Handelskriege und militärische Eskalation: Die Summe des Vermeidbaren

Seite 2: Heldentod als "größte Ehre"

In Japan entwickelt sich unterdessen ein ins Maßlose übersteigerter Nationalismus, Armee und Marine fühlen sich so gut wie unbesiegbar. Das Erziehungssystem bereitet die männliche Jugend auf die vorgeblich erstrebenswerteste Lebenserfüllung in der Armee vor, als größte Ehre gilt der Heldentod für den Kaiser.

Fast parallel dazu wird nach Hitlers Machtübernahme 1933 die Militarisierung in Deutschland mit ganz ähnlichen Opfertodmythen vorangetrieben. Japan war schon länger an deutscher Technik interessiert, besonders der militärischen. Eine engere Zusammenarbeit entstand aber erst mit dem Dreimächtepakt vom September 1940, von den Vertragspartnern auch als Achse Berlin-Rom-Tokio bezeichnet.

Dem nach den britischen Opiumkriegen im 19. Jahrhundert und durch die folgenden ungleichen Verträge gedemütigten und durch innenpolitisches Chaos geschwächten China gelingt es immerhin und über den Völkerbund hinaus, eine Koalition gegen Japan zu schmieden.

1939 kündigen die USA den Handelsvertrag mit Japan von 1911 auf, 1940 stellen die USA, Großbritannien, Australien, die Niederlande und andere die Lieferung von strategischen Rohmaterialien wie Öl, Eisenerz und Stahl an Japan ein. Japanische Guthaben in den USA werden eingefroren.

Der spätere amerikanische Außenminister Dean Acheson, entscheidend an dieser Politik beteiligt, nennt diese Maßnahmen, die Japan tatsächlich in die Enge treiben, "full-blooded financial warfare against Japan". Die Kriegsrhetorik umfasst nun eindeutig den internationalen Handel, wenn auch in der guten Absicht, die japanische Expansion und weitere Kriege zu vermeiden. Tatsächlich geht die politische Rechnung allerdings nicht auf.

Kaiser Hirohito will zunächst keinen Krieg, muss aber in der innenpolitischen Krise im Herbst 1941 und nach dem Zusammenbruch diplomatischer Rettungsversuche den General Hideki Tojo zum Premierminister ernennen, einen dezidierten militärischen Hardliner. Die USA bestehen unerbittlich auf Rückzug, der für Japan, das inzwischen auch tief nach Südostasien vorgedrungen ist, nicht in Frage kommt.

Japan empfindet die Forderungen der USA als Ultimatum, Kaiser Hirohito ist mit einem Präventivschlag einverstanden, und am Morgen des 7. Dezember 1941 versenkt die japanische Marine-Luftwaffe die pazifische Flotte der USA in Pearl Harbour.

Die Wirksamkeit von Handelssanktionen wird bis heute unterschiedlich beurteilt, unterlaufen werden sie offenbar regelmäßig. Der Washingtoner Think Tank Cato Institute hält übrigens Wirtschaftssanktionen für das beliebteste und gleichzeitig unwirksamste außenpolitische Instrument der USA und fordert eine radikale Reform.

Japan wurde im Weltkrieg durch das Ölembargo zwar geschwächt, konnte aber aus indonesischen Lagerstätten und synthetischem Öl etwa 80 Prozent der Vorkriegsproduktion aufrechterhalten, was den Krieg nicht spürbar verkürzt hat. Und ungeplante militärische Zwischenfälle sind natürlich jederzeit möglich, wenn die Spannungen und gegenseitigen Verdächtigungen ein ausreichend gefährliches Niveau erreicht haben.

Warum Putin sich offenbar doppelt verrechnet hat

Geschichte wiederholt sich nicht? Thukydides meinte im Gegenteil, sie sei eine ewige Wiederholung. Aber vielleicht hält sich China eher an seinen klassischen Kriegstheoretiker Sun Tsu: "Der, der weiß, wann er kämpfen sollte und wann nicht, wird siegreich sein".

Russlands Präsident Wladimir Putin hat das nicht gewusst und sich mit der Ukraine-Invasion offenbar doppelt verrechnet. Er und seine Generäle haben die Verteidigungsfähigkeit der Ukrainer unterschätzt, obwohl sie hätten wissen können, dass deren Armee seit der Krim-Annexion massiv von Großbritannien und den USA ausgebildet und aufgerüstet worden war.

Und die massive Waffenhilfe der USA, der Nato und vieler europäischer Länder hat er ebenfalls nicht vorhergesehen, was ihn umso gefährlicher macht, je weiter die russische Armee selbst in die Enge getrieben wird. Einen Rückzug hinter die ukrainischen Grenzen von 1991 und die Rückeroberung des Donbass und der Krim kann sich im Kreml niemand vorstellen. Wahrscheinlich ist deshalb, dass die russischen Angriffe noch heftiger und brutaler und die Waffenarsenale ausgeweitet werden, bis zu taktischen Atomwaffen.