Hat der Wald Zukunft?
In Deutschland leben 82,7 Millionen Menschen, aber hier wachsen 90 Milliarden Bäume. Das sind pro Einwohner über 1000 Bäume. Sie bedecken ein Drittel der Fläche Deutschlands. Leben wir auf einem Kontinent der Bäume oder auf einem Kontinent der Menschen?
Allerdings: Weltweit sieht die Lage der Wälder ganz anders aus. Es wird mehr abgeholzt als nachwächst. Hauptsächlich in Brasilien, Zentralafrika und Südostasien. Aber auch für Deutschland und Europa gilt: Der Wald ist mehr krank als in den 80-iger Jahren, als alle vom "Waldsterben" sprachen.
Je heißer die Sommer werden und je weniger es regnet, desto mehr brennen die Wälder und desto brutaler schlägt der Borkenkäfer zu. Außerdem ist Wald nicht gleich Wald - die Hitze macht Nadelwäldern mehr zu schaffen als den Laubwäldern. Diese Monokulturen sind extrem anfällig für klimabedingte Extremereignisse wie Sturmschäden, Hitzewellen oder Borkenkäferbefall.
In Mitteleuropa fällt seit sieben Jahren zu wenig Regen. 2018 hatten wir nur etwa ein Drittel der durchschnittlichen Jahresmenge. Zu wenig Regen, Hitze, Stürme, Schädlinge: Auch der deutsche Wald könnte bald nicht wiederzuerkennen sein. Was könnte ihn vielleicht retten? Exotische Superbäume oder Mischwälder?
Trockenheit schadet dem Wald
Fakt ist: Der Wald steht seit Jahren auch hierzulande im Trockenstress. Vor allem deshalb hat der Borkenkäfer leichtes Spiel. Hinzu kommt: Noch immer gibt es zu viele Monokulturen. In Brandenburg zum Beispiel sind noch immer 80% der Bäume Kiefern, im Schwarzwald dominieren Tannen und Fichten zu 80% den Baumbestand. Wäre der Wald sich selbst überlassen, so sagen Waldökologen, bestünden hierzulande die Wälder zu 75% aus Buchen. In Wirklichkeit sind es nur 16%. In den Monokulturen Brandenburgs gab es vor zwei Jahren riesige Waldbrände mit langfristigen Folgen.
Vor allem in Monokulturen wird der Borkenkäfer zum Schädling. Und diese Käfer haben die Eigenschaft, dass sie innerhalb eines halben Jahres bis zu 100.000 Nachkommen produzieren können. Die Hauptaufgabe der Forstwirtschaft besteht zurzeit darin, tote Bäume zu markieren, die gefällt werden müssen. Für Forstwirte, die vom Holzverkauf leben, eine wirtschaftliche Katastrophe wie für andere die Corona-Krise. Denn der Holzmarkt ist überschwemmt. Der Holzpreis liegt so sehr am Boden wie die Bäume selbst.
In den 1980er Jahren war "Waldsterben" ein beherrschendes Thema. Die Emissionen von Autos und Kraftwerken sowie der "saure Regen" ließen damals Blätter vergilben und Bäume absterben. Doch die Folgen der heutigen Trockenheit sind weit schlimmer für den Wald. Die heutige Waldkrankheit hat eine ganz neue Dimension. Schon der Waldzustandsbericht 2019 zeigte, dass nur noch 22% der Bäume gesund waren, das ist weit schlechter als in den achtziger Jahren.
Förster und Biologen befürchten deshalb, dass der Wald hierzulande nie mehr sein wird, was er einmal war: Das Modell der Monokulturen aus Kiefern, Fichten oder Tannen ist endgültig am Ende. In vielleicht zehn oder zwanzig Jahren wird es sie nicht mehr geben. Zu viele Stickstoffe aus Landwirtschaft und Verkehr verändern die Böden, Pestizide auf den Feldern verringern die Boden-Diversität.
Durch zu große Maschinen im Wald wird in den Böden das lebenswichtige Geflecht aus Pilzen und Baumwurzeln gestört. So hat der schnell voranschreitende Klimawandel leichtes Spiel. Was ausgelaugter Boden mit dem Wald macht, kann man sowohl in Brandenburg, aber noch mehr in Kalifornien oder in Sibirien in den letzten Jahren beobachten: katastrophale Waldbrände. Zurzeit brennen in Sibirien 1.4 Millionen Hektar Wald. Auch in Kalifornien brennen wieder riesige Waldflächen. Die monatelangen Brände Ende 2019 und zu Beginn 2020 in halb Australien sind nicht vergessen.
Seit mehr als 20 Jahren weiß die Forstwirtschaft und die Waldökologie, dass nur Mischwald Zukunft hat und dass Totholz am besten liegen bleiben sollte. Durch Totholz entsteht neues Leben am ehesten und am besten.
2020 leidet aber auch die Buche bereits an Trockenstress Sie ist der wichtigste deutsche Baum und zusammen mit Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen ein eingespieltes Ökosystem.
Ist der Wald noch zu retten?
Die bisher wirkenden Rezepte gegen das grassierende Waldsterben: Neue Bäume pflanzen, die auch in einem wärmeren Klima wachsen wie Douglasien oder Eichen oder das, was der bekannteste deutsche Förster und Bestseller-Autor, Peter Wohlleben, empfiehlt: Das Wald-Ökosystem erholt sich am ehesten, wenn wir es in Ruhe lassen. Den Wald einfach Wald sein lassen.
Doch bisher setzten auch die naturnahen Förster eher auf Industrialisierung des Waldes, also auf Plantagen als auf Nachhaltigkeit. Sie waren auch nicht schlauer als Architekten oder Autobauer. Doch eines wissen wir inzwischen wissenschaftlich gesichert: Nichts hilft so sehr wie Vielfalt, junge Bäume und alte Bäume, ein intaktes Netzwerk von Lebewesen und möglichst viele heimische Arten.
Den Superbaum gegen das Waldsterben gibt es nicht. Die heimischen Arten haben sich schließlich seit Jahrtausenden bewährt und liefern Erholung für uns Menschen, sie dienen uns als Wasser-Reservoir, schützen die Artenvielfalt, bieten Kühlung, geben uns Holz und stellen Kohlenstoffspeicher.
1,5 Milliarden Euro will die Bundesregierung zur Rettung der hiesigen Wälder ausgeben. Doch das wird nicht reichen. Für die Rettung der Lufthansa ist mehr als das sechsfache vorgesehen. Was brauchen wir mehr: Lufthansa oder Wald?
Wenn die Bäume verdorren, wird die Erde zur Wüste. Viele Bäume sind von der Wurzel her krank - wie so viele menschliche Seelen.
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