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Handelsstreit mit USA: Die Öko-Heuchelei der europäischen Klimavorreiter

US-Demonstranten fordern Macron bei Demo vor dem Weißen Haus auf, Handelsregeln nicht zur Blockade von Klimaschutz zu nutzen. Bild: Public Citizen

Sie drohen mit Vergeltung und Zollkrieg. Die EU unter Leitung von Scholz und Macron torpediert die amerikanische Energiewende, während Erneuerbaren-Investoren zu Hause vergrault werden. US-Umweltschützer sind fassungslos.

Der Treibhausgas-Ausstoß ist auf einem historischen Rekordstand und droht weiter zu steigen [1], da viele Staaten unablässig in fossile Infrastrukturen investieren [2]. Es bleiben gleichzeitig nur noch wenige Jahre für die Einleitung einer schnellen Kehrtwende Richtung null Emissionen [3], um das Schlimmste (sprich ein Überschreiten der Zwei-Grad-Obergrenze) verhindern.

Währenddessen spielen Klima und Wetter immer mehr verrückt und hinterlassen Spuren der Verwüstungen [4] – dieses Jahr auch in Europa zu beobachten [5]. Und es ist erst der Anfang. Viele sogenannte Kipppunkte im Erdsystem wie das Abschmelzen von Eisschilden oder das Auftauen von Permafrost-Böden könnten nach neueren Untersuchungen sogar früher als erwartet und schon bald erreicht sein [6], was nicht revidierbare Kettenreaktionen und eine unkontrollierbare Erderhitzung auslösen würde.

In dieser Phase bräuchte es entschlossenes Handeln. Vor allem die fossilen Energien müssten in den Industriestaaten in Siebenmeilenschritten ab sofort ersetzt werden durch Erneuerbare. Statt Kohle, Gas und Öl also Wind, Wasser und Sonne.

Bisher ist eine schnelle globale Wende aber leider nicht in Sicht. So verfolgen EU wie USA einen Kurs, bei dem die fossile Verbrennung in den nächsten drei Jahrzehnten nur langsam ausgeschlichen werden soll. Im Ergebnis bedeutet es, dass sich die Erde noch in diesem Jahrhundert auf rund drei Grad Celsius aufheizen wird [7]. Sollten die Staaten ihre offiziellen Klimaziele nicht einhalten, landen wir nicht nur im Drei-Grad-Klimachaos, sondern in der Klimahölle.

Und was macht vor diesem Hintergrund die EU-27 unter Führung Frankreichs und Deutschlands? Sich bei der US-Regierung beschweren, mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO) drohen und Strafmaßnahmen ankündigen [8], sollten die USA Unternehmen mit Sitz in der EU bei der Förderung ihrer inländischen Energiewende benachteiligen.

Anstatt Beifall zu klatschen, dass die USA endlich aktiv werden im Hinblick auf Umstieg auf CO2-freie Energieerzeugung und -nutzung, und ihre eigenen Klimaschutzprogramme im Gegenzug aufzustocken, droht man mit Blockade und Verschleppung. Der EU-Kommissar für Binnenmarkt Thierry Breton prophezeite [9]: "Wir werden natürlich Vergeltungsmaßnahmen in Betracht ziehen". Und Bundeskanzler Olaf Scholz hält einen "riesigen Zollkrieg" für möglich [10].

Das Ganze wird garniert mit jeder Menge Öko-Heuchelei, wenn der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich immer als Klimaschützer und Frankreich als Klimavorreiter präsentiert, nach Washington D.C. reist, um US-Präsident Joe Biden bei der Energiewende Knüppel zwischen die Beine zu werfen [11].

Natürlich wissen Scholz, Macron und EU-Kommission sehr genau, dass der sogenannte Inflation Reduction Act (IRA) gar nicht durch den US-Kongress gekommen wäre, wenn den Gegnern, auch in den Reihen der Demokraten selbst, nicht etwas angeboten worden wäre [12], um die notwendige politische Unterstützung auf diesem Wege zu erhalten. Deswegen steht in dem Gesetz unter anderem, dass insbesondere amerikanische Firmen von den staatlichen Förderprogrammen profitieren sollen.

Es geht auch gar nicht – leider – um riesige Summen bei dem Gesetz. Rund 370 Milliarden US-Dollar [13] sollen über einen Zeitraum von zehn Jahren in Form von Subventionen und Steuererleichterungen für Maßnahmen aufgewendet werden, die Energiesicherheit und Klimawandel adressieren.

Aufs Jahr gerechnet sind das 30 bis 40 Milliarden Dollar. Was nicht nur viel zu wenig ist, um die Emissionen schnell nach unten und die USA auf einen Zwei-Grad-Kurs zu bringen. Es sind auch Peanuts verglichen mit dem jährlichen Militäretat von rund 800 Milliarden Dollar, bei dem US-Rüstungsunternehmen natürlich auch bevorzugt werden.

Das Förderprogramm ist zudem ein Gemischtwarenladen. Es geht um die Unterstützung von erneuerbaren Energien, Investitionen in Atomkraftwerke, Energieeffizienz, Elektroautos und "klimasmarte" Landwirtschaft. Auch das umstrittene Carbon Capture and Storage (CCS) Verfahren, bei dem Kohlendioxid-Emissionen aus fossilen Kraftwerken unter die Erde verpresst werden, soll Gelder aus dem "sauberen Energietopf" erhalten [14].

Das Gesetz ist also keineswegs optimal und nicht annähernd ausreichend, um die Klimawende in den USA zu schaffen. Es ist auch nicht das, was Umweltbewegungen wie Sunrise verlangten, als sie Joe Biden im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl 2020 ein Klimaschutzprogramm abringen konnten [15]. Biden versprach einen Green New Deal in Höhe von 3,5 Billionen Dollar [16], um im Gegenzug die Unterstützung der Klimabewegungen zu erhalten.

US-Umweltverbände an EU: Keine Drohungen gegen US-Klimaschutz

Das IRA ist zudem eine Schrumpfversion des von der Regierung eingebrachten Gesetzesvorhabens, dem Build Back Better Act. Dieses Gesetz wurde vom Repräsentantenhaus zwar verabschiedet, unterstützt von den meisten Demokraten und amerikanischen Wähler:innen, aber erhielt keine Mehrheit im US-Senat, wo Kohlelobbyisten wie der Senator Joe Manchin aus dem Bundesstaat Virginia das Vorhaben stoppten und Verwässerungen erwirken konnten [17].

Trotz aller Beschränkungen unterstützen die meisten Umweltorganisation und Klimaschutzbewegungen in den USA das über Jahre mit viel Einsatz erkämpfte Subventionsprogramm, da es zum ersten Mal entschlossener der Energiewende unter die Arme greift. Es sei ein Anfang, auf dem aufgebaut werden kann, heißt es.

Daher stößt das Vorgehen der EU gegen das IRA bei Progressiven in den USA auf Fassungslosigkeit [18]. Es wird kritisiert, dass Regierungsvertreter von europäischen Ländern, die sonst mit dem Finger auf die "Öko-Vandalen" jenseits des Atlantik zeigen (während sie selbst im letzten Jahrzehnt kaum etwas für den Klimaschutz getan haben), verhindern wollen, dass in den USA eine Energiewende-Industrie entsteht. Gleichzeitig würden die Europäer selbst mit zum Teil größeren Summen [19] ihre eigenen Klimaprojekte unterstützen.

Während Macrons Besuch im Weißen Haus demonstrierten dann auch Umweltgruppen gegen Macron [20] und zeigten ihm, Bezug nehmend auf die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, die Rote Karte. Er solle aufhören, Handelsregeln gegen Klimaschutz als Waffe zu instrumentalisieren.

Macron behauptet, Frankreich sei ein Vorreiter in Sachen Klima, aber seine lautstarke Kritik an den Klimamaßnahmen des Inflation Reduction Act verdient einen Strafstoß wegen Heuchelei,

twitterte Public Citizen's Global Trade Watch [21]. Die Direktorin der Organisation St. Louis erklärte [22] zudem:

Präsident Macron behauptet, ihm liege der Klimawandel am Herzen. Daher sollten er und andere europäische Staats- und Regierungschefs alle Beschwerden in Bezug auf die IRA und die Drohungen, eine Klage gegen das Gesetz einzulegen, fallen lassen. Regierungen sollten die Möglichkeit haben, den Klimawandel zu bekämpfen und den Übergang zu sauberer Energie zu unterstützen, ohne dabei zu befürchten, durch antiquierte Handelsregeln bekriegt zu werden.

Um diese antiquierten Handelsregeln zu neutralisieren, wird in den USA schon seit einiger Zeit die Forderung nach einer Einführung einer "Klimafriedensklausel" im transatlantischen Handelssystem erhoben. Im Mai dieses Jahres verlangten über 150 US-Organisationen [23] von der Biden-Regierung, sich für eine solche Klausel einzusetzen.

Unterstützt wird diese Klimafriedensklausel [24] von der größten Umweltorganisationen in den USA, dem Sierra Club, dem Transatlantic Consumer Dialogue, dem 70 Verbraucherschutzorganisationen in den USA und Europa angehören, und dem Trade Justice Education Fund.

Danach sollen sich die Regierungen verpflichten, auf Streitbeilegungsmechanismen in internationalen Handelsabkommen zu verzichten, bei denen Klimaschutz- und Energiewende-Maßnahmen anderer Länder angefochten werden. Hebah Kassam vom Sierra Club betont [25]:

Die Regierungen müssen über alle Instrumente verfügen und diese auch nutzen, um den Klimaschutz voranzutreiben, und wir haben einfach keine Zeit, dass die Regierungen weiterhin veraltete Handelsabkommen instrumentalisieren, um Klimaschutzmaßnahmen anzugreifen und zu untergraben.

Zugleich verweist eine aktuelle Untersuchung des Trade Justice Education Fund und des Sierra Club [26] die bis heute bestehenden Gefahren, wodurch Fortschritte bei der Schaffung grüner Arbeitsplätze und beim Klimaschutz durch Investor-Staat-Streitbeilegungen (auch Investitionsschiedsverfahren genannt) sowie mittels diverser Mechanismen innerhalb der neoliberalen Handelsinstitutionen zunichtegemacht werden können.

So haben die USA 2017 erfolgreich Indiens Programm zur Subventionierung der lokalen Solarproduktion angefochten. Zwei Jahre später klagte Indien erfolgreich gegen Programme für saubere Energie in acht US-Bundesstaaten, die "Buy-Local"-Regeln enthielten.

Deutschland vertreibt Solar-Investoren und killt Jobs

Anstatt sich beim Klimaschutz und der Energiewende mit Handelssanktionen zu bekriegen, sollten die Staaten ihren Marktegoismus endlich hinter sich lassen und den Aufbau einer Klimaschutzindustrie im eigenen Land betreiben, fordert der Präsident der Energy Watch Group in Deutschland, Hans-Josef Fell [27]. Abschottung sei kontraproduktiv. So hätten EU-Solarzölle gegen chinesische PV-Konkurrenz im letzten Jahrzehnt den Niedergang der europäischen Solarindustrie nicht aufgehalten. Im Gegenteil, der Solarmarkt der EU sei dadurch massiv geschrumpft.

Deutschland sollte nun seine Energiewende-Anstrengungen deutlich erhöhen, so Fell, um Investoren zu halten und auch anzulocken – mit eigenen Förder-Programmen. Doch bisher würden Unternehmer:innen weiter ins Ausland getrieben, weil Regierungsvertreter lieber nach Afrika und in Golfstaaten reisen [28], um Gas und Öl von dort zu bekommen, statt Investoren wie Meyer Burger, der erstmals wieder am Solarstandort in Bitterfeld und Freiberg eine Solarzellenfabrik bauen ließ, attraktive Bedingungen zu schaffen.

Die Vernachlässigung zeigt sich auch auf der symbolischen Ebene. Bei der Einweihung der Solarfabrik war kein einziger Bundespolitiker anwesend. Meyer Burger würde gerne weiter in Deutschland investieren, jetzt baut er wegen der besseren Förderung eine Solar-Fertigungsstätte in Arizona/USA [29]. Für Fell eine Bankrotterklärung:

Jobs entstehen so nicht in Ostdeutschland, sondern in den USA. Mit den angedrohten Zöllen gegen die Importe dieser Solarmodule aus den USA könnten dann nicht einmal billige Solarparks in der Kohleausstiegsregion Lausitz entstehen, weil die Zölle dann die US-Module verteuern und in der EU eben nur sehr wenige Produzenten sind. Eine Zementierung der Abhängigkeit von chinesischer Solartechnologie wäre die Folge.

All das zeigt: Solange die EU-Länder die Energiewende als ökonomische Belastung ansehen und sie als wirtschaftliche Kleingartenkolonie betreiben, solange Markt- und Handelsegoismus global vorherrscht und dieser die nationalen Klimaanstrengungen der jeweils anderen Länder torpediert, wird es schwierig werden, den globalen Kurs Richtung Klimakollaps, auf dem wir uns befinden, zu ändern.

In dieser Hinsicht gibt es aber auch gute Nachrichten, die Hoffnung machen. So hat zum Beispiel vor der Pazifikküste in Kalifornien die Versteigerung einer Offshore-Windkraftanlagen durch die US-Regierung [30], die Erste ihrer Art, einen Nachfrage-Boom ausgelöst. Rekordverdächtige Angebote in Höhe von fast 800 Millionen Dollar sind eingegangen.

Mit dem Windpark können in Zukunft 1,6 Millionen amerikanische Haushalte sauberen Strom erhalten. Zudem ist ein neuer Bericht der Internationale Energieagentur (IEA) erschienen [31]. Er zeigt auf, dass erneuerbare Energien bis 2025 zur wichtigsten Stromquelle der Welt werden.

Die EU-Kommission in Brüssel sowie die Regierungen in Paris und Berlin sollten die Chancen der Energiewende, auch die wirtschaftlichen, endlich entschlossen erkennen, ergreifen und sich auf das Wesentliche konzentrieren, statt mit kontraproduktiven Handelsattacken die Hoffnungsfunken auszutreten, ohne die das notwendige Erneuerbaren-Feuerwerk nicht zünden wird.


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https://www.heise.de/-7396637

Links in diesem Artikel:
[1] https://progressive.org/latest/the-inconvenient-truth-of-cop27-goe%C3%9Fmann-231122/
[2] https://www.theguardian.com/environment/2022/nov/10/oil-and-gas-firms-planning-cop27-climate-crisis-frightening-fossil-fuels-growth-report-finds
[3] https://www.heise.de/tp/features/Dann-leben-wir-auf-einem-anderen-Planeten-7158352.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Pakistan-bald-zu-einem-Drittel-unter-Wasser-7247962.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Hitze-Apokalypse-Wir-sind-dabei-die-Belastungsgrenze-zu-ueberschreiten-7184006.html
[6] https://www.theguardian.com/environment/2022/sep/08/world-on-brink-five-climate-tipping-points-study-finds
[7] https://truthout.org/articles/26-climate-conferences-have-failed-to-halt-emissions-do-we-need-a-new-strategy/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Droht-ein-Handelskrieg-wegen-der-Oeko-Politik-der-USA-7365617.html?seite=all
[9] https://energynews.pro/de/us-subventionen-europa-verschaerft-den-ton-gegen-den-protektionismus-der-usa/
[10] https://energynews.pro/de/us-subventionen-europa-verschaerft-den-ton-gegen-den-protektionismus-der-usa/
[11] https://eu.usatoday.com/story/news/politics/2022/11/30/french-president-macron-biden-climate-unfair-europe/10790766002/
[12] https://www.heise.de/tp/features/Befreien-sich-die-USA-aus-der-Politik-Blockade-7192979.html
[13] https://www.politico.com/news/2022/07/27/manchin-schumer-senate-deal-energy-taxes-00048325
[14] https://news.bloomberglaw.com/environment-and-energy/ira-driven-carbon-capture-needs-better-strategies
[15] https://www.sunrisemovement.org/movement-updates/american-job-plan/
[16] https://en.wikipedia.org/wiki/Build_Back_Better_Act
[17] https://www.heise.de/tp/features/Befreien-sich-die-USA-aus-der-Politik-Blockade-7192979.html?seite=all
[18] https://www.commondreams.org/news/2022/12/02/climate-activists-tell-macron-stop-using-trade-rules-thwart-clean-energy
[19] https://www.ft.com/content/197bbf2d-7d41-40dd-871c-f31ca4ff21d7
[20] https://www.citizen.org/news/photos-protestors-at-white-house-dinner-urge-macron-to-stop-threatening-u-s-climate-action/
[21] https://twitter.com/PCGTW/status/1598452385516605455
[22] https://www.citizen.org/news/photos-protestors-at-white-house-dinner-urge-macron-to-stop-threatening-u-s-climate-action/
[23] https://tradejusticeedfund.org/150-environmental-groups-urge-inclusion-of-climate-peace-clause-in-trade-agreements/
[24] https://tradejusticeedfund.org/new-analysis-shows-how-a-climate-peace-clause-could-end-increasing-trade-attacks-on-green-jobs-initiatives-other-climate-measures/
[25] https://www.commondreams.org/news/2022/12/02/climate-activists-tell-macron-stop-using-trade-rules-thwart-clean-energy
[26] https://www.commondreams.org/news/2022/06/21/young-europeans-sue-stop-treaty-fossil-fuel-giants-use-foil-climate-action
[27] https://hans-josef-fell.de/eu-regierungschefs-drohen-mit-handelskrieg-gegen-die-us-klimaschutzsubventionen/
[28] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/katar-fluessiggas-lieferung-lng-terminal-101.html
[29] https://hans-josef-fell.de/eu-regierungschefs-drohen-mit-handelskrieg-gegen-die-us-klimaschutzsubventionen/
[30] https://www.commondreams.org/news/2022/12/07/historic-offshore-wind-lease-sale-california-gets-over-750-million-winning-bids
[31] https://truthout.org/articles/renewable-energy-to-become-worlds-top-electricity-source-by-2025-report-says/