Diejenigen, die auf juristischem und politischem Weg nicht mit uns fertig werden, haben jetzt bewaffnete Mörder zum Einsatz gebracht", erklärte Sancar am Donnerstag. Die türkische Regierung brauche das Chaos und wolle es mit solchen Taten provozieren.

Die bisher bekannten Passagen der Vernehmungsprotokolle geben das natürlich nicht her - was weder Beweis noch Gegenbeweis ist. Gencer soll den Anschlag über Monate hinweg geplant und sich für einen Englischkurs in einer Sprachschule über der HDP-Zentrale eingeschrieben haben, um das insgesamt achtstöckige Gebäude besser auskundschaften zu können. Mehrmals sei er auf Erkundungstour gewesen, im Mai habe er dann bei der Bezirkspolizeidirektion einen Waffenschein beantragt und diesen auch bekommen. Die Tatwaffe soll er sich für umgerechnet etwa 340 Euro besorgt haben. "Mein Ziel war es, mehrere Personen vorzufinden", wird aus der Vernehmung zitiert. In sozialen Netzwerken soll sich Gencer Sympathien für dschihadistische Verbündete der türkischen Armee in Syrien gezeigt haben.

Offenbar gelang es ihm auch noch, ein Foto der erschossenen Deniz Poyraz als Statusmeldung im Instant-Messaging-Dienst WhatsApp zu teilen. Das Bild wurde dem türkischen Sender Tele 1 zugespielt. Darunter war „Kadaver Nummer 1” zu lesen.

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