Häusliche Pflege nur mit Ausbeutung?
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Nachrichten aus dem bundesdeutschen Kapitalismus (Teil 3 und Schluss)
Manchmal kommt den sozial Schwachen ein Gericht zu Hilfe. Das höchste deutsche Arbeitsgericht schreitet gegen den "systematischen Gesetzesbruch" (ver.di) in der geschäftlichen Sphäre der häuslichen Pflege ein und gibt einer bulgarischen Pflegekraft Recht, die mit Unterstützung der Gewerkschaft auf Nachzahlung stattlicher Lohnbeträge klagt
Für ihre Rund-um-die-Uhr-Betreuung einer alten Dame hat sie nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts nachträglich einen Anspruch auf die Bezahlung sämtlicher, auch der Bereitschaftsstunden, und zwar in der Höhe des deutschen Mindeststundenlohns.
Und was vermelden dazu die öffentlichen Beobachter? Damit wird ein sozialstaatliches Modell infrage gestellt, bei dem alle Beteiligten nur gewinnen:
Für Hunderttausende deutsche Familien ist eine osteuropäische Pflegekraft, die Senioren für kleines Geld in den eigenen vier Wänden versorgt, die Rettung: Oma und Opa müssen nicht ins Heim, die Pflegekraft verdient mehr als in der Heimat und der Staat hat ein Problem weniger.
FAZ, 25.6.21
Ein Zynismus, der freilich nur bedingt auf das Konto der FAZ geht, der nämlich die sozialstaatlich geregelte Sache betrifft, um die es da geht:
Für die Abwicklung der hilfsbedürftigen Endphase eines bürgerlichen Lebens macht der Staat grundsätzlich die Familie haftbar und gewährt ihr dabei eine wohldosierte Unterstützung aus der Pflegekasse, die über Zwangsbeiträge aus dem Einkommen der Erwerbstätigen gefüllt wird.
Der allgemeine öffentliche Haushalt ist zur Finanzierung der Altlasten der Benutzung des Volkes nicht da, so die erste Prämisse.
Die Zweite lautet, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung mit dem Bedarf auf gar keinen Fall einfach wachsen dürfen; das ist der Arbeitgeberschaft nämlich nicht zuzumuten, bei der Löhne schließlich als Kosten anfallen.
Die Unterstützung der Familien aus der Pflegekasse ist unter diesen beiden Maßgaben eng bemessen, jedenfalls von vornherein nicht darauf berechnet, eine ‚Fremdvergabe‘ des Problems durch Heimunterbringung zu finanzieren. Sie mindert für die Betroffenen nur die Kosten, die anfallen.
Pflege durch Angehörige
Diese verbleibenden heftigen "Eigenleistungen" beleben - neben den Zuständen in den kostenbewusst geführten Pflegeeinrichtungen - die Bereitschaft der Angehörigen zur "häuslichen Pflege".
Für die kann wiederum ein ambulanter Pflegedienst genutzt werden, dann geht der Zuschuss der Pflegekasse für eine durchaus überschaubare "Sachleistung" drauf und der größere Rest der Pflege bleibt unentgeltlich am privaten Umfeld hängen.
Oder aber pflegende Angehörige erledigen alles selbst und können dafür aus der Pflegekasse ein wahrlich reichlich bemessenes Pflegegeld beziehen: Beim höchsten Pflegegrad 5, der komplette Hilflosigkeit voraussetzt, gibt es für die Arbeit der pflegenden Angehörigen stolze 901Euro Bezahlung!
Diese privat zu leistende Pflege wächst sich allerdings auch bei niedrigeren Pflegegraden schnell zu einem Programm aus, das eine Erwerbstätigkeit mehr oder weniger ausschließt, es sei denn, die Betroffenen können sich eine private "Hilfestruktur" beschaffen, die den Pflegeaufwand für sie in Grenzen hält.
Womit sie beisammen wären, die sozialstaatlichen Rahmendaten für einen ganz speziellen Arbeitsmarkt für Pflegekräfte, auf dem sich drei Akteure tummeln:
Erstens die Familien, die sich und/oder ihren hilfsbedürftigen Angehörigen ein Pflegeheim ersparen möchten und auf helfende Hände angewiesen sind, weil ihr Arbeitsleben sie umfassend in Anspruch nimmt - die meisten gehören ja selbst zu den abhängig Beschäftigten, und deren Einkommen gibt die Nutzung von Dienstpersonal überhaupt nicht her.
Für diese Nachfrage nach Betreuungspersonal der billigen Art organisieren zweitens Vermittlungsagenturen ein Angebot für eine häusliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Deren Geschäftsmodell ist einerseits zugeschnitten auf die Notlage sowie die geringe Zahlungskraft ihrer Kundschaft.
Es lebt andererseits von der Notlage einer dritten Partei, der Arbeitsuchenden hauptsächlich aus Osteuropa eben, für die dank der marktwirtschaftlichen Befreiung ihrer Heimat zum Hinterland der EU jede Art von Billiglohn-Arbeit ein Angebot darstellt, das sie nicht ablehnen können.