Haben Plagiatsvorwürfe die Rettung der Welt verhindert?
Warum die "Jäger" am Scheitern des deutschen "Klima-Wahlkampfs" unschuldig sind. Kommentar
Der deutsche Bundestagswahlkampf 2021 hätte eine richtungsentscheidende Klimawahl werden sollen. Es hätte um nicht mehr oder weniger als um die Rettung der Welt gehen sollen. Aber Deutschland hat sich mit Kleinigkeiten wie Laschets Lacher oder Baerbocks Plagiaten aufgehalten. - Stimmt dieses Narrativ?
Bleiben wir fürs Erste bei dieser Erzählung: Wer würde die Schuld tragen? Die Journalist:innen der Massenmedien, die den Nachrichtenfaktoren falsche Nachrichtenwerte zuordneten (um in der Fachterminologie zu sprechen?) Oder die Nicht-Journalist:innen, also all die Blogger, Influencer im Netz und Social Media-"Aktivist:innen", die ja angeblich den ganzen Tag lang nichts anderes tun als im Dreck wühlen, hetzen, jagen, aufbauschen?
Wer ist es, der für diese unsympathischen Schlammschlachten in der Politik sorgt, für diesen Zustand des Dauer-Alarmismus, der permanenten Erregung, vor der der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen immer wortgewaltig warnt - wie erst vor wenigen Tagen wieder in der Zeit?
Pörksen bedient mit seiner Antwort ein Narrativ, das besonders bei den traditionellen Massenmedien gut ankommt und deren Geschäftsmodell dienlich ist: hier die Aufgeregtheit im Netz, da die Abgeklärtheit der Professionellen.
Investigatives Versagen der Massenmedien
Aber dieses Narrativ von Pörksen & Co ist Unsinn, mitsamt seinen Forschungsfragen. Das wahre Thema ist doch der Kompetenzverlust der Massenmedien und der Vertrauensverlust in sie. Was soll man davon halten, dass weder die Öffentlich-Rechtlichen noch Magazine wie Spiegel oder Stern auch nur irgendeine Angabe von Annalena Baerbock auf ihre Richtigkeit überprüft haben?
Als der Spiegel im Frühjahr 2021 "Die Frau für alle Fälle" titelte, war der gefälschte Lebenslauf bereits online, und die derzeit nachgewiesenen zusätzlichen 61 Plagiatsfragmente in den Reden und älteren Online-Texten Baerbocks wären auch schon zum weit überwiegenden Teil dokumentierbar gewesen.
Werden Falschangaben im Lebenslauf und jahrelang praktizierter Diebstahl geistigen Eigentums nun von genau von jenen Medien zu Harmlosigkeiten, zu Nebensächlichkeiten degradiert, die vorher Annalena Baerbock hochgeschrieben haben? Ein Thema für die empirische Medienforschung.
Es ist erstaunlich, dass sich der Spiegel als "Deutschlands bedeutendstes Nachrichtenmagazin" bezeichnet, das "für einen unabhängigen und investigativen Journalismus" steht. - In Wahrheit hat der Spiegel bei Frau Baerbock investigativ komplett versagt, oder wahrscheinlicher: Die Redaktion wollte gar nie genau hinsehen. Denn - ebenso in Wahrheit - hat man eine tiefgrüne Agenda im Kopf.
Pro Baerbock und contra Laschet: Der Kurs des Spiegel in jeder Titelstory ist seit Wochen so eindeutig, dass man sich nur noch fragen kann: Wann und warum ist dieses Blatt ein rein parteipolitisches Medium geworden? Warum bezahlen Leser:innen eigentlich für diese Werbung?
Wenn Kritiker von Verschwörungstheorien verbreiten
Noch ein Aspekt wurde in diesem Wahlkampf schlagend: Kritiker von Verschwörungstheorien verbreiten gerne Verschwörungstheorien. Eine solche Theorie ist der Angriff auf "unsere Wahlen", wie der Stern vergangene Woche titelte (der offenbar im Ausland nicht gelesen wird oder werden soll). - Haben Sie etwas von russischen Cyberangriffen auf "unsere Wahlen" bemerkt? Habe ich etwas versäumt? Kann es ideologische Gründe geben, warum genau solche Stories konstruiert und lanciert werden?
Eine zweite Verschwörungstheorie neben dem russischen Cyberangriff ist die Rechtsaußen-Connection, die ebenfalls nach Russland (sic!) führen könnte. Das Online-Medium correctiv.org erstaunte vor wenigen Tagen mit einer bizarren Verschwörungstheorie, wonach vier oberösterreichische Klein(st)medien bewusst die Baerbock-Kampagne lancierten, mutmaßlich finanziert aus Russland. Nun, es wundert einen schon, dass die Redaktion selbst an solche an den Haaren herbeigezogenen Konstruktionen glaubt.
Wer hier noch zwischen Information und Desinformation, zwischen Wahrheit und Propaganda unterscheiden kann, der wähnt sich glücklich. Ich kann es, da ich weiß, dass ich die Recherchen zu Annalena Baerbock aus reinem Interesse am Plagiarismus und an der Aufdeckung von akademischer Hochstapelei durchgeführt habe. Und das ohne Auftrag und unbezahlt, wie schon bei Ex-Ministerin Christine Aschbacher in Österreich.
Den Klimawahlkampf haben die Parteien und Massenmedien selbst vermasselt
Zurück zum Anfang, zurück zum Ausgangsnarrativ: Petitessen hätten den Klimawahlkampf überschattet. Wir hätten vergessen, über die Rettung der Welt zu reden. Nun: Wissen Sie eigentlich, für wann genau die CDU, für wann genau die SPD und für wann genau die Grünen in Deutschland den Kohleausstieg planen?
Und für wann genau den Ausstieg aus der Neuproduktion von Verbrennungsmotoren? Wissen Sie, wie genau diese drei Parteien den CO2-Ausstoß vermindern wollen? Was unterscheidet eigentlich die drei Parteien im Kern wie im Detail?
Ich hätte zu all dem gerne eine Synopse gelesen, um mir eine Meinung zu bilden, wenn ich in Deutschland wahlberechtigt gewesen wäre. Und zur Meinungsbildung unabdingbar: Fundierte, nicht-angreifbare Studien; Prognosen, die in der Wissenschaft weitgehend konsensuell sind. Aber wie kann ich in der richtungsweisenden Klimawahl überhaupt eine Entscheidung treffen, wenn ich all diese Informationen nicht bekomme?
Nicht Laschets Lacher oder Baerbocks Plagiate haben von den Sachthemen abgelenkt. Es waren die Parteien und viele bundesdeutschen Massenmedien selbst, die das Thema Klima nicht richtig kommunizierten. Und übrigens: Lebenslauf-Lügen und Plagiate sind Sachthemen.
Doz. Dr. Stefan Weber, Medienwissenschaftler aus Salzburg, deckte die Plagiate im Buch "Jetzt" von Annalena Baerbock auf.