Hanfparade nach Kundus
Der Einsatz in Nordafghanistan führt die Bundeswehr in eines der wichtigsten Drogenanbaugebiete
"Kundus ist der hellste Stern am afghanischen Drogenhimmel. Und ausgerechnet dort sollen unsere Soldaten die Kastanien aus den Feuern der Machthaber holen, sich dabei die Hände schmutzig machen und zwischen alle Fronten geraten?" (Willy Wimmer, Bundestagsabgeordneter der CDU, in einem Brief an Verteidigungsminister Peter Struck)
"Wir müssen uns darauf einstellen, dass uns auf deutschen Fernsehschirmen bald die ersten Bilder von Bundeswehrsoldaten präsentiert werden, die untätig vor wunderschön blühenden Schlafmohnfeldern oder vor Drogenumschlagplätzen stehen müssen, also genau dort, wo die Drogen produziert und gehandelt werden, die eines Tages unseren Kindern in Frankfurt, in Köln und in Hamburg verkauft werden." (Werner Hoyer, FDP, am 24.10.2003 im Deutschen Bundestag)
Die bekiffte Bundeswehr, das war einmal. Erinnert sich noch jemand an die frühen siebziger Jahre, als man bei der Truppe noch mit langer Mähne und Haarnetz toleriert wurde? Der so genannte Haarerlass der neu ins Amt gekommenen sozialliberalen Koalition hatte es möglich gemacht. Die rosarote Subkultur schwappte in die Kasernen, Bundis in the Sky with Diamonds. "Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen", lautete der Neusssche Marschbefehl.
Doch die Zeiten sind härter geworden, und damit auch die deutschen Landser und die Drogen. Schon sind die ersten Soldaten mit akkurat ausrasiertem Nacken in Nordafghanistan eingetroffen. In ihrer Kaserne wird garantiert niemals eine Tüte kreisen. Statt dessen zirkulieren harte Drogen in der deutschen Zone. "Aus Afghanistan kommen drei Viertel des weltweit vertriebenen Heroins. In der Region Kundus liegen die wichtigsten Anbaugebiete", kritisierte der bereits zitierte FDP-Bundestagsabgeordnete Hoyer. Nach Erhebungen der UN werden 70 Prozent der weltweit konsumierten illegalen Rauschmittel in dem Land am Hindukusch angebaut. Selbst Generalleutnant Riechmann, Leiter des Bundeswehr-Erkundungsteams, sieht in Kundus explizit die Gefahr der Entstehung eines Drogenstaates.
Trotz aller Warnungen hat der Bundestag am 24. Oktober grünes Licht für den Bundeswehreinsatz in dieser Region gegeben. Die ersten Soldaten sind noch am selben Tag abgeflogen, zunächst 230 sollen bis zum Frühjahr folgen, die Obergrenze soll bei 450 liegen. Damit wären insgesamt 2.250 deutsche Friedensstifter im Rahmen der sogenannten Afghanistan-Schutztruppe im Einsatz. Das ganze kostet den Steuerzahler schlappe 233,6 Millionen Euro, 77 Millionen Euro allein für Mission in und um Kundus.
Just zum Beginn der Mission der deutschen Soldaten, stellte die UN ihre humanitären Einsätze in vier Provinzen im Süden Afghanistans wegen der kritischen Sicherheitslage ein. Teilweise würden hier faktisch wieder die Taliban herrschen, Angriffe auf UN-Mitarbeiter würden zunehmen. Jean-Marie Guehenno, bei der UN zuständig für Friedenseinsätze, erklärte, dass viele Sicherheitsprobleme ungelöst seien, praktisch alle Grenzregionen seien unsicher.
Nachdem die UNO das Mandat der ISAF über die Hauptstadt Kabul hinaus ausgeweitet hat, ist der Widerstand gegen dieses Vorhaben im Bundestag zusammengebrochen. Niemand scheint so recht aufgefallen zu sein, dass kein Staat sonst bisher Truppen für die ISAF-Ausweitung angeboten und Frankreich sogar explizit abgewunken hat. Auch die im Raum Kundus arbeitenden Nichtregierungsorganisationen lehnen zumindest teilweise den militärischen Beistand der Bundeswehr ab. In Vergessenheit geraten ist auch, dass Minister Struck selbst im Dezember 2002 noch versprochen hatte, eine Ausweitung des deutschen Einsatzes komme nicht in Frage. Bemerkenswert ist, dass Rot-Grün mittlerweile skrupelloser zum Militäreinsatz bereit ist als die Opposition:
Die SPD-Fraktion stimmte geschlossen mit Ja (drei Abgeordnete nahmen nicht an der Abstimmung teil), bei den Bündnisgrünen waren Hans-Christian Ströbele und Winfried Hermann die einzigen, die sich zu einer Enthaltung durchringen konnten. Ein klares Nein kam hingegen nicht nur von den zwei PDS-Abgeordneten, sondern auch von zehn Unionsparlamentären und der gesamten FDP-Fraktion.
Wortführer der CDU-Dissidenten ist der Abgeordnete Willy Wimmer. In einem Beitrag für die Wochenzeitung Freitag schrieb er:
Wollte man den humanitären Standards folgen ...., wären der afghanischen Regierung Praktiken vorzuwerfen, die einer zivilisierten Nation unwürdig sind. Das gilt besonders für die Region um Kundus, die von einer zentralen Figur des Interimsregimes in Kabul, dem Verteidigungsminister Fahim und seinen Anhängern, beherrscht wird.
Fahim kontrolliert mit seiner Privatarmee den Schlafmohnanbau in der Provinz Badakshan und hat von dort aus die Bauern in der künftigen deutschen Zone ebenfalls in diese profitable Branche gezwungen. Obwohl mächtigster Mann nach Staatspräsident Karsai, hat er bisher den Einsatz der afghanischen Armee in seinem Einflussbereich verweigert. Dort dürfen sich nur seine eigenen Söldner aufhalten.
"Fahim Khan ist aber nur ein Risikofaktor. Weitere sind der General Daud, der bislang als Gefolgsmann von Fahim Khan galt, nun aber zunehmend eigene politische Ziele verfolgt. Weitere Unwägbarkeiten verbinden sich mit dem Gouverneur der Provinz Kundus, Latif, und dem usbekischen General Dostum. Schließlich ist in der Stadt ein weiterer Kriegsherr, Hekmatyar, zu Hause; und nicht zuletzt sollen sich ehemalige Taliban-Kämpfer in der Region versteckt haben", warnte die "Frankfurter Allgemeine". (FAZ, 30.08.2003)
Die Regierung entgegnete den Kritikern mit dem Hinweis, dass die Sicherheit in der Region Kundus im afghanischen Vergleich mit am höchsten liege und außerdem zu den Aufgaben der deutschen Einheit - so Struck im Bundestag - "ausdrücklich nicht die Drogenbekämpfung" gehöre.
Warum der Minister und seine Generäle trotzdem ausgerechnet dorthin wollen, erklärt sich vielleicht aus der pro-deutschen Neigung des allmächtigen Fahim. Er war es gewesen, der im Dezember 2001 - noch vor der formellen Legitimierung der internationalen Besatzungsstreitmacht durch die UN - gefordert hatte, was damals der "FAZ" einen Aufmacher wert war:
Die Deutschen müssen die internationale Schutztruppe in Afghanistan führen. Auf den Straßen Kabuls müssen deutsche Soldaten patrouillieren, keine Briten
FAZ, 20.12. 2001
Logisch, dass sich die Bundeswehr mit diesem Freund der Deutschen nicht anlegen wird. Und dann? "Werden Bundeswehreinheiten in Nordafghanistan stationiert, heißt das nicht zuletzt, das internationale Protektorat für die Drogenversorgung Westeuropas, das demnächst die Rolle Hawaiis für die Drogenversorgung Nordamerikas übernehmen wird, steht auch unter dem Schutz deutscher Soldaten," warnte Wimmer. Vielleicht kann Struck etwas von den Drogenprofiten für den notleidenden Wehretat abzweigen? Eichel wäre dankbar.
Damit Kriegführen und Okkupieren anderer Länder künftig noch leichter fällt, hat sich Rot-Grün übrigens einiges einfallen lassen. Struck ist Anfang Oktober mit der Forderung vorgeprescht, in Deutschland solle künftig nicht mehr umständlich im Parlament über Krieg entschieden werden, sondern subito in einem Parlamentsausschuss. Zwischenzeitlich ist der Verteidigungsminister zurückgerudert, weil ihn seine Experten darüber informiert haben, dass der Bundestag auch bisher schon zu allen Schandtaten bereit war. So verließen die Abgeordneten kurz vor Weihnachten 2001 ihre Urlaubsorte für eine Eilsitzung, um den Abmarsch nach Afghanistan fristgemäß abzunicken. Beim Krieg gegen Jugoslawien fasste der Bundestag bereits im Oktober 1998 einen "Vorratsbeschluss", der Schröders Küchenkabinett für alles Weitere freie Hand gab. Und schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1994 den Parlamentsvorbehalt bei "Gefahr im Verzug ohnedies relativiert - in diesem Fall genüge es, wenn sich die Regierung hinterher das Plazet der Legislative holt.
Grünen-Chefin Angelika Beer lehnt den Struck-Vorstoß ab. Stattdessen wirbt sie für ein "Parlamentsbeteiligungsgesetz" bei Bundeswehreinsätzen, und zwar mit dem bemerkenswerten Argument, dass nach seiner Verabschiedung "Klagen gegen die Beteiligung deutscher Soldaten im Awacs-Einsatz ... ad absurdum geführt werden" können. Mit anderen Worten: Die Rechte der - handzahmen - Abgeordneten sollte man lieber respektieren als Einstweilige Verfügungen der - möglicherweise renitenten - Verfassungshüter zu riskieren. Struck sollte ein Einsehen haben: Beers Entsendegesetz genügt vollauf, da braucht es kein Ermächtigungsgesetz mehr.
Jürgen Elsässer ist Herausgeber des Buches "Deutschland führt Krieg. Seit 11. September wird zurückgeschossen" (Konkret Verlag)