Häusliche Pflege nur mit Ausbeutung?

Seite 2: Arbeitsvermittlung im Graubereich der Legalität

Diese Arbeitskräfte werden von den einschlägigen Agenturen mehr oder weniger im oder jenseits des Graubereichs der Legalität vermittelt zu Löhnen weit unterhalb selbst des deutschen Mindestlohns und zu faktischen Einsatzzeiten jenseits jeder Arbeitszeitordnung.

Die Notlage der zahlenden Kundschaft und der hilfreichen Damen, gelegentlich auch Herren aus dem Osten sowie der Geschäftssinn der Vermittler mobilisiert dabei auf allen Seiten die nötige Bereitschaft, darauf zu spekulieren, dass die Sache nicht vor den Kadi kommt.

Und das tut sie in der Regel auch nicht. Denn dieses Massengeschäft im Billiglohnsektor - erst zu Beginn der Corona-Krise, als Quarantäneregeln den üblichen Schichtwechsel der Pflegekräfte aus den Ostländern behinderten, wurde man mit den Ausmaßen vertraut gemacht - wird von den jeweils zuständigen staatlichen Instanzen normalerweise stillschweigend geduldet; funktionelle Beiträge dieses Marktes zur Abwicklung des "Pflegeproblems" sind schließlich politisch erwünscht.

Und dann das! Mit einem Urteil, das sich - ohne Rücksicht auf funktionelle sozialstaatliche Erwägungen - stur an die geltende Rechtslage hält, erkennt das Arbeitsgericht ein durch den deutschen Einsatzort gegebenes, gleiches Recht auf Bezahlung der geleisteten Arbeits- und Bereitschaftszeit an.

Prompt lassen die öffentlichen Beobachter das Publikum wissen, dass das Urteil in deutschen Haushalten einen "Tsunami" (Focus, 24.6.21) auslösen werde, weil es eine häusliche Pflege tendenziell unbezahlbar mache:

"Würde das Urteil umgesetzt, würden sich die Löhne vervielfachen, was sich kaum jemand leisten könnte." Für eine Rundum-Betreuung müsste man nämlich "mindestens drei Betreuerinnen anstellen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Das dürfte zwischen 12.000 und 15.000 Euro im Monat kosten." (FAZ, 9.8.21)

FAZ gegen erträglichen Arbeitseinsatz für Pflegende

Für die FAZ selbstverständlich eine Absurdität! Sie gibt so auf ihre Art zu Protokoll, dass die unabdingbare Entlastung der pflegenden Familien, die sich bekanntlich auch noch anderweitig nützlich machen sollen, schlicht unvereinbar ist mit einem auch nur halbwegs auskömmlichen und erträglichen Arbeitseinsatz des pflegenden Personals.

Dass also nach den maßgeblichen Interessen von Staat und Kapital an der Sphäre im Prinzip alles so bleiben muss, wie es ist.

Und die FAZ weiß auch Rat. Sie weiß erstens, dass ein Rechtsspruch und dessen Umsetzung zweierlei sind - dass es nämlich "fraglich ist, ob sich die Betreuungskräfte trauen, die Forderungen gegenüber ihren ausländischen Vermittlungsagenturen durchzusetzen" und dass sich das Urteil mit der vermehrten Anwendung der Rechtsform eines "freien Gewerbetreibenden" oder "arbeitnehmerähnlichen Selbständigen" umgehen lässt.

Und sie weiß zweitens, dass grundsätzlich der Bedarf besteht, das Unvereinbare vereinbar zu machen:

Seit Jahren verschließen die zuständigen Minister Jens Spahn und Hubertus Heil die Augen vor den unübersehbaren Missständen in der häuslichen Pflege, dabei hat ein höchstrichterliches Urteil jüngst auch dem letzten Realitätsverweigerer aufgezeigt, dass Pflegekräfte dort systematisch unterbezahlt werden. Dieses Problem muss gelöst werden, ohne die häusliche Pflege unbezahlbar zu machen. Es braucht einen rechtssicheren Mittelweg, der dem deutschen Arbeitsrecht, den Bedürfnissen osteuropäischer Betreuerinnen und den finanziellen Möglichkeiten der Familien gerecht wird.

FAZ, 9.8.21

Was also ist zu tun? Die Politik muss einfach endlich handeln und die Lösung finden, die alle Seiten gut bedient!

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt. Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus der nächsten Ausgabe, die am 17.9. erscheint.