Haben die Klimademonstrationen etwas erreicht?
Der große Druck auf die Gesetzgebung gelang nicht, allerdings scheint doch ein Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit erfolgt zu sein - Ein Kommentar
Wieder waren die Klima-Demonstrationen mit Rekordzahlen besucht, so auch in München und Berlin. Diese Demonstrationen laufen nun seit nahezu einem Jahr, Grund genug für Nachdenklichkeit. Was hat sich geändert, was wurde erreicht? Oder wurde nichts erreicht?
Denn der große Druck auf die Gesetzgebung gelang nicht, zumindest nicht in Deutschland. Allerdings scheint doch ein Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit erfolgt zu sein. Man versteht die Sorgen der Jugend, Klimaleugner werden belächelt, die Veränderung der Wetterabläufe und die Bedrohungen durch den Klimawandel werden verstärkt diskutiert und manch einer beginnt klimabewusster zu leben, zu reisen und einzukaufen, manchmal angestoßen durch den Nachwuchs in der Familie.
Auch das Parteiengefüge hat sich geändert, auch wenn das in seinen Grundzügen im Frühjahr des Jahres entstandene Gesetzentwurf der schwarz-roten Bundesregierung das noch nicht berücksichtigt. Der Widerstand aus dem deutlich grüneren Bundesrat wird nun erkennbar härter, mit Rückenwind durch Wahlerfolge bei Landtagswahlen und durch die Proteste. Und am ersten Tag des Regierungsbeginns in Brüssel meldet sich nun das europäische Parlament!
Europäisch ist besser als national
Der Beschluss des Europaparlaments, nun den Klima-Notstand auszurufen, ist mehr als Symbolpolitik. Dahinter steht die klare Aussage, dass jeder Gesetzentwurf der EU-Kommission auf seine Klimawirkungen hin hinterfragt werden wird und strengere Gesetzesvorschläge von der EU-Kommission erwartet werden. Dieser Beschluss hat in seiner Wirkung durchaus Ähnlichkeit mit einer Aufnahme des Klimaschutzes in das Grundgesetz.
Das Parlament dürfte auf einer Linie liegen mit der neuen EU-Kommissarin von der Leyen. Denn vor einigen Wochen beschrieb sie bei einem ihrer ersten Vorträge als EU-Kommissarin in München ihre Haltung zum Klimawandel mit dem Hinweis auf ihren Beruf als Ärztin. Ein Meteorologe hatte ihr als Vergleich zur Erderwärmung die Fieberschübe des menschlichen Körpers angeboten.
Ein Grad Temperaturerhöhung ist schon bedenkliches Fieber, harte Arbeit für unsere Abwehrkräfte. Aber bei einer Erhöhung um drei Grad, also bei 40° Fieber wird es kritisch und bei noch ein oder zwei Grad mehr ist es tödlich. Sie hat sich mit diesem Vergleich unübersehbar zum Verständnis der Gefahren des Klimawandels bekannt. Mit Blick auf den globalen Handel hält sie sogar die von der Wirtschaft gefürchtete Carbon Border Tax, also Strafzölle für Importe aus beim Klimaschutz untätigen Ländern, für denkbar. Das ist nun ein neuer Tenor. Denn natürlich ist europaweites Handeln zehnmal wirkungsvoller als jeder nationale Ansatz.
Die Unionsparteien driften auseinander
Zum Vortrag eingeladen hatte sie der Wirtschaftsbeirat der Union, eine der CSU nahestehende Mittelstandsvereinigung. Ihre Worte vor diesem Auditorium waren umso bemerkenswerter, als dort bis vor kurzem noch die Klima-Skepsis den Ton angab.
Dass sich die bayerische CSU zum Vorteil des Klimaschutzes gewandelt hat, ist hier in Bayern bekannt. Bei dem in den deutschen Medien oft aber pauschalen Blick auf die "Union" wird dieser aktuell deutliche Unterschied der Schwesterparteien gerne übersehen. Die CSU gibt zwischenzeitlich den zum Klimawandel relevanten Themen starke Beachtung und hat entsprechend auch keine Erosion an Mitgliedern und Wählerakzeptanz, ganz im Unterschied zur CDU. Das wird besonders interessant im Bundesrat, in dem jetzt eine Reihe von Einzelthemen des Klimaschutzgesetzes in den Vermittlungsausschuss gehen.
Marktwirtschaft statt Planwirtschaft
Dabei wird voraussichtlich der CO2-Preis nach oben korrigiert, eine Maßnahme, die allzu große Debatten über den Ausstiegszeitpunkt der Braunkohleförderung obsolet machen könnten. Denn mit steigendem CO2-Preis wird Braunkohle rasch unwirtschaftlich. Und bekanntlich ist ein steuerungswirksamer Preis für klimaschädigende Emissionen überfällig. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung, eine faire Marktwirtschaft gibt solchen Schädigungen einen Preis.
Generell ist zu hoffen, dass die Gesetzgeber wieder mehr auf marktwirtschaftliche Möglichkeiten achten. Denn die Erneuerbaren Energien sind inzwischen konkurrenzfähig, insbesondere wenn man auch nur einen bescheidenen CO2-Preis von einigen zehn Euro ansetzt statt der durch die Klimaschäden begründbaren Wert von ca. 180 € je Tonne CO2. Wichtig bleibt dann nur, dass die Erneuerbaren Energien grundsätzlich Vorrang gegenüber fossilen Energien erhalten, was einen garantierten Mindestpreis voraussetzt, der sich an den Preisen für fossile Energien orientieren kann.
Die planwirtschaftliche Tendenz des aktuellen EEG mit technologiespezifischen Preisfestsetzungen, Eigennutzungsabgaben und Deckelungen könnte durch eine Novelle abgelöst werden, die alle Kneblungen der Erneuerbaren Energien beseitigt und so erlaubt, deren heutige Konkurrenzfähigkeit auszuspielen. Diese Konkurrenzfähigkeit zeigt die Erneuerbaren Energien als realistische Alternative und ist einer der Motoren für den großen Zulauf der Klimademonstrationen.
Schulschwänzen verliert die Priorität
Schon bei meiner Teilnahme an der Demonstration im September fiel mir auf, dass dies kein "Schülerstreik" mehr ist. Die Teilnehmer umfassen alle Altersgruppen, mit einem hohen Anteil älterer Menschen, Eltern, Großeltern und auch Angestellten, die sich freinehmen. Zahlreiche Organisationen und auch Verdi und IG Metall schwenken ihre Fahnen und machen klar, dass es um ein gesamtgesellschaftliches Anliegen geht.
Denkt man nochmals zurück an die Bilder der zurückliegenden Demonstrationen und deren Altersaufbau, dann stellt sich die Frage, ob der "bürgerliche Ungehorsam" des Schulschwänzens ab freitags 12 Uhr noch notwendig ist oder ob diese Demonstrationen nun besser auf die Nachmittagsstunden verlegt werden. Es wäre naturgemäß auch für Berufstätige viel geeigneter - und natürlich auch für die Schüler, die ihre Schulpflicht normal erfüllen können und zudem manchem Vorwurf begegnen würden, Schulschwänzen sei halt schön.
Manche Städte, so Erlangen, begannen gestern erst um 13:30 Uhr, mit Erfolg, mit über 3000 Teilnehmern deutlich mehr als bisher. Vielleicht wäre eine solche zeitliche Änderung auch in Gesprächen mit den Ministerien ein Hebel, um Amnestie für die an vielen Schulen laufenden Disziplinarverfahren zu erreichen und eine stärkere Verankerung von Klima- und Umweltschutz im Unterrichtsplan.
Im Fazit ist es eindeutig, dass die Idee des Schulstreiks die Initialzündung war für eine völlig neue Demonstrationsbewegung, die die politische Landschaft bereits erheblich verändert hat und noch weiter verändern wird. Die Begeisterung mutiger Schüler hat hunderttausende aller Altersgruppen mobilisiert und eine neue Bewusstseinslage erreicht.
Die dazu notwendigen Konsequenzen für die Gesetzgebung werden nun hoffentlich von Europa ausgehen, das nicht ganz so ängstlich vor den nächsten Wahlterminen sein muss wie die Bundesregierung - wobei schon überrascht, dass diese Ängstlichkeit auch in der Schwäche der Kanzlerin unübersehbar ist, obwohl sie ja gar nicht mehr antreten will. Das wäre doch die beste Voraussetzung für mehr Mut, und da der fehlt, wird eine starke Beteiligung auch an zukünftigen Demonstrationen in Deutschland sehr wichtig bleiben.
Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokratie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.
Von Peter Grassmann ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Zähmt die Wirtschaft! Ohne bürgerliche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen".